KommentarGewinnt Joe Biden, wird er ein Präsident des Übergangs

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Noch ist nichts entschieden, doch Joe Biden hat gute Chancen, nächster US-Präsident zu werden.

Köln/Washington – Dreimal sind wir wach geworden. Dreimal blieben wir im Ungewissen. Die USA haben gewählt. Noch immer wartet das Land auf seinen nächsten Präsidenten. Und ungezählte Menschen in aller Welt mit ihnen. Inzwischen spricht fast alles dafür, dass es Joe Biden sein wird, der für die nächsten vier Jahre an der Spitze der Weltmacht USA stehen wird. Und Donald Trump – wird dann Geschichte sein.

So gut wie sicher ist es aber auch, dass diese jetzt schon historische Wahlschlacht ein lähmendes juristisches Nachspiel haben wird. Trump dürfte das Weiße Haus nicht kampflos räumen. Er wird die Justiz bis hin zum Obersten Gericht, dem Supreme Court, bemühen, um seine nun doch sehr wahrscheinliche Niederlage anzufechten. Dies hat er mit einer verstörenden Rede in der Nacht von Donnerstag auf Freitag erneut deutlich gemacht.

Der Präsident der Vereinigten Staaten sprach im Oval Office von einer „gestohlenen Wahl“, von einer „Betrugsmaschine“ der Demokraten, von „Korruption“. Der mächtigste Mann der westlichen Welt sät Chaos und Zwietracht. Er unterminiert die Demokratie .

Donald Trump, der Totengräber

Dieser Auftritt war ein Horror-Trip. Er wird sich als ein weiterer schlimmer – mutmaßlich aber nicht letzter – Baustein ins Schandmal eines Politikers einfügen, der ein Staatsmann hätte sein sollen, aber vier Jahre nichts anderes war als ein Totengräber der Institutionen, der Würde und der Werte seines Landes, die ihrem Anspruch nach universell sind.

Doch sieht es tatsächlich danach aus, dass es damit nun ein Ende hat. Trumps Gegenkandidat von den Demokraten ist auf der Siegesstraße. Mit einem Sieg Bidens im US-Bundesstaat Pennsylvania ist Trump der Verbleib im Weißen Haus verwehrt.

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Zieht Biden dort ein, wird es an vielen Stellen Korrekturen in der US-Politik geben. In der Gesundheits- und Klimapolitik wird Biden den erratischen Kurs seines Vorgängers verlassen und zur Vernunft zurückkehren. Er wird auch wieder eine respektierte Führungsrolle auf der Weltbühne anstreben, sich zur Nato bekennen und die Abstimmung mit den Bündnispartnern wiederbeleben.

Auch das deutsch-amerikanische Verhältnis wird sich deutlich bessern. Gut möglich, dass Biden bald nach einer Vereidigung im Januar nach Europa kommt und dann auch Deutschland besucht – wo Trump sich in vier Jahren Amtszeit kein einziges Mal blicken ließ.

Die größten Baustellen hätte Biden jedoch im eigenen Land vor sich. Die politische Landkarte der USA bleibt geteilt in blaue (demokratische) und rote (republikanische) Bundesstaaten. Spaltung und Polarisierung werden fortbestehen. Es wird landesweit zu heftigen innenpolitischen Konflikten kommen.

Joe Biden hat viele Amerikaner nicht erreicht

Joe Biden hat es im Wahlkampf nicht vermocht, einen Schwung auszulösen, der Trump nach vier Jahren in hohem Bogen aus dem Amt befördert hätte. Die demokratische „blaue Welle“ hat keineswegs die ganze Nation erfasst. Obwohl Trump in der Corona-Krise jämmerlich versagt, die demokratischen Institutionen von Beginn an bekämpft und das Oval Office beinahe täglich zum Ort einer Lügen-Show gemacht hat.

Insofern zeigt das Wahlergebnis zweierlei. Erstens: Donald Trump war kein Betriebsunfall der US-Geschichte. Die knappe Hälfte des Volkes sieht in ihm weiterhin die Galionsfigur eines anderen Amerika. Diese große Gruppe der weißen Wähler aus der Mittel- und Unterschicht wird weiterhin keine Ruhe geben. Sie wird dabei auf die Stärke der Republikaner im Senat setzen und auf den Supreme Court als konservatives Bollwerk.

Zweitens: Joe Biden spricht zwar davon, das Land einen zu wollen. Er hat es bislang jedoch nicht ansatzweise geschafft, der Trump-Wählerschaft ihre Sorgen und Nöte zu nehmen. Dabei geht es um die Zutaten des Amerikanischen Traums: um Aufstiegschancen und Sicherheit, um auskömmliche Gehälter, um Bildung.

Der Präsident des Übergangs?

Nach Jahrzehnten im Washingtoner Politikbetrieb und acht Jahren als Vizepräsident an der Seite von Barack Obama verkörpert Biden heute jenes politische „Establishment“, gegen das Trump unentwegt polemisiert hat. Biden vertritt zudem das Amerika der Metropolen mit ihrer liberal gesinnten Bürgerschaft, nicht das Amerika der unendlichen Weiten mit ihren konservativ eingestellten Bewohnern. Er wird beweisen müssen, dass er mehr ist als nur der Anti-Trump. Er wird auch zeigen müssen, dass er kein Präsident des Stillstands mit sehr begrenzten Handlungsspielräumen ist.

Das Land braucht eine neue Idee von Zukunft. Biden wäre ein Präsident des Übergangs. Es ist zu hoffen, dass er als Mann des Ausgleichs und des Kompromisses, der am Ende einer ersten Amtszeit 82 Jahre sein wird, die Kraft aufbringt, diesen Übergang zu gestalten.   

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