Der Deutsch-Ukrainer pendelt seit 2022 zwischen Köln und dem Krieg. Über seine zwei Leben hat er bereits zweimal mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ gesprochen. Um Weihnachten fährt er zurück in die Ukraine.
Kölner kämpft für die Ukraine„Dieses schrille Surren der Drohnen macht Menschen kaputt“

Hugo bei einem Einsatz in der Ukraine. Das Bild wurde leicht bearbeitet, um unter anderem die genaue Position unkenntlich zu machen. Das Originalfoto liegt der Redaktion vor.
Copyright: privat
„Wir stehen mit dem Rücken zur Wand.“ Hugo wirkt frustriert, als er sich an den Tisch eines Kölner Cafés setzt. „Ich kann nichts Gutes erzählen“, sagt er wieder und wieder. Zwei Einsätze hatte er dieses Jahr im ukrainischen Militär.
Wenige Wochen vor dem Treffen hatte US-Präsident seinen 28-Punkte-Plan vorgestellt. Kritiker lesen darin eine Wunschliste des Kreml: Gebietsabtretungen, Verkleinerung der ukrainischen Armee, Verzicht auf Nato-Beitritt, Nichtangriffsabkommen.
Hugo, 38 Jahre alt, kurze, blonde Haare, wurde in Wowtschansk geboren, einer ukrainischen Kleinstadt nahe der russischen Grenze. 2010 folgte er seiner Freundin nach Deutschland und nahm die deutsche Staatsbürgerschaft an. Nachdem Russland am 24. Februar 2022 die gesamte Ukraine überfiel, schrieb er sein Testament, verabschiedete sich von seiner Freundin und schloss sich der ukrainischen Armee an. Heute pendelt er zwischen Köln und dem Krieg. Seinen Heimatort Wowtschansk haben russische Bomben inzwischen in ein Trümmerfeld verwandelt. Das Haus seiner Großmutter brannte nieder.
Alles zum Thema Blau-Gelbes Kreuz
- Kölner kämpft für die Ukraine „Dieses schrille Surren der Drohnen macht Menschen kaputt“
- Krieg in der Ukraine Wie der EU-Kompromiss zum russischen Vermögen aussieht
- Fleißig Geschenke gesammelt Burgweihnacht in Marmagen stand im Zeichen der Ukraine-Hilfe
- Für Kinder in Nikopol Stadt Leverkusen ruft zur Teilnahme an der Aktion „Friedensbox“ auf
- Drohnenangriff in Russland Zwei Tote bei ukrainischem Angriff auf Wolgaregion
- Krieg in der Ukraine Abteilungsleiter aus Ternopil in Erftstadt: „In Gedanken bei meiner Familie“
Über seine zwei Leben hat Hugo, der eigentlich anders heißt, bereits zweimal mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ gesprochen. Er erzählte von der Hoffnung, die er bis zum Morgen des 24. Februar hatte, dass Russland doch nicht angreifen würde und dann von seinem Alltag im Krieg. Kurz vor Weihnachten fährt er zurück in die Ukraine. Es wird seine zehnte Rotation.
„Die Infanterie und ihre Fahrer gehen das höchste Risiko ein“
„‘ Im Krieg ist kein Platz für Optimisten.‘ Das sagte mein erster Hauptmann zu Beginn der Vollinvasion zu uns. ‚Seid zu 70 Prozent Pessimisten, um zu erkennen, was passieren kann. Seid zu 30 Prozent Realisten und bereitet euch auf diese Situationen vor. Aber vergesst den Optimismus.‘ Heute kann ich ihn verstehen. Hoffnung schafft Illusionen, verdreht die Realität. Hoffnung ist ein Gift.“
Ich wurde dieses Jahr in zwei Rotationen der Armee eingesetzt. Bei einer blieb ich am Stützpunkt und trainierte Soldaten, das andere Mal war ich an der nachgezogenen Stellung der Gefechtslinie. Hier verbringen wir die Tage in Tunneln, koordinieren, reparieren, trainieren. Von hier aus evakuieren wir Infanterie-Soldaten auf den vorderen Stellungen. Während meines Einsatzes wurde unsere hintere Stellung zweimal mit Bomben angegriffen. Es fällt mir nicht mehr schwer, nach den Einschlägen zum Alltag zurückzukehren. Schwarzer Humor hilft sehr, und natürlich der Adrenalin-Schock. Dein Körper putscht dich in so einer Situation hoch, du fühlst dich unfassbar gut, weil du realisierst: Ich lebe noch. Auf Dauer haben sie trotzdem ihren Preis. Ich kann selten ohne Tablette schlafen.

Hugo bei einem Einsatz in der Ukraine. Das Bild wurde leicht bearbeitet, um die genaue Position unkenntlich zu machen. Das Originalfoto liegt der Redaktion vor. (Archivbild)
Copyright: Privat
Die Infanterie und ihre Fahrer gehen das höchste Risiko ein, denn der Weg zur vorderen Position und wieder zurück ist der gefährlichste Teil einer Rotation. Man durchquert die von Drohnen verseuchte Todeszone. Es ist die Hölle. Die Drohnen fliegen nicht nur über dir, sie verstecken sich, auf dem Boden, auf Mauern, auf Garagendächern, und warten. Kommt jemand vorbei, aktivieren sie sich und greifen an. Den Bereich hinter der Todeszone nennen wir Rote Zone. Auch hier sind Drohnenangriffe an der Tagesordnung. Die Rote Zone ist im Laufe des Krieges immer breiter geworden, weil die Drohnen heute dutzende Kilometer weit hineinfliegen können.
Dieses schrille Surren der Drohnen macht Menschen langfristig kaputt. Einige Infanterie-Soldaten blicken nach ihrer Rückkehr aus der vorderen Stellung nur noch gen Himmel. Auch dann noch, wenn sie längst in Sicherheit sind. Du kannst dir ihre Gesichter, ihre Augen bei der Rückkehr nicht vorstellen. Manche können nicht schlafen, wenn irgendwo ein rotes oder grünes Licht blinkt.
Natürlich ist Infanterie kein beliebter Job, aber er ist notwendig. Manche werden in die Infanterie versetzt. Andere sind so voller Wut, dass sie sich freiwillig melden. Ich kenne einen Kameraden, der seit 2014 kämpft und bereits in russischer Kriegsgefangenschaft war. Ein großer Teil seiner Familie ist bei Angriffen getötet worden. Ich glaube, er hat sich für die Infanterie gemeldet, weil er nichts mehr zu verlieren hat.
Im Februar haben wir vier Jahre Krieg. Vier Jahre, in denen die Ukraine die zweitmächtigste Armee der Welt zurückgehalten hat. Vier Jahre, die uns erfahrener und dadurch militärisch stärker gemacht haben, aber auch wütender, hasserfüllter. Der Hass steigt mit jedem Angriff, mit jedem Kameraden, der getötet wird.“
„Russlands Pläne gehen weiter als die Ukraine. Für dieses Szenario ist Europa nicht vorbereitet“
Im Gespräch legt Hugo immer wieder sein Handy auf den Tisch und tippt durch seine Videos, als lasse er lieber Bilder sprechen. Ein verlassenes Dorf an der Front, ukrainische Soldaten verharren in einem Hauseingang und kraulen einen Straßenhund, der sich an ihre Beine drückt. Der Hund läuft raus, auf die Straße, wo ein toter russischer Soldat neben seinem Maschinengewehr im Staub liegt. Dann: Hugo, der durch einen hölzernen Tunnel der ukrainischen Stellung führt. Ein kleiner schwarzer Kater, der über ein Feldbett tapst, Hugo nennt ihn Pedro. Hugos Kameraden, sie stehen mit schusssicherer Weste und Helm im Tunnelgang und grinsen in die Kamera. Eine Explosion erschüttert das Bild, die Soldaten zucken zusammen, Decken und Wände schütteln sich, das Licht flackert, Erde rieselt auf die Betten.
Hugo wischt weiter. Eine ukrainische Drohne überwacht die Evakuierung von Infanterie-Soldaten aus Hugos Einheit. Ihr Fahrzeug brettert über einen Feldweg, kurz hintereinander explodieren zwei Minen, der Fahrer wird langsamer, dreht um und gibt Gas. Es reicht nicht. Von hinten saust eine russische Rakete heran.
„Kurz nach meiner Rotation fiel ein Soldat, den ich selbst ausgebildet hatte. Wir nannten ihn Mars*. Normalerweise informiert das Militär sofort die Familie über den Tod, in Mars' Fall ging das irgendwie schief. Seine Familie machte sich Sorgen und kontaktierte mich, weil sie lange nichts von ihm gehört hatten. Ich rief sofort einen Kameraden an, als ich die Nachricht las. Er bestätigte mir, dass Mars tot war. Einen anderen Freund, der getötet wurde, nannten wir Kelvin*. Er war Fahrer und Sanitäter. Es war sein Fahrzeug, das in dem Video von der russischen Rakete getroffen wurde.
Viele meiner Kameraden sind in den letzten Jahren gefallen, um unsere Stellungen zu halten. Auch deshalb kann die Ukraine den sogenannten ‚Friedensplan‘ von Trump nicht unterschreiben. Wenn sie plötzlich wieder vor uns stehen würden – was könnten wir ihnen dann sagen? Tut uns Leid, ihr seid umsonst gestorben? Und wir vergessen all die Kriegsverbrechen, die russische Soldaten in der Ukraine verübten? Das geht einfach nicht. Wofür haben wir dann die letzten Jahre gekämpft? Der Plan fordert uns auf, die gesamten Bezirke Donezk und Luhansk aufzugeben – Gebiete, die Russland noch gar nicht erobert hat. Dazu gehören zwei große Städte, Kramatorsk und Slowjansk. Sehen wir echt wie Idioten aus? Der Donbass ist dicht bevölkert, ähnlich wie Nordrhein-Westfalen, und Städte können wir viel besser verteidigen. Überlassen wir die Städte Russland, kommen danach nur Felder. Wenn die Russen dann angreifen, marschieren sie durch. Das wäre unser Ende.
Ich sage schon seit Jahren, dass Russlands Pläne weiter gehen als die Ukraine. Für dieses Szenario ist Europa noch immer nicht vorbereitet. Nach einer Rotation traf ich mich mit Bundeswehr-Angehörigen und Reservisten. Ich fragte in die Runde: ‚Hat hier jemand Kampferfahrung?‘ Ein paar wenige hoben die Hand. ‚Vergesst sie‘, sagte ich. Wer vor 2024 gekämpft hat, kennt keinen modernen Krieg. Selbst Soldaten von uns, die zuletzt 2023 kämpften, waren 2025 komplett überfordert.
Die letzten vier Jahre haben mir die Hoffnung genommen. Auf die westlichen Länder, die uns nur genug Waffen geben, damit wir unsere Stellungen gerade so halten können. Auf die Menschheit. Ich habe keine Lust mehr. Nicht auf Leute, die nicht verstehen, was mit Europa passiert, wenn die Ukraine fällt. Nicht auf das Leben. Bitte versteh mich nicht falsch, ich werde mich nirgendwo herunterstürzen. Aber ich fühle mich, als hätte ich schon fünf Leben gelebt und würde meinem jetzigen Leben zugucken wie einem Kinofilm. Ich habe weder Wünsche noch Pläne.
Um Weihnachten herum fahre ich zurück in die Ukraine zu meinem nächsten Einsatz. Einmal, vor zwei Jahren, habe ich Weihnachten an der Front gefeiert. Damals war die Stimmung am Morgen echt mies, deshalb bin ich mit einem Kameraden losgezogen und habe Zutaten für ein Weihnachtsessen besorgt. Es war nichts Besonderes. Aber so konnten wir essen, quatschen und ein bisschen feiern.“
*Namen wurden geändert


