Radikale Sprache, enthemmte AuftritteWie Alice Weidel zur Frontfrau der AfD wurde

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Pakt mit den Rechten: Die AfD-Fraktionschefin Alice Weidel mit ihrem Noch-Co-Vorsitzenden Alexander Gauland.

  • Alice Weidel wird zur neuen Frontfrau der AfD. Dabei war die Finanzexpertin lange Außenseiterin in der Partei.
  • Wie hat sie das geschafft? Eine Analyse anlässlich des Parteitags der AfD in Braunschweig.

Berlin – Und wieder der eisige Blick, das spöttische Lächeln. Wie sie ihre Umgebung kontrolliert, die Journalisten vor sich taxiert, die Fraktionskollegen neben sich. Dabei könnte Alice Weidel sich sicher fühlen, gerade wurde sie als Fraktionschefin bestätigt, hat ihre Macht gefestigt. Dennoch wirkt sie in der Öffentlichkeit fast immer wie jemand, der sich bewusst ist, dass er hier eigentlich nicht hineinpasst: Als weltgewandte Ex-Bankerin in einer globalisierungsfeindlichen Partei, als fließend Mandarin Sprechende in einer Gruppe Deutschtümelnder, als Frau in einer lesbischen Partnerschaft zwischen all den Verfechtern eines traditionellen Familienbildes. Es ist eine seltsame Geschichte von Alice im AfD-Land. Und vieles spricht dafür, dass sie noch lange nicht beendet ist.

An diesem Nachmittag droht Weidel zunächst keine Gefahr. Dann aber kommt doch noch eine unangenehme Frage: Warum sie beim neurechten „Institut für Staatspolitik” von Götz Kubitschek aufgetreten ist, wollen die Journalisten wissen. Es folgt ein angedeutetes Augenrollen, die Gesichtszüge werden noch etwas härter. „Das ist eine wichtige Vorläuferorganisation der AfD”, verteidigt sich Weidel. Sie meint „Vorfeldorganisation”, es ist nur ein kleiner Versprecher, ein kleiner Verlust der Kontrolle. Aber natürlich einer, der ganz gut passt zu der Verwandlung der Alice Weidel.

Erstaunliche Verwandlung

Seit dem Bundestagswahlkampf 2017 hat sich Weidel im Gleichschritt mit der AfD in der Öffentlichkeit immer weiter radikalisiert. Ihre stets blütenweiße Bluse und die Perlenkette um ihren Hals bilden inzwischen einen schrillen Kontrast dazu. Womöglich ist dieser Kontrast, der einmal ihr größter Makel innerhalb der Partei war, mittlerweile das Geheimnis ihres Erfolges. AfD-Sympathisanten auf den Marktplätzen feierten sie in den vergangenen Wahlkämpfen wie einen Star aus einer anderen Welt. Eine, die von Herkunft und Lebensstil eigentlich zum „globalistischen Establishment” gehört, wie es Gauland in seinen Reden nennt. Die aber jetzt genauso scharf und enthemmt agiert wie die lautesten ihrer Anhänger. Dabei war Alice Weidel einmal das, was ihr Businessdress verspricht: eine promovierte Volkswirtin, eine Goldman-Sachs-Bankerin, eine Unternehmensberaterin. Die Quereinsteigerin in die Politik, die in der AfD den Bundesfachausschuss Euro und Währung leitete.

Die noch 2017, als sie schon zur Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl gekürt worden war, lieber Reden über die Themen der alten Lucke-AfD hielt, über den Euro, die faulen Südeuropäer und die Target-2-Richtlinie. Die Attacken gegen Migranten und Muslime überließ sie damals noch anderen. Den Applaus auch.

Radikalisierte Sprache

Die neue Alice Weidel hat nicht nur ihre Sprache radikalisiert, sie paktiert mit der radikalen Rechten in der Partei, um ihre Macht auszubauen. Wer in der AfD etwas werden will, der muss missverständliche Schlagzeilen produzieren und an vermeintlichen Tabus kratzen. Weidel will die AfD als Spitzenkandidatin auch in die nächste Bundestagswahl führen. Vor allem aber will sie die Kontrolle über den Kurs der AfD erlangen.

Am Wochenende ist AfD-Bundesparteitag in Braunschweig, begleitet von einem Großeinsatz der Polizei und Gegendemonstrationen. Parteisenior Alexander Gauland läutet mit fast 79 den Generationenwechsel ein, kandidiert nicht erneut als Vorsitzender. Gauland hat Weidel aufgebaut. So war das vor zwei Jahren. Vor ein paar Wochen erst ließen sich Gauland und Weidel als Fraktionschefs wiederwählen.

In Braunschweig kandidiert sie „nur” als erste Vizevorsitzende. Wenn alles nach Plan läuft, wird Gaulands Nachfolger der Sachse Tino Chrupalla, Fraktionsvize in Berlin. Der 44-Jährige ist Weidels und Gaulands Favorit. Er ist ein Kompromisskandidat: Nach den Wahlerfolgen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen dringen die Ostverbände auf mehr Einfluss im Bundesvorstand. Die prominentesten Vertreter - Björn Höcke aus Thüringen und Andreas Kalbitz aus Brandenburg – sind aber bisher nicht vermittelbar für die Spitze.

Wer steuert die AfD?

Eine AfD, die von Weidel mithilfe von Chrupalla gesteuert wird, wäre eine Partei des Spagats. Eine politische Kraft, die sich noch nicht offen radikal gibt, die sich den Extremen aber in bedenklichen Teilen hingegeben hat. Es wäre eine Partei, die so wäre wie Alice Weidel selbst.

Chrupalla und Weidel eint der Wille zur Macht - und die kontrollierten Attacke von rechts. Im September besuchte Weidel die „Sommerakademie” des neurechten „Instituts für Staatspolitik” des Rechtenvordenkers Götz Kubitschek in Schnellroda. Zu den Stammgästen gehören hier Gauland, Kalbitz und Höcke. Weidel verschaffte sich einerseits Stallgeruch beim „Flügel”, der an Bedeutung wachsenden völkischen Gruppe innerhalb der AfD, andererseits versuchte sie denjenigen ins Gewissen zu reden, die am liebsten unter AfD-Fahnen auf den Straßen marschieren würden. „Die Herausforderung ist, nach den Regeln zu spielen, um sich nicht zu diskreditieren”, sagte sie.

Vor einem Jahr wurde die Affäre um die illegalen Schweizer Parteispenden an Weidels Kreisverband Bodensee öffentlich. Weidels Rückhalt in der Fraktion schwand, nur mithilfe Gaulands und der „Flügel”-Vertreter hielt sie sich und wurde wiedergewählt. Die Spendenaffäre könnte sie auf dem Parteitag noch belasten.

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Wohin also will diese Frau? Das Fraktionsvorsitzendenbüro von Alice Weidel bietet einen spektakulären Blick über den herbstlichen Tiergarten. Weidel wirkt gut gelaunt, als sie ihren Besuch empfängt. Hinter verschlossenen Türen, in sicherer Umgebung, ist wenig zu sehen von der Aggressivität, die sie öffentlich so oft ausstrahlt. Etwa als sie ein Video ins Netz stellen lässt, in dem sie von der Bühne aus den Saalschutz anweist, einen Zuschauer zu entfernen, weil sie bei ihm eine Halsabschneidergeste gesehen haben will. „Da kommt ja richtig Stimmung auf. Ja, raus. Reg dich nicht auf. Geh nach Hause zu Mama. Geh nach Hause zu Mama und Papa, die bezahlen dir alles. Geh mal Geld verdienen”, rief sie. Der Mann war AfD-Anhänger.

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Oder wenn sie bei einem Pressestatement im Bundestag kritische Fragen eines RND-Reporters als „doof”, „dämlich” und „dümmlich” abqualifiziert und stöhnt: „Können wir das mal beenden?”, dann weiß sie, welches Publikum sie damit bedient.

Hier, im geschützten Gespräch in ihrem Büro wirkt sie witzig, höflich, manchmal sogar selbstironisch. Und sie nimmt kein Blatt vor den Mund, was ihre eigenen Karrierepläne angeht. Zu zitieren ist aus diesem Hintergrundgespräch dann nur das: „Wir brauchen in der ersten und zweiten Reihe Persönlichkeiten, die eine Partei führen können. Ich werbe dafür, dass Tino Chrupalla Bundessprecher wird und dass Roland Hartwig als Stellvertreter gewählt wird.”

Hartwig war als Leiter der innerparteilichen Arbeitsgruppe Verfassungsschutz noch vor Kurzem ein rotes Tuch für die Radikalen. Ebenso wie Weidel wird er von den „Gemäßigten” in der AfD inzwischen als „Flügel”-gesteuert und damit unwählbar eingestuft. In der AfD ist jeder Personalvorschlag ein Risiko. Weidel aber hat gelernt, sich zwischen den Risiken zu bewegen. Und sie weiß ziemlich gut, was sie tut - und wann. Auch und gerade dann, wenn sie die Kontrolle zu verlieren scheint.

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