Sicherheitsexpertin Major„Ein schwaches Russland ist nur auf den ersten Blick erfreulich“

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Wladimir Putin, Präsidenten von Russland, als er nach dem Gipfeltreffen der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) zu Journalisten spricht.

Der Westen hofft im Ukraine-Krieg weiter auf eine Niederlage Russlands. Ein Machtverlust des Vielvölkerstaats habe für Europa aber auch weitreichende Folgen, sagt die Sicherheitsexpertin Claudia Major.

Claudia Major warnt vor destabilisierenden Nebeneffekten einer russischen Kriegsniederlage. Erste Staaten würden sich von Moskau lösen.

Ungeachtet westlicher Sanktionen setzt Russland seinen Vernichtungskrieg gegen die Ukraine weiter fort. Am Ziel, die Einverleibung des Nachbarlands, hält Russlands Präsident Wladimir Putin unverhohlen fest.

„Russland setzt auf Krieg, Zermürbung der regelbasierten Ordnung und den Zerfall der Ukraine verbunden mit einer Abnutzung der öffentlichen Aufmerksamkeit im Westen“, sagte der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Er forderte: „Russland muss verlieren lernen, ansonsten wird es seine Kriegsziele nicht so einfach aufgeben.“

Folgen von Russlands Machtverlust sichtbar

Der Westen muss jedoch auch die Folgen aus einer Kriegsniederlage Russland bedenken. Darauf weist die Leiterin der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, Claudia Major, hin. „Jegliche Schwächung von Russland und das möglicherweise Auseinanderbrechen dieses Vielvölkerstaates hat eine enorm destabilisierende Wirkung auf Europa und darüber hinaus“, sagte sie im RND-Interview. „Auf den ersten Blick ist ein schwaches Russland also erfreulich, auf den zweiten Blick gibt es viele destabilisierende Nebeneffekte.“ 

Für Europa ergeben sich neue Herausforderungen: „Wir müssen uns fragen, wie wir mit dem möglichen Chaos umgehen, wenn Russland keine Führungsmacht mehr ist, etwa im zentralasiatischen Raum“, sagte Major.

Schon jetzt seien die Folgen bereits in Zentralasien, wo Russland eine hegemoniale Führungsmacht war, sichtbar. „Der Kreml wird dort nach den militärischen Niederlagen in der Ukraine als schwach wahrgenommen und erste Staaten wollen dies nutzen, um sich aus der Einflusssphäre Moskaus zu lösen.“

Aufflammende Konflikte in Zentralasien

Als Beispiele nannte Major die aufflammenden Konflikte zwischen Aserbaidschan und Armenien, Kirgisien und Tadschikistan sowie in Kasachstan. Laut Major sei eine größere Unterstützung der Ukraine notwendig, um Russland entscheidend zurückzudrängen und damit im besten Fall den Weg zum Frieden zu verkürzen.

„Um die russische Kommunikation, Logistik, Führung zu bekämpfen, braucht sie Drohnen, Artillerie und Raketenartillerie mit größerer Reichweite“, so Major im RND-Interview. „Um weitere Gebiete zu befreien, benötigt sie Kampfpanzer und Schützenpanzer.“ „Deutschland hat hier klar eine wichtige Chance vertan.“

Schon seit Monaten stockt die Debatte über die Lieferung von Kampf- und Schützenpanzer an die Ukraine. Das Kanzleramt blockiert die Abgabe der Panzer vom Typ Leopard 2 aus Deutschland und anderen Ländern. Da es sich um ein deutsches Modell handelt, benötigen auch andere Länder die Genehmigung des Kanzleramts für die Abgabe des Panzers an die Ukraine.

Andere Länder, darunter Polen, haben bereits Kampfpanzer geliefert, jedoch keine westlichen Modelle. „Kampf- und Schützenpanzer allein sind keine Wunderwaffe“, betont Sicherheitsexpertin Major, aber sie hätten sicherlich einen großen Unterschied gemacht – militärisch, aber auch in der politischen Signalwirkung. „Deutschland hat hier klar eine wichtige Chance vertan.“

Zwar habe die Bundesrepublik in den vergangenen zehn Monaten Waffensysteme wie IRIS-T, Panzerhaubitze 2000 und Mars-Raketenwerfer an die Ukraine abgegeben, was vor einem Jahr niemand für möglich gehalten hätten. Gemessen an dem, was die Ukraine für die Rückeroberung bräuchte, reiche das aber noch lange nicht aus. „Das ist die Tragik der deutschen Position. Wir haben eine bemerkenswerte 180-Grad-Wende vollzogen, aber müssten trotzdem noch mehr tun.“

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