Tickende ZeitbombeWie IS-Rückkehrer Ugur S. die NRW-Justiz vor große Probleme stellt

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Ugur S. Terror-Prozess

Ugur S. beim Prozess im Jahr 2016 im Landgericht Düsseldorf.

  • Die Strafverfolger in NRW listen Ugur S. als militanten Islamisten und haben ihm bereits vor drei Jahren einen Prozess wegen der „Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat“ gemacht.
  • Mangels Beweisen wurde er vom Terror-Vorwurf freigesprochen. Eine fatale Fehleinschätzung, wie sich kurze Zeit später herausstellte.
  • Ugur S. liefert eine Blaupause für jene Probleme, die sich durch die 250 islamistischen Gefährder in NRW ergeben.

Düsseldorf – Er nennt sich auch schon mal Dschihadist: Die Strafverfolger in Nordrhein-Westfalen listen ihn nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ als militanten Islamisten. In ihren Augen soll der vielfach vorbestrafte Ugur S. aus Mönchengladbach ein ehemaliger Kämpfer der Terror-Miliz „Islamischer Staat“ (IS) gewesen sein.

Die Generalstaatsanwaltschaft in Düsseldorf führt zwar ein Terrorverfahren gegen den niederrheinischen „Mudschaheddin“, bisher  aber kann er weiterhin in der radikal-islamischen Salafisten-Szene seine extremistischen Ansichten verbreiten. Wie zu erfahren war, soll Ugur S. in Mönchengladbach  etliche junge Anhänger um sich geschart haben.

Fall wie Amri soll auf jeden Fall vermieden werden

Nach dem Niedergang des IS in der Levante begegnet die hiesige Terrorabwehr solchen Entwicklungen mit hoher Aufmerksamkeit. Einen  Fall wie den des Anis Amri, der lange Zeit beobachtet wurde und  dennoch im Dezember 2016 auf einem Berliner Weihnachtsmarkt mit einem  Lkw elf Menschen tötete, wollen die NRW-Sicherheitsbehörden auf jeden Fall vermeiden.

Ugur S. zählt wie andere Rückkehrer zu jenen 250  islamistischen Gefährdern in NRW, die den Fahndern Sorgen  bereiten. Ein enormes Sicherheitsrisiko, eine tickende Zeitbombe, wie es unter Staatsschützern heißt. Der 34-Jährige liefert die Blaupause für jene Probleme, die sich durch mutmaßliche IS-Rückkehrer ergeben.

85 Rückkehrer seit Anfang 2018

Insgesamt sind während der vergangenen Jahre mehr als 1050 Islamisten aus Deutschland in Richtung Syrien und Irak ausgereist, um dort für die selbst ernannten Kalifats-Brigaden ins Feld zu ziehen. 350 von ihnen starben bei Einsätzen in Syrien und im Irak. Allein an Rhein und Ruhr zählen die Ermittler seit Anfang 2018 insgesamt 85 Rückkehrer, darunter 20 Frauen, die mit 19 Kindern aus der Dschihad-Region wieder nach Hause geflüchtet sind. 

In der Zentralstelle für Terrorismusbekämpfung in NRW bei der Generalsstaatsanwaltschaft Düsseldorf füllen meist islamistische Terrorverdächtige die Strafakten. Zuletzt ließ man den Kölner Radikalen Sabri Ben A. wegen  mutmaßlicher IS-Verbindungen verhaften. Insgesamt führen die Düsseldorfer fast 400 Verfahren in islamistisch-extremistischen Kreisen, fast die Hälfte gegen Gefährder. Dabei geht es auch um Körperverletzung, Diebstahl, Betrügereien und in  80 Fällen um staatsgefährdende Straftaten.

Freispruch vor drei Jahren

Bei dem mutmaßlichen IS-Anhänger Ugur S. allerdings suchen die rheinischen Strafverfolger bisher noch nach einem Hebel, um ihn zu stoppen. Vor drei Jahren bereits hatte die Staatsanwaltschaft dem Verbündeten des einstigen Salafisten-Predigers Sven Lau den Prozess wegen der „Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat“ gemacht. Mangels Beweisen wurde er damals von diesem Vorwurf  freigesprochen.

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Nach Ansicht der 4. Großen Strafkammer des Landgerichts Düsseldorf könne „nicht mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit“ festgestellt werden, dass sich S. in Syrien habe ausbilden lassen oder dass er an Kampfhandlungen teilgenommen habe. Möglicherweise habe er nur mit erfundenen Erlebnissen im heimischen Salafisten-Milieu geprahlt.

Ugur S. schloss sich 2014 dem IS an

Eine fatale Fehleinschätzung. Kurze Zeit später übersandte das Bundeskriminalamt (BKA) den NRW-Behörden den eindeutigen Beweis für die IS-Mitgliedschaft des Verdächtigen. Seinerzeit waren dem BKA gut 12500 Personalbögen von Schergen der Terror-Garde aus Syrien und dem Irak in die Hände gefallen. Mit den Registrierungspapieren erfasste die „Grenzverwaltung“ des IS Daten ausländischer Freiwilliger bei der Einreise in das von der Miliz besetzte Gebiet. Eines der IS-Dokumente belegte, dass Ugur S. sich im Sommer 2014 den Brigaden angeschlossen hatte, bevor er im Herbst 2015 wieder in Mönchengladbach auftauchte.

Das IS-Papier erreichte die zuständigen NRW-Stellen aber zu spät, so dass S. im Mai   2016 von den  Terrorvorwürfen freigesprochen wurde. Und laut Gesetz kann die Justiz Beschuldigte nicht zwei Mal für dasselbe Verbrechen auf die Anklagebank setzen. Experten nennen das  einen „Strafklageverbrauch“. Folglich müssen die Ankläger einen neuen juristischen Ansatz suchen, um ihn doch  als Dschihadisten überführen zu können. 

Verurteilt wegen Misshandlung von Verlobter und deren Sohn

Dass der Mann zu Gewalttaten neigt, bewies sich jedenfalls in dem Terror-Prozess. In dem Verfahren war er auch wegen schwerer Misshandlungen seiner Verlobten sowie deren elfjährigem Sohn angeklagt – und wurde deshalb zu zwei Jahren und neun Monate Haft verurteilt. Den Jungen hatte Ugur S. mit Peitschenhieben malträtiert, hatte ihn mit einem langen Tuch um Hals und Fuß gefesselt, so dass die Gefahr bestand, dass er sich selbst erdrosselte. Dabei trat S. ihm laut lachend ins Gesicht. In Syrien müssten die Kinder noch viel schlimmere Dinge aushalten, soll er gesagt haben. Durch Prügel würden Jungen zu guten Kämpfern.

Die schwangere Mutter des Jungen quälte der Mann  mit einem Messer, fügte ihr Schnitte zu, trat ihr in den Bauch, würgte und schlug sie. Nachdem Ugur S. seine Strafe verbüßt hatte, kam er am 14. März 2018 wieder frei und beschäftigt seither die Staatsschützer.

Ugur S. kann nicht abgeschoben werden

Zuletzt machte auch einer seiner vermutlichen Bekannten von sich reden: Raschid K., ein Tschetschene, der unter vielen Decknamen operierte. 2004 eingereist, unterhielt der 31-Jährige offenbar sowohl Verbindungen zum organisierten Verbrechen als auch in die muslimische Radikalenszene. 2018 fanden sich die Fotos von ihm mit einem Schnellfeuergewehr. Die Anti-Terror-Fahnder in Düsseldorf stuften ihn als Gefährder der höchsten Kategorie ein.

Bei einem Streit in einer Kölner Kneipe traf den stämmigen Flüchtling eine Kugel ins Bein. Bei einer Durchsuchung Ende April fanden die Ermittler eine Pistole nebst Munition. Nach langem juristischem Hin und Her wurde der abgelehnte Asylbewerber in der vergangenen Woche verhaftet. Da die russischen Behörden den Mann  angeblich nicht kennen, weigern sie sich seit 14 Jahren, ihm Ersatzpapiere auszustellen. Folglich kann er  nicht abgeschoben werden, sondern erhält stets aufs Neue eine Duldung.

Sein  Kumpel Ugur S. kann ohnehin nicht abgeschoben werden – er ist  in Mönchengladbach geboren und besitzt einen deutschen Pass. Und so zählen die  Staatsschützer den Mann  zu jenen Risikopersonen, die es ständig zu beobachten gilt. 

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