Attacken auf Scheinwahl in RusslandAnti-Putin-Milizen attackieren Belgorod und Wahllokale stehen in Flammen

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Ein Student der Maritimen Staatlichen Universität verlässt nach seiner Stimmabgabe bei Putins Scheinwahl in Russland eine Kabine in Wladiwostok.

Ein Student der Maritimen Staatlichen Universität verlässt nach seiner Stimmabgabe bei Putins Scheinwahl in Russland eine Kabine in Wladiwostok.

Anti-Putin-Milizen attackieren erneut russische Grenzgebiete. In Russland gibt es derweil einige Anschläge auf Wahlkabinen und Urnen. 

Die Angriffe von russischen Anti-Putin-Milizen in Diensten der Ukraine auf die Grenzgebiete Belgorod und Kursk in Russland während der Scheinwahlen in Russland beschäftigen weiter den Kreml. Präsident Wladimir Putin werde über die Angriffe auf dem Laufenden gehalten, sagte dessen Sprecher Dmitri Peskow am Samstag.

In der Nacht auf Samstag hätten die Milizen erneut versucht, über die Grenze vorzudringen, hieß es aus Moskau. „Alle Angriffe sind abgewehrt worden“, behauptete Peskow der Agentur Tass zufolge. Unabhängig waren seine Angaben nicht zu überprüfen.

Tote bei Angriffen auf Belgorod während russischer Scheinwahl

Vor Ort in Belgorod berichtete Gebietsgouverneur Wjatscheslaw Gladkow, dass die Stadt in der Nacht erneut beschossen worden sei. Zwei Menschen seien durch Raketenangriffe getötet worden, schrieb er auf Telegram. In der Nacht hatte er von mehreren Verletzten nach Drohnenattacken berichtet. Das russische Verteidigungsministerium teilte mit, dass angeblich acht Raketen im Anflug abgeschossen worden seien.

Dieses vom Telegramm-Kanal des Gouverneurs der Region Belgorod veröffentlichte Foto zeigt zerstörte und verbrannte Autos nach Beschuss.

Dieses vom Telegramm-Kanal des Gouverneurs der Region Belgorod veröffentlichte Foto zeigt zerstörte und verbrannte Autos nach Beschuss.

Auf Videos in sozialen Netzwerken waren Luftalarmsirenen zu hören. Fotos zeigten Brände und Schäden an Gebäuden. Auch am Tag wurde Luftalarm ausgelöst in der Großstadt, die etwa 50 Kilometer von der Ukraine entfernt liegt. Schon in den vergangenen Tagen hatte es im Gebiet Belgorod sowie im Gebiet Kursk Angriffe gegeben, zu denen sich russische Paramilitärs bekannten. Sie kämpfen aufseiten der Ukrainer und sind erklärte Gegner Putins.

Wladimir Putin reagiert persönlich auf Angriffe in Grenzregionen

Als Anzeichen dafür, dass der Kreml diese Entwicklung ernst nimmt, hatte Putin schon am Freitag persönlich reagiert. Er sagte, die Angreifer wollten die sogenannte Präsidentenwahl stören. Das werde aber nicht gelingen, weil das russische Volk sich geschlossen dagegen stellen werde.

Laut Kiew handeln die russischen Milizen wie die „Legion Freies Russland“ oder das von einem einst in Köln ansässigen Neonazi angeführte „Russische Freiwilligenkorps“ in Russland auf eigene Faust. Die russischen Einheiten hätten der Ukraine vom ersten Tag des Krieges im Februar 2022 geholfen, sagte der Chef des ukrainischen Militärgeheimdienstes HUR, Kyrylo Budanow, am Samstag im ukrainischen Fernsehen. „Wir versuchen, ihnen im Rahmen unserer Möglichkeiten zu helfen.“ Die Angriffe auf russische Grenzregion würden fortgesetzt, kündigte Budanow zudem an. 

Angriffe auf Belgorod nicht einzige Störaktionen bei Scheinwahl

In der Scheinwahl, die noch bis Sonntag dauert, will sich Kremlchef Putin eine fünfte Amtszeit sichern, von Experten wird die Abstimmung in Russland als Farce eingestuft. Nicht nur ist kein einziger ernst zu nehmender Oppositioneller zugelassen. Beobachter verweisen auch auf massenhaften Wahlbetrug und darauf, dass Moskau diese Scheinabstimmung auch in den illegalerweise besetzten ukrainischen Gebieten durchführt.

Die Angriffe auf die russische Grenzregion waren unterdessen nicht die einzigen Störaktionen bei der Wahlsimulation des Kreml. Auch russische Zivilisten lehnten sich am Freitag und Samstag mit unterschiedlichen Protestaktionen gegen den Kreml und die Scheinwahl auf.

Urnen mit Farbe getränkt, Molotowcocktail auf Wahllokal

In mindestens sieben russischen Regionen seien Wahlurnen mit grüner Farbe getränkt – und die darin enthaltenen Stimmzettel somit unbrauchbar gemacht worden, berichtete die „Moscow Times“. Mindestens vier Wahlkabinen seien zudem an verschiedenen Orten in Russland in Brand gesetzt worden. In St. Petersburg habe zudem eine junge Frau ein Molotowcocktail auf ein Wahllokal geworfen und sei daraufhin festgenommen worden, berichtete „Fontanka“.

Laut dem russischen Exil-Medium „Meduza“ kam es in Moskau außerdem zu Festnahmen von Wählerinnen und Wählern, die mit Sprüchen auf ihren Stimmzetteln gegen Putin und den Kreml protestiert hatten. So sei im Moskauer Bezirk Ramenki ein Wähler festgenommen worden, der „Putin ist ein verdammter Mörder“ auf seinen Stimmzettel geschrieben habe. In sozialen Netzwerken kursierten zudem Videos, die Repressionen durch russische Sicherheitskräfte gegenüber Wählern zeigen sollen – bis hin zur Kontrolle der „korrekten“ Stimmabgabe in der Wahlkabine. 

„Wenn ich nicht zur Wahl gegangen wäre, hätte es Probleme gegeben“

Gegenüber der Nachrichtenagentur AFP äußerten sich eine Russin resigniert angesichts der Scheinwahl in ihrem Land. „Die Tatsache, dass ich hier bin, wird nichts ändern“, sagte die 23-jährige Nadeschda der Agentur. Sie sei der „ernsten“ Aufforderung ihres Arbeitgebers gefolgt, an der Wahl teilzunehmen. „Wenn ich nicht zur Wahl gegangen wäre, hätte es für mich Probleme gegeben“, sagt Nadeschda beim Verlassen der Wahlkabine im Moskauer Standesamt Meschtschanski.

Ein Wahlhelfer hatte die 23-Jährige zur Wahlkabine begleitet und ihr erklärt, wie die Wahlmaschine funktioniert, bevor er ein paar Schritte zurücktrat, berichtete die AFP. „Ich habe die offensichtliche Option gewählt“, sagt Nadeschda. Wie die meisten Russen rechnet sie damit, dass Putin bei der dreitägigen „Wahl“, die bis Sonntagabend dauert, im Amt bestätigt wird. „Um mich herum sind wir alle an die Vorstellung gewöhnt, dass alles schon für uns entschieden ist und wir nichts dagegen tun können“, sagt Nadeschda, die ihren Nachnamen nicht nennen wollte. „Es ist alles irgendwie unecht.“ (mit dpa/afp)

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