Einmal im Jahr veröffentlicht Reporter ohne Grenzen seine Rangliste der Pressefreiheit. Die diesjährige Ausgabe zeigt: Die Lage ist historisch schlecht. Und Deutschland ist auch nicht mehr auf den vorderen Plätzen.
Rangliste der PressefreiheitDeutschland nicht mehr in den Top 10

Ein Fotoreporter trägt auf einer Demonstration einen Aufnäher mit dem Text ´PRESS» auf seiner Jacke, um sich gegenüber Polizei und Demonstranten als Journalist zu kennzeichnen.
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Deutschland ist in der Rangliste der Pressefreiheit, die die Organisation Reporter ohne Grenzen jährlich herausgibt, auf den elften Platz abgerutscht und damit nicht mehr unter den zehn bestplatzierten Ländern weltweit. Auch wenn die Bundesrepublik im globalen Vergleich weiter gut dasteht, gibt es sichtbare Herausforderungen, erklärt die Organisation.
Viele Medienschaffende bewegten sich hierzulande in einem zunehmend feindlichen Arbeitsumfeld – insbesondere Journalistinnen und Journalisten, „die sich mit rechtsextremen Milieus und Parteien wie der AfD beschäftigten“. Reporter ohne Grenzen hat für das Jahr 2024 insgesamt 89 gewaltsame Angriffe auf Medienschaffende und Redaktionen dokumentiert und geprüft – die Zahl hat sich im Vergleich zu 2023 (41) mehr als verdoppelt.
Nahost-Konflikt: Gefährliches Pflaster für deutsche Berichterstatter
Der gefährlichste Ort für deutsche Journalisten war, so die Organisation, 2024 allerdings nicht bei rechtsextremen, sondern bei Nahost-Demonstrationen – dort registrierte die Organisation 38 körperliche Übergriffe. Die meisten davon ereigneten sich demnach in Berlin. Dort fanden seit dem Überfall der Terrororganisation Hamas auf Israel und dem Beginn des Gaza-Kriegs im Jahr 2023 zahlreiche pro-palästinensische und israelfeindliche Proteste statt.
Mehrfach kam es dabei zu Gewaltausbrüchen, Auseinandersetzungen mit der Polizei und auch zu Angriffen auf Journalisten. Besonders zwei Journalisten, die regelmäßig über die Proteste berichteten, seien immer wieder angegriffen worden, heißt es im Bericht der Reporter ohne Grenzen – mit 29 Attacken richteten sich demnach knapp 40 Prozent der in ganz Deutschland registrierten körperlichen Angriffe gegen die beiden. Einer von ihnen arbeitet als Reporter für die „Bild“, der andere für das „Jüdische Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus“.
Der Nahostkonflikt spielte in der Bewertung der Pressefreiheit durch die von Reporter ohne Grenzen befragten Journalisten auch in einem anderen Zusammenhang eine Rolle: Einige beklagten einen „stark verengten Meinungskorridor bei der Arbeit zu Israel und Palästina“. Vor allem Reporterinnen und Reporter, die die „Art der israelischen Kriegsführung, deren Auswirkungen auf die palästinensische Bevölkerung oder die Konsequenzen des Krieges auf das gesellschaftliche Klima in Deutschland beleuchten wollten“, hätten von außergewöhnlichen Belastungen und Druck berichtet. Jene, die über jüdisches Leben in Deutschland berichten, hätten insbesondere von „Anfeindungen und Hetze im Internet“ berichtet.
Gewerkschaft fordert besseren Schutz für Journalisten
Die Bundesgeschäftsführerin der Deutschen Journalistinnen- und Journalistenunion (dju) in der Gewerkschaft Verdi, Danica Bensmail, sagte dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND): „Dass Deutschland aus den Top Ten fällt, ist ein Alarmsignal – und die Quittung dafür, dass Journalistinnen und Journalisten hierzulande nicht konsequent geschützt werden.“ Wer von Demonstrationen berichte, riskiere Beschimpfungen, Drohungen und Angriffe. „Wenn Berichterstattung zur Mutprobe wird, ist es um Pressefreiheit schlecht bestellt“, sagte die Gewerkschafterin. Die Pressefreiheit in Deutschland stehe nicht nur auf der Straße, sondern auch im Alltag redaktioneller Arbeit unter Druck. „Immer mehr Journalistinnen und Journalisten berichten, dass sie bei Recherchen von Behörden und Unternehmen ausgebremst oder juristisch eingeschüchtert werden“, so Bensmail. Freie Journalisten hätten zusätzlich mit unsicheren Aufträgen, fehlendem Rückhalt aus Verlagen und digitalem Hass zu kämpfen.
„Die kommende Bundesregierung darf Pressefreiheit nicht als Selbstverständlichkeit behandeln, sondern muss sie aktiv verteidigen“, forderte Bensmail. „Wir erwarten von Friedrich Merz als designiertem Bundeskanzler und dem von ihm benannten Kulturstaatsminister Wolfram Weimer, dass sie Journalistinnen und Journalisten besser absichern – rechtlich, wirtschaftlich und durch ein klares Bekenntnis zu freier und unabhängiger Berichterstattung.“
In nur sieben Ländern gilt die Lage als gut
Im internationalen Vergleich steht Deutschland mit dem elften Platz jedoch noch vergleichsweise gut da. Weltweit hat sich die Lage der Pressefreiheit dagegen weiter verschlechtert. Vor zehn Jahren galt die Situation noch in 21 von 180 Ländern als „gut“, in diesem Jahr sind es nur noch sieben Länder - alles europäische. Angeführt wird die Liste von Norwegen, Estland und den Niederlanden.
Die USA sind leicht abgestiegen auf Platz 57 – durch die erklärte Pressefeindlichkeit des US-Präsidenten Donald Trump könnte im kommenden Jahr ein noch deutlicherer Abstieg drohen.
In der Hälfte der Staaten ist die Situation sogar „schwierig“ oder „sehr ernst“. Zu ihnen gehören Afghanistan und Russland, aber auch Israel, Serbien oder Georgien. 2015 lag die Quote nur bei etwa 36 Prozent. Besonders schlecht ist die Lage im Asien-Pazifik-Raum, aber auch im Nahen Osten und Nordafrika. Die hintersten Plätze des Rankings belegen Eritrea, Nordkorea und China. Reporter ohne Grenzen spricht weltweit von einem historischen Tiefstand der Pressefreiheit.

Die Grafik veranschaulicht die Lage der Presse- und Informationsfreiheit in 180 Ländern.
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Der größte Absteiger ist Argentinien, das unter Präsident Javier Milei von Platz 66 auf Platz 87 gerutscht ist. Mexiko (Platz 124) bleibt laut Reporter ohne Grenzen das gefährlichste Land für Journalisten – nirgendwo sonst würden außerhalb von Kriegsgebieten so viele Medienschaffende ermordet.
Auch wirtschaftliche Probleme bringen Medien in Bedrängnis
Die gefährlichste Region für Medienschaffende ist laut Erhebung der Nahe Osten und Nordafrika. Kein Krieg sei für Journalistinnen und Journalisten so gefährlich wie der zwischen Israel und der Hamas: 200 von ihnen seien in Gaza bei Angriffen des israelischen Militärs getötet worden, fast 50 davon im Kontext ihrer Arbeit.
Nicht nur politische Entwicklungen und Sicherheitsgefahren machen die Berichterstattung immer schwieriger, sondern auch die finanziell angespannte Lage. Die Gesamtbewertung von Reporter ohne Grenzen setzt sich aus Einzelwertungen zusammen. Punkte gibt es dabei auch für die wirtschaftliche Lage der Presse im jeweiligen Land. Nur in Norwegen wird sie als „gut“ bewertet, in 169 Staaten mindestens als „problematisch“. (dpa/rnd)