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Roland KochAfD-Wähler treiben die Republik nach links

6 min
Das Bild zeigt den ehemaligen hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) Foto: IMAGO / Uwe Koch.

Der ehemalige hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU).

Hessens Ex-Ministerpräsident warnt, ohne Wirtschaftswachstum seien so harte Einschnitte nötig, dass es zu demokratischen Verwerfungen kommen könnte.

Die frühere Bundeskanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel war dem einstigen hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch zu liberal. Der in der Union bis heute einflussreiche Vertreter der Konservativen gehörte zu denen, die Friedrich Merz zum Wiedereinstieg in die Politik drängten. Im Interview mit dem RND befürchtet der 67-Jährige nun aber das Scheitern von Sozialreformen und ruft Union und SPD zu gegenseitiger Unterstützung auf. Nach Jahren in der Wirtschaft leitet der Jurist nun in Frankfurt ein Regulierungs-Forschungszentrum.

Herr Koch, Friedrich Merz ist nach etwas mehr als 100 Tagen als Bundeskanzler mit sich und seiner Regierung unzufrieden. Teilen Sie das?

Wenn jemand sagt, diese ersten rund 100 Tage seien absolut zufriedenstellend, dann wäre das ja auch übertrieben. Es ist offensichtlich, dass es handwerklich Verbesserungsbedarf gibt und die Regierung noch nicht richtig eingespielt ist. Dass die Regierungsparteien sehr unterschiedliche Erwartungen haben und die Spannungen in der Gesellschaft groß sind, macht es emotional und sachlich nicht einfacher. Aber eine Regierung muss auch nicht ständig wie ein geputzter Tanker fahren. Gutes Regieren bedeutet, nach heftigen und stürmischen Diskussionen am Ende zu guten Entscheidungen für das Land zu kommen. Es ist schwierig, aber es kann gelingen.

Die Koalition hat sich schon über die Wahl der Juristin Frauke Brosius-Gersdorf zur Verfassungsrichterin zerstritten. Wie hätte sich das verhindern lassen und wie groß ist der Schaden?

Frau Brosius-Gersdorf hätte niemals die Bestätigung der Union im Richterwahlausschuss des Bundestags bekommen dürfen. So wie es gelaufen ist, hätte es nicht laufen dürfen. Das Thema wird aber von den Medien maßlos überschätzt. Deutschland hat wirklich andere Probleme als diese Richterwahl. Dass die Koalition an dieser Wahl scheitern könnte, halte ich für völlig ausgeschlossen.

Es gab aber nun mal die Zustimmung des Richterwahlausschusses. Hätten Friedrich Merz und Unionsfraktionschef Jens Spahn die Unionsfraktion eindringlicher daran erinnern müssen, dass Zusagen an den Koalitionspartner eingehalten werden müssen?

In so einer verfahrenen Lage kann man nicht einfach mit einem Basta-Befehl in geheime Wahlen gehen. Jens Spahn hat richtig reagiert, als er eingeräumt hat, dass die geheime Wahl scheitern wird. Natürlich wird die Schuld dafür bei ihm als Fraktionsvorsitzendem abgeladen, aber es gab schon ein paar mehr Beteiligte.

Das Bild zeigt Jens Spahn bei einem Auftritt in Köln. Foto: Frank Überall

Stand im Fall Brosius-Gersdorf in der Kritik: Unions-Fraktionschef Jens Spahn.

Kanzler Merz hat im Zusammenhang mit diesem Streit jede Abstimmung im Bundestag als Gewissensentscheidung der Abgeordneten bezeichnet und damit in Frage gestellt, dass sich Abgeordnete wie bisher der Mehrheit der Fraktion beugen. Was sehen Sie da an Chaos auf die Koalition zukommen?

Ich bin da nicht so pessimistisch. Eine Gewissensentscheidung ist ja nicht, gegen ein Gesetz zu stimmen, weil man es in Gänze oder in Teilen schlecht findet. Jeder Abgeordnete muss sich die Frage stellen, ob er seine einzelne Position für so bedeutend hält, dass er bereit ist, dafür das große Ganze zu gefährden und damit dem Land zu schaden. Ich gehe davon aus, dass die Abgeordneten von CDU, CSU und SPD vernünftig genug sind, mit ihrem Gewissen am Ende das für Deutschland Richtige zu tun – und sei es notfalls mit schmerzverzerrtem Gesicht.

Für die Richterwahl braucht die Koalition im Bundestag eine Zweidrittelmehrheit, also die Unterstützung der Grünen und außerdem von Linkspartei oder AfD. Sollte die Union also mit der Linkspartei reden, trotz des Unvereinbarkeitsbeschlusses?

Dass in parlamentarischen Debatten Fraktionen miteinander reden, um das Parlament nicht zu blockieren, ist öfter der Fall, ja normal. Aber nicht jede Entscheidung, die man trifft, damit der Staat handlungsfähig ist, ist gleich eine Zusammenarbeit, die den Unvereinbarkeitsbeschluss der Union berührt. Die Linkspartei darf allerdings nicht glauben, dass sich daraus ein grundsätzliches politisches Mitspracherecht ableitet.

Die in Teilen rechtsextreme AfD ist in manchen Umfragen an der CDU vorbeigezogen, in Ländern wie Sachsen-Anhalt, wo im kommenden Jahr gewählt wird, steht sie auf Platz 1. Lässt die Union sich doch noch auf eine Zusammenarbeit ein?

Die CDU bleibt nur dann Volkspartei, wenn sie an dieser Stelle absolut klar bleibt. Die Zusammenarbeit mit dieser Partei ist nicht möglich. Das liegt an ihrem Programm und an ihren Funktionären. Die Führung der AfD stimmt nicht mit unserer Verfassung, unserem Menschenrechtsbild und mit unserer Verortung in der westlichen Welt und der Europäischen Union überein. Und die Führung der AfD sind für mich nicht zwei, drei Leute an der Spitze, sondern das ist der ganze Bundesparteitag, dessen Delegierte von der Basis bestimmt worden sind, um die AfD zu repräsentieren. Und es geht auch nicht um Einzelpunkte der Sachpolitik. Da mit Pragmatismus zu argumentieren, halte ich für einen schweren Fehler. Die Wählerinnen und Wähler sollten sich vor Augen halten: Wenn sie AfD wählen, wird die Republik linker.

Das Bild zeigt den ehemaligen Ministerüpräsidenten von Hessen, Roland Koch. Foto: Boris Roessler / dpa

Die meisten AFD-Wähler sind für Hessens Ex-Ministerpräsidenten Roland Koch einfach nur stinksauer darüber, dass die Politik keine Probleme löst.

Warum das denn?

Ganz einfach: Hätten die AfD-Wähler bei der Bundestagswahl auch nur zur Hälfte stattdessen die Union gewählt, hätte es nicht die Notwendigkeit einer großen Koalition gegeben. Natürlich zieht die SPD die CDU in einem gemeinsamen Bündnis nach links. Damit wird die Politik weniger konservativ. Die meisten AfD-Wähler wollen nicht die Verfassung umstoßen. Sie sind einfach stinkesauer, weil sie den Eindruck haben, dass die Politik keine Probleme löst.

Unzufriedene hat es immer schon gegeben. Warum wirken die jetzt so dominant?

Das ist offensichtlich ein Phänomen der modernen Demokratien. Die Wählerinnen und Wähler sind quer durch Europa aggressiver und auch unzufrieden. Die Migrationspolitik ist dabei ein Triggerpunkt. Dazu kommen soziale Unsicherheiten und in Deutschland wie Europa die Tausenden Vorschriften und Normen, die die Leute verrückt machen. Wer gegensteuern will, muss Führungsverantwortung zeigen und sich auch um die kleinen Probleme kümmern. Denn die schmerzen oft viel mehr als die großen.

Der Bundeskanzler hat in Moldau am Unabhängigkeitstag vor 80.000 Menschen gesprochen, die in Freiheit und in einer Demokratie leben wollen. Ist das Klagen über zu viele Vorschriften in Deutschland und ein angeblich schlecht funktionierendes Land Ausdruck von Wohlstandsverwöhnung?

Tatsächlich: Diesem Land geht es trotz aller Herausforderungen und Sorgen nach wie vor vergleichsweise gut. Das hat zu einer Selbstbezogenheit von Menschen geführt, die das Bewusstsein für gemeinschaftliche Verpflichtungen und Rücksichtnahmen zurückgedrängt hat. Die Deutschen sind krisengelassen geworden – man kann schließlich immer davon ausgehen, dass es irgendwo eine Kontonummer gibt, die man angeben kann, um den Schadensersatz für die Krise zu bekommen.

Was empfehlen Sie?

Es nützt nichts, permanent darüber zu lamentieren, dass die Menschen nicht mehr in der Lage sind, Zumutungen zu ertragen. Stattdessen sollten wir darüber reden, welche Bedeutung unsere Freiheit hat. Es gilt, der Bevölkerung zu vermitteln, dass Freiheit und Wohlstand nicht dadurch zustande kommen, dass da ein paar Politiker rumturnen, sondern nur, wenn die Gesellschaft und jeder Einzelne ihren Beitrag leisten.

„Genehmigungswahnsinn mit Handkantenschlägen eingrenzen“

Gilt das auch für die Unternehmen? Der vorige Kanzler Olaf Scholz hat denen attestiert, Jammern gehöre zu ihrem Geschäft.

Wirtschaft ist keine Gesinnungsveranstaltung, sondern versucht immer, ihre Interessen zu optimieren. Es ist ein Problem, dass wir eine Wirtschaft geschaffen haben, in der nahezu jeder Vorgang subventioniert wird. Ob wir tanken, ein Auto kaufen, ein Haus bauen, Strom beziehen, eine Gesundheitsdienstleistung annehmen – nie geht es dabei um das tatsächlich beste Angebot und um Wirtschaftlichkeit, überall mischt der Staat mit. Deswegen ist Deregulierung eine der zentralen Aufgaben der Bundesregierung. Es ist die Voraussetzung für mehr Wirtschaftswachstum.

Das Bild zeigt Roland Koch (CDU, links) und Angela Merkel (rechts) bei der Vorstellung eines Buches von Koch im Berliner Kulturkaufhaus Dussmann.

War ihm zu liberal: Ex-Ministerpräsident Roland Koch (links) mit der ehemaligen CDU-Vorsitzenden und Bundeskanzlerin Angela Merkel im Jahr 2010.

Auf welche Subventionen würden Sie als Erstes verzichten?

Windparks in Schwachwindgebieten zu fördern, ist absolut unnötig. Und mehrere hundert Millionen Euro in Computerspiel-Entwicklung zu stecken, ist ein teures Hobby. Ich würde mich auch nicht für die Mehrwertsteuersenkung für die Gastronomie verkämpfen.

Die Wirtschaft ist sehr froh über den Industriestrompreis ab Januar. Finden Sie diese Subventionen auch falsch?

Im Prinzip schon. Es ist nicht sinnvoll, Strompreise zu subventionieren. Aber aus dem tiefen Loch einer ökonomisch schlecht gemachten Energiepolitik kommen wir nur heraus, wenn wir vorübergehend weiter unterstützen. Es ist die historische Aufgabe der Wirtschaftsministerin, dass sie hier einen Umschwung schafft, ohne die Klimaziele aufzugeben.

Die Regierung hat einen „Herbst der Reformen“ angekündigt, der sich auf den Sozialstaat zu konzentrieren scheint. Ist das der richtige Fokus?

Die Kosten des Sozialstaats sind so gigantisch geworden, dass Nichtstun keine Option ist. Aber ich bezweifle, dass am Ende des Jahres große Reformen im Sozialbereich beschlossen sein werden. Das ist das klassische Thema, bei dem die Parteien kaum einigungsfähig sind. Wichtig wäre vor allem, dass die Koalition sich verständigt, wie sie das Vertrauen der Wirtschaft in den Investitionsstandort befördern kann. Nötig sind eine Reform der Energiepolitik, eine niedrigere Unternehmensbesteuerung - und der Genehmigungswahnsinn muss mit harten Handkantenschlägen eingegrenzt werden. Damit lässt sich Wirtschaftswachstum schaffen – was wiederum der Finanzierung der Sozialsysteme Luft verschafft. Wenn im nächsten halben Jahr keine wirtschaftliche Besserung eintreten sollte, gäbe das Anlass zu Sorge. Dann muss es zwingend so harte Einschnitte bei den Sozialsystemen geben, dass demokratische Verwerfungen zu befürchten wären.

Welche drei Punkte müssen erreicht worden sein, damit die Koalition sich als erfolgreich bezeichnen kann?

Erstens muss die Wirtschaft wieder wachsen. Wenn das nicht gelingt, wird alles andere nicht gelingen. Zweitens muss die Bevölkerung den Eindruck bekommen, dass Migration nicht ungesteuert stattfindet. Und drittens müssen Deutschland und Europa international so stark werden, dass wir uns in Solidarität mit anderen ausreichend schützen können, auch wenn bisherige Strukturen wie die Nato brüchig werden. Dafür müssen beide Partner sich unterhaken: Die SPD muss sehen, dass sie nur erfolgreich sein kann, wenn Merz erfolgreich ist. Und die CDU muss den Erfolg der Sozialdemokraten wollen. Das ist die Geschäftsgrundlage dieser Koalition.