Immer, wenn man denkt, es könnte um die türkische Demokratie nicht noch schlechter bestellt sein, belehrt einen der Autokrat Recep Tayyip Erdoğan eines Besseren. Es ist nur zu hoffen, dass er den Bogen mit seinen Angriffen auf die CHP so sehr überspannt, dass er bricht, meint Felix Huesmann.
TürkeiErdoğan reißt die Ruinen der türkischen Demokratie weiter ein


Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan.
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Man muss sich die türkische Demokratie wie ein eingestürztes Haus vorstellen, von dem man immer dachte, der Schaden könnte kaum mehr größer werden. Der türkische Präsident ist in diesem Bild der Fahrer des Abrissbaggers, der immer noch eine Wand einreißt und mittlerweile selbst das Fundament abträgt.
Der jüngste Angriff Erdoğans auf die Überbleibsel der türkischen Demokratie richtet sich gegen die größte Oppositionspartei CHP. Vor rund hundert Tagen war der CHP-Politiker und Istanbuler Bürgermeister Ekrem Imamoğlu mit einer fadenscheinigen Begründung abgesetzt und inhaftiert worden. Jetzt wurden bei einem Großeinsatz gegen die Stadtverwaltung von Izmir mehr als 120 Menschen festgenommen. Die Stadt ist eine Oppositionshochburg und wird ebenfalls von der CHP regiert. Außerdem läuft ein Gerichtsverfahren mit dem Ziel, die Wahl des aktuellen CHP-Parteichefs für ungültig zu erklären. In Istanbul wurden Dutzende Erdoğan-Gegner nach einer Großdemo am Dienstag festgenommen.
Vielleicht treibt Erdoğan es diesmal zu weit
Wenn es Erdoğan gelingt, die Opposition auf diesem Wege für die nächsten Wahlen aus dem Weg zu räumen, bliebe nicht einmal der letzte blasse Anschein demokratischer Verhältnisse bestehen. Für den türkischen Präsidenten besteht die perfekte Demokratie darin, ihn und seine AKP alle paar Jahre wiederwählen zu dürfen. Alles, was seine Macht gefährdet, bekämpft er.
Diese schmerzliche Erfahrung haben besonders prokurdische Parteien in den vergangenen Jahren gemacht. Man kann nur hoffen, dass Erdoğan mit seinen Angriffen auf die CHP und ihre Wähler diesmal so weit gegangen ist, dass es ihm gefährlich wird. In Verbindung mit der schlechten wirtschaftlichen Lage der Türkei könnte dies das Ende seines autokratischen Systems einleiten. Doch diese Hoffnung wurde in den vergangenen Jahren schon mehrfach enttäuscht. Es könnte auch alles noch viel schlimmer werden.