Mutmaßliche Geheimdienst-LeaksRussischer nuklearer „Satelliten-Killer“ wirbelt Washington durcheinander

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Russlands Präsident Wladimir Putin und Russlands Industrie- und Handelsminister Denis Manturow besuchen eine Raumfahrtfabrik in Koroljow.

Russlands Präsident Wladimir Putin und Russlands Industrie- und Handelsminister Denis Manturow besuchen eine Raumfahrtfabrik in Koroljow.

Ein republikanischer Ausschussvorsitzender enthüllt mutmaßliche US-Geheimdiensterkenntnisse über eine neue weltraumbasierte Nuklearwaffe Moskaus. Der Kreml wittert ein Komplott, im Weißen Haus ist man verärgert. Doch die Ukraine-Hilfen kommen im Repräsentantenhaus weiter nicht voran.  

Jake Sullivan, der Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden, wirkte verärgert. „Ich kann hier vom Podium aus nicht mehr dazu sagen“, wehrte er am Mittwoch bohrende Journalistenfragen im Briefing Room des Weißen Hauses ab. „Alles was ich sagen kann, ist, dass ich mich an den Abgeordneten Turner gewandt habe, um ihn zu sehen. Turner hat das öffentlich gemacht.“ Dieses Vorgehen habe ihn „etwas überrascht“.

Kurz zuvor hatte Mike Turner, ein republikanischer Abgeordneter aus Ohio, der den Geheimdienstausschuss des Repräsentantenhauses leitet, mit einer ebenso ungewöhnlichen wie kryptischen Mitteilung das politische Washington in Aufregung versetzt. Der 64-Jährige warnte vor einer „schwerwiegenden Bedrohung der nationalen Sicherheit“ und forderte die Biden-Regierung auf, die Geheimhaltung der entsprechenden  Informationen über eine „destabilisierende ausländische militärische Fähigkeit“ aufzuheben. Offenbar hatte Sullivan mit Turner und anderen hochrangigen Parlamentarieren über genau jenes Material vertraulich reden wollen. Nun wird in Washington über den Inhalt wie über das Motiv der höchst seltsamen öffentlichen Intervention des parlamentarischen Geheimdienstaufsehers gerätselt.

„New York Times“ berichtet von weltraumbasierter Nuklearwaffe

Zumindest auf die erste Frage scheinen US-Medien eine Antwort gefunden zu haben. Der Sender ABC-News und die „New York Times“ berichten, das Weiße Haus habe den Kongress und Verbündete in Europa über neue, potenziell bedrohliche nukleare Fähigkeiten Russlands im All informiert. Demzufolge entwickelt Moskau eine weltraumbasierte Nuklearwaffe, die amerikanische Kommunikations-, Überwachungs- und Militärleit-Satelliten zerstören kann.

Mutmaßlich ist dieser „Satelliten-Killer“ noch nicht im Einsatz. Aber die USA hätten derzeit laut „New York Times“ keine Möglichkeit, ihre Raumflugkörper vor einem solchen Angriff zu schützen. Sollten die Informationen stimmen, würden sie eine bedeutsame Weiterentwicklung der technologischen Fähigkeiten Moskaus anzeigen und könnten eine  dramatische Wiederbelebung des Wettrüstens während des Kalten Krieges auslösen. Die neuen Waffen würden nämlich gegen den 1967 geschlossenen Weltraumvertrag verstoßen, der die Stationierung von Nuklear- und anderen Massenvernichtungswaffen im All verbietet.

Weißes Haus bestätigt Informationen nicht

Vom Weißen Haus gibt es für diese Informationen keine Bestätigung. Sullivan ging auf mehrere Nachfragen nach der Art der Bedrohung nicht ein, sondern antwortete lediglich: „Ich überlasse es Ihnen, irgendwelche Verbindungen zu ziehen.“ Die US-Regierung ist offenbar höchst verärgert über die Indiskretion des republikanischen Abgeordneten, weil sie befürchtet, dass sie dadurch wichtige Quellen verlieren könnte.

Das führt wiederum zur Frage nach der Motivation Turners, die bislang im Dunkeln liegt.  Einerseits hat er das Weiße Haus mit seinem Vorpreschen überrascht und versucht sich nun mit der Forderung nach der Aufhebung der Geheimhaltung der Unterlagen als Aufklärer zu inszenieren. Andererseits gilt der 64-Jährige im Gegensatz zu vielen isolationistischen Republikaner-Kollegen als Internationalist und setzt sich für die Stärkung der nationalen Sicherheit der USA ein. Auch befürwortet er die umstrittenen weiteren Militärhilfen für die Ukraine.

Trump-Sprecher sieht keinen akuten Grund zur Beunruhigung

Denkbar wäre also, dass der Abgeordnete auf die Dringlichkeit hinweisen wollte, Russland in seine Schranken zu weisen. So jedenfalls wird der Vorstoß in Moskau interpretiert, wo  zudem ein Komplott mit der Biden-Regierung unterstellt wird. „Es ist offensichtlich, dass das Weiße Haus mit allen Tricks und Raffinessen versucht, den Kongress zur Abstimmung über das Gesetz zur Bereitstellung von Geld (für die Ukraine) zu bewegen“, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Donnerstag.

Ob diese Wirkung durch die spektakuläre Enthüllung der neuen Bedrohung im All erreicht wird, ist allerdings fraglich. Mike Johnson, der Trump-freundliche Sprecher des Repräsentantenhauses, spielte die Dramatik jedenfalls spürbar herunter. „Wir arbeiten zusammen an dieser Sache“, erklärte er. Es gebe „keinen Grund zur öffentlichen Beunruhigung“.

Tatsächlich ist im Repräsentantenhaus weiterhin keine Mehrheit für das vom Senat beschlossene Ukraine-Paket in Sicht. Daran wird sich so schnell auch nichts ändern: Das Parlament wollte sich am späteren Donnerstag in eine zweiwöchige Sitzungspause verabschieden. Nach seiner Rückkehr Ende Februar dürfte es andere Prioritäten haben: Dann bleibt noch genau eine Woche, um einen erneut drohenden Shutdown mit dem Stillstand der Regierungsgeschäfte abzuwenden.

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