„Too close to call“Warum Joe Biden nicht zum Präsidenten erklärt wird

Lesezeit 3 Minuten
Biden Handyscreen

Ein Smartphone zeigt den Live-Stream des demokratischen Präsidentschaftskandidaten Joe Biden bei einer Rede in Wilmington.

Die Nachricht kam am Freitagnachmittag. Im US-Sender Fox zirkuliere eine Anordnung: Auch, wenn Joe Biden es auf genau oder mehr als 270 Wahlleute bringt, er dürfe nicht als „president-elect“, als designierter Präsident ausgerufen werden. Dieses Memo dürfte einige zum Stutzen gebracht haben, nicht nur wegen seiner Implikation in Hinsicht auf mögliche politische Agenden, sondern auch, weil es zur Frage führt: Legen Medien in den USA einfach selbst fest, wer eine Wahl gewonnen hat?

Die Fallstricke der Wahlberichterstattung in den USA werden nicht erst am Beispiel von Fox deutlich. Bereits bei der Präsidentschaftswahl im Jahr 2000 kam es zu Problemen: Damals erklärten Medien George W. Bush im Rennen gegen Al Gore zum Gewinner im Bundesstaat Florida und somit zum president-elect – nur um kurz darauf zurückrudern zum müssen. Das Rennen war doch zu eng. Neuauszählungen waren nötig, der Supreme Court wurde eingeschaltet. Am Ende lag das offizielle Wahlergebnis erst im Dezember vor.

Das könnte Sie auch interessieren:

Ähnlich wie in Deutschland arbeiten Medien in den USA bei bundesweiten Wahlen mit Prognosen und Hochrechnungen. Diese basieren auf Exit-Polls, also Wählerbefragungen nach der Stimmabgabe, und ersten Ergebnissen der Auszählungen. Die größten Medien der USA installieren dafür sogenannte „decision desks“: Teams von Statistikern und Datenanalysten, die Zahlen verarbeiten und Wahrscheinlichkeiten ableiten. Diese Teams liefern die Basis für eine Entscheidung zu einem „call“. Wenn laut ihrer Berechnungen mit großer Wahrscheinlichkeit ein Gewinner projiziert werden kann, ob in einem Staat oder bundesweit, wird dieser ausgerufen.

Dass bei diesen Calls nicht immer Einigkeit herrscht, zeigte zuletzt das Beispiel Arizona. Fox und die Nachrichtenagentur AP, die als eine der zuverlässigsten Quellen bei US-Wahl gilt, riefen Joe Biden als Gewinner in Arizona aus. Andere Medien, wie zum Beispiel CNN, hielten sich unterdessen zurück. Der Unterschied erklärt sich am Grad der Einberechnung von Trends. Während AP und Fox Trendanalysen in ihre Entscheidung mit einfließen ließen, wie zum Beispiel die Tendenz, dass Joe Biden bei Briefwahlstimmen deutlich besser abschneidet als Donald Trump, entschloss sich CNN dazu, näher an den reellen Zahlen zu bleiben. Ob AP und Fox dennoch richtig lagen, wird sich erst zeigen, wenn die Stimmen ausgezählt sind.

Kein bundesweiter Wahlleiter

Anders als zum Beispiel in Deutschland gibt es in den USA keinen bundesweiten Wahlleiter, der die Abläufe der Wahl überprüft und vorläufige sowie endgültige Ergebnisse offiziell bekanntgibt. Die Rolle einer eventuell nötigen, den Staaten übergeordneten Kontrollinstanz übernimmt im Zweifelsfall der US-Supreme Court. Dieser wird auch in der aktuellen Wahl einschreiten. Das Trump-Lager hat ihn bereits ersucht, einen Zählstopp in Pennsylvania zu erwirken – er

Dass Fox sich eventuell weigern will, den Call für einen president-elect zu machen, hat also nicht zwingend etwas mit einer politischen Pro-Trump-Agenda zutun, sondern könnte nach dem Debakel im Jahr 2000 schlicht bedeuten: Der Sender sieht mögliche gerichtliche Intervention als eine so große unbekannte Variable, dass er sich bei dieser Wahl mit eigenen Analysen nicht weiter aus dem Fenster lehnen will, als er es bei Arizona bereits getan hat. Dass Fox mit dieser vorsichtigen Einstellung nicht alle wäre, wird daran deutlich, dass noch kein großes Medium Biden als Gewinner ausgerufen hat, obwohl sein Wahlsieg selbst für Laien kaum noch abwendbar scheint. Noch kann Trump rein rechnerisch aufholen – so unwahrscheinlich es auch ist.

Udpate: Am späten Nachmittag des 7. November 2020 hat CNN den Call gemacht und Joe Biden zum presedent-elect erkärt. Andere decisions desks kommen einstimmig zum selben Ergebnis – darunter auch der von Fox. Die Auszählung der Stimmen in Pennsylvania hat ergeben, dass Bidens Vorsprung vor Donald Trump so groß ist, dass er nicht aufgeholt werden kann. Mit Pennsylvania gewinnt Biden die Wahl. Auch in Nevada wurde mittlerweile ein Biden-Sieg erklärt.

KStA abonnieren