„Ich warne davor, Russland zu unterschätzen“Deutscher Rüstungsmanager spricht über Putin und den Ukraine-Krieg

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Der russische Präsident Putin sitzt auf einem Stuhl. Hinter ihm steht eine Flagge.

Müller warnt vor Unterschätzung: „Die Russen sind lernfähig und sie lernen gerade“ (Archivbild)

Thomas Müller, Vorstand des Verteidigungselektronikkonzern Hensoldt, macht klare Ansagen.

Thomas Müller ist ein Mann klarer Worte. „Eine neue Ära liegt vor der Rüstungsindustrie“, sagt der 64-jährige Chef des Rüstungsunternehmens Hensoldt aus Taufkirchen bei München, das gerade in den Börsenindex MDax aufgestiegen ist. Er ziehe das Wort „Rüstung“ dem etwas verschämten Begriff „Verteidigungsindustrie“ vor, sagt Müller, denn genau darum gehe es gerade: sich zu rüsten.

Gegen wen, daran lässt der Manager bei seinem Besuch im Club Münchner Wirtschaftsjournalisten keinen Zweifel. „Ich warne davor, Russland zu unterschätzen“ betont er angesichts der Beharrlichkeit von Russlands Diktator Wladimir Putin. „Die Russen sind lernfähig und sie lernen gerade“, beobachtet Müller.

Russland hat immer eine Zeit gebraucht, um in Konflikten erfolgreich zu sein

Die Geschichte zeige, dass Russland immer eine Zeit gebraucht habe, um in militärischen Konflikten erfolgreich zu sein. Und Russland sei nicht das einzige Problem, das die globale Sicherheitsarchitektur bedrohe. Wenn Müller dann von China und Taiwan spricht, wo ein Großteil aller Computerchips weltweit produziert werden oder dem kurz vor einer Atombombe stehenden Terrorregime in Iran, durchziehen Sorgenfalten sein Gesicht.

Der Epochenwechsel, den die Welt gerade erlebe, sei fundamental und er werde in eine anhaltend diffuse Konfliktordnung münden, sagt der 64-jährige voraus. Für seine vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine mit einem Schmuddelimage kämpfende Branche fließt damit nun Milch und Honig, räumt er ein. Hensoldt steht dabei für moderne Hightech-Kriegsführung. Keine Rakete trifft ohne die Radargeräte der Taufkirchner, kein Panzer ohne deren Optronik.

Airbus-Abspaltung Hensoldt ist ein Elektronikspezialist

Die erst 2017 gegründete Airbus-Abspaltung ist ein Elektronikspezialist wie es ihn in Deutschland kein zweites Mal gibt. Europaweit ist nur die französische Thales im Bereich Rüstungselektonik größer, das allerdings um ein Mehrfaches. Auf 17,6 Milliarden Euro Umsatz kamen die Franzosen 2022. Hensoldt, das seine Erlöse seit der Airbus-Abspaltung verdoppelt hat, erlöste zuletzt 1,7 Milliarden Euro. Für 2023 peilt Müller zwei Milliarden Euro an.

Erste Aufträge aus dem 100 Milliarden Euro schweren Sondervermögen Bundeswehr sollen endlich in Taufkirchen ankommen. Kapazitätsaufbau ist die Folge. Bei der Produktion hochpräziser Radarsysteme, von denen zwei bereits in der Ukraine ihren Dienst tun und zwei weitere bestellt sind, geht Hensoldt in Vorleistung und baut auf Halde, um Lieferzeiten zu verkürzen, sagt Müller.

Sondervermögen schafft viele Jobs

Rund 1.600 Stellen werden jetzt binnen drei Jahren aufgebaut Das schafft Stellen. Dieses Jahr würden 600 Jobs aufgebaut und in den drei Folgejahren weitere rund 1.000 auf dann rund 8.000 Arbeitsplätze, kündigt Müller an. Betroffen seien vor allem deutsche Standorte, deren größte in Baden-Württemberg liegen. Allein in Ulm arbeiten knapp 2.800 Leute. Danach folgen Oberkochen mit 800 und die Zentrale in Taufkirchen mit 520 Mitarbeitern.

Technologisch bleibe Hensoldt bei der Elektronik unter zunehmender Zuhilfenahme künstlicher Intelligenz und werde nicht diversifizieren, stellt Müller klar. Er sieht seinen Konzern als Keimzelle für eine neue paneuropäische Konsolidierung in der Rüstungselektronik. Ein zweites Schwergewicht neben Thales könne so entstehen. Neben industriellem sei aber auch politisches Zusammenrücken in Europa nötig. „Wir können uns nationale Alleingänge nicht mehr erlauben“, sagt er im Angesicht einer vielfach noch an nationalen Egoismen orientierten Beschaffungspolitik.

Thomas Müller: Europa muss weiter zusammenrücken

Müller nennt entlarvende Zahlen. Mit 32 großen Waffensystemen kämen die USA als größte Militärmacht der Erde aus. 177 solcher Systeme erlaube sich Europa, was große Zersplitterung und Verschwendung mit sich bringt. Weniger wäre an der Stelle deutlich mehr, was aber die Politik entscheidet. „Gebt Brüssel fünf Milliarden Euro, um Waffensysteme für Europa zu beschaffen“, appelliert Müller und weiß, dass das derzeit ein frommer Wunsch bleibt.

Vor allem auch das militärisch-industrielle Selbstbewusstsein Frankreichs stehe dem entgegen. Anderenorts aber baut Müller auf mehr Kooperationswillen seitens Industrie und Politik. Auch mit Blick auf die US-Präsidentschaftswahlen 2024 sei das eventuell bitter nötig. Denn bei einem republikanischen US-Präsidenten Donald Trump oder Ron de Santis brauche Europa voraussichtlich dringend mehr Rüstungssouveränität.

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