Prozess in der TürkeiKölner sitzt seit fast zwei Jahren in Istanbul fest

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Sharo Garip

Der Soziologe Sharo Garip

Köln – Sharo Garip (51) rechnet damit, dass er das „Freiluftgefängnis“ Istanbul in Kürze verlassen darf. Am heutigen Dienstag steht der Kölner Soziologe und Politologe in Istanbul vor Gericht. Seit Januar 2016 darf er die Türkei nicht mehr verlassen. Garip, der seit vielen Jahren die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, ist nur einer von fast 2000 Wissenschaftlern, die damals die Online-Petition „Akademiker für den Frieden“ unterzeichnet haben, einen Appell, die Friedensverhandlungen zwischen dem türkischen Staat und den Kurden wiederaufzunehmen. Eine Nacht hat er damals im Gefängnis verbracht, seinen Lehrauftrag an der Universität von Van in der Osttürkei verloren. Dorthin war er 2012 von Köln nach seiner Promotion gegangen, um als Professor zu arbeiten. Inzwischen lebt er in Istanbul, ist arbeitslos und wird von der deutschen Botschaft finanziell unterstützt.

Es ist der vierte Prozesstag gegen die „Akademiker für den Frieden.“ Alle sind angeklagt nach den türkischen Anti-Terror-Gesetzen. „Man wirft uns Unterstützung und Mitgliedschaft in der Terrororganisation PKK vor“, sagt Garip. Das sei völlig absurd. In der Petition tauche der Name der PKK überhaupt nicht auf.

Die Hoffnung, die Türkei in Kürze verlassen zu dürfen, gründet sich auf eine bloße Formalie. „Man hält mich hier fest mit der Begründung, dass man in Deutschland keinen Zugriff auf mich habe. Ich stelle mich. Damit ist das Ausreiseverbot hinfällig“, sagt Garip. Die Richter und Staatsanwaltschaft stehen unter internationaler Beobachtung und damit unter einem enormen Druck.

Anwälte aller Angeklagten fordern Freisprüche

Problematisch ist schon der Umstand, dass das Justizministerium in Ankara den Unterzeichnern der Petition den Straftatbestand „Beleidigung des Türkentums“ vorwarf, die Anklage hingegen nach den türkischen Anti-Terror-Gesetzen erfolgt. Die Anwälte aller Angeklagten kritisieren diese Entscheidung, fordern Freisprüche und die Zusammenlegung aller Prozesse in einem Verfahren.

„Wir leben in einem Land voller Überraschungen“, sagt Garip. „Wir haben auch nicht damit gerechnet, dass die Journalistin Mesale Tolu aus dem Gefängnis freikommt.“ Mit einem Freispruch rechne er in seinem Verfahren allerdings nicht. „Das ist ein politischer Prozess. Da geht es nicht alleine um mich.“ Die Hoffnung auf das Ende des Ausreiseverbots sieht Garip auch darin begründet, „dass der Hauptrichter und der Staatsanwaltschaft für diese Verfahren bereits ausgetauscht wurden.“

Seine Rechtsanwältin habe im Laufe der Zeit sechs Widersprüche gegen das Ausreiseverbot erhoben. „Ich habe hier zwei Jahre lang auf das Verfahren gewartet. Da kann die Staatsanwaltschaft nicht mehr behaupten, dass ich weglaufen will.“ Jörg Detjen, Fraktionssprecher der Linken im Kölner Stadtrat, hat den ersten Prozesstag in Istanbul mit einer Delegation verfolgt. „Das wird eine langwierige Auseinandersetzung, bei der internationale Öffentlichkeit wichtig ist“, sagt er. „Die »Akademiker für den Frieden« begrüßen die Unterstützung ausdrücklich.“

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