Kommentar zu Russlands KriegNoch ist die Ukraine nicht verloren

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Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bei einer Pressekonferenz mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Angesichts der Lage in der Ukraine muss der Westen nun die Nerven bewahren, kommentiert Matthias Koch.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bei einer Pressekonferenz mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Angesichts der Lage in der Ukraine muss der Westen nun die Nerven bewahren, kommentiert Matthias Koch.

Wladimir Putin erscheint im Augenblick stärker, als er ist. Der Westen muss jetzt einfach mal die Nerven bewahren.

Im „FAZ“-Feuilleton las man dieser Tage die Schlagzeile „Das Böse auf dem Siegeszug“. In dem Artikel kommen Menschen zu Wort, die vor Russlands Botschaft in Berlin an einer Gedenkaktion für Alexej Nawalny teilnahmen. Sie beschreiben Gefühle von Ohnmacht und Verzweiflung.

Es ist auch alles ein bisschen viel in letzter Zeit. Nach zwei Jahren Krieg addieren sich diverse Momentaufnahmen zu einem rundum düsteren Panorama. In der Ukraine haben russische Truppen die seit Oktober laufende große Schlacht um die Kleinstadt Awdijiwka gewonnen. In den USA blockiert der republikanische Sprecher des Repräsentantenhauses eine Abstimmung über neue Militärhilfen für Kiew. Und dann meldet Moskau auch noch den Tod des prominentesten Oppositionellen im Land.

Zwei Jahre Krieg in der Ukraine – nicht die Hoffnung verlieren

Hat Wladimir Putin sein Spiel schon gewonnen? Natürlich wünscht sich der Psychokrieger im Kreml maximalen Defätismus bei seinen Gegnern. In Wirklichkeit aber erscheint Putin im Augenblick stärker, als er ist. Der künftige Kriegsverlauf bleibt völlig offen, trotz des Durchhängers, den alle gerade spüren. Der Westen muss jetzt einfach mal die Nerven bewahren. Die militärischen Probleme jedenfalls sind analysiert, in jeder Gefahrenzone wächst schon das Rettende.

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Ja, die Ukraine muss derzeit Artilleriemunition rationieren. In wenigen Monaten aber wird man ein nie dagewesenes Hochlaufen der westlichen Produktion sehen, mit massiven Effekten auch auf dem Schlachtfeld. Ja, die Ukraine braucht mehr Feuerkraft über längere Distanz. Hochmoderne GLSDB-Systeme (Ground Launched Small Diameter Bombs) aber, die genau diesen Wunsch erfüllen, treffen just dieser Tage in der Ukraine ein, aufgrund längst ergangener Nato-Beschlüsse.

Das Problem des Westens liegt in einem Zeitverzug. Statt diesen leider nicht mehr änderbaren Umstand täglich zu bejammern, sollten die Ukraine und ihre Freunde eine neue Strategie daraus machen. Kiew wäre gut beraten, sich 2024 auf flexible Verteidigung zu konzentrierten und eine neue Gegenoffensive erst 2025 zu starten.

Putin scheint zu glauben, die Zeit arbeite unendlich für ihn. Dies könnte sich als großer Fehler erweisen. Derzeit tüfteln westliche Techies an Methoden, die neuen Drohnen aus russischer Fertigung durch Jamming massenhaft vom Himmel zu holen. Im Kampf gegen Raketen und Jets lernen die Logarithmen der Systeme Patriot und Iris-T sogar von sich aus laufend dazu. Jüngst gingen gleich drei moderne russische Bomber an einem Tag krachend zu Boden.

Ukraine könnte einen Gegenoffensive 2025 starten

Das Training ukrainischer Piloten an F-16-Kampfjets übrigens hat schon begonnen, es läuft derzeit in Dänemark und Arizona. In westlichen Geheimdienstkreisen zitiert mancher augenzwinkernd den berühmten Satz „Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“ Eins zumindest steht fest: Die allseits beklagten deprimierenden Momentaufnahmen dieser Tage bieten nicht das komplette Bild.

Bei näherem Hinsehen zeigen die Gesellschaften des Westens sogar eine bemerkenswerte Resilienz. Die Amerikanerinnen und Amerikaner jedenfalls ticken offenbar weniger isolationistisch als Donald Trump. In einer Umfrage des renommierten Instituts Pew Research sagen 74 Prozent, im Konflikt zwischen Russland und der Ukraine gehe es auch um nationale Interessen der USA.

Während durch Medien und Talkshows immer wieder der Begriff Kriegsmüdigkeit geistert, zeigen sich die Deutschen beim Thema Waffenlieferungen erstaunlich stur. Nach 51 Prozent im Januar sprechen sich im jüngsten Politbarometer der Forschungsgruppe Wahlen 62 Prozent dafür aus, dass die EU-Staaten der Ukraine mehr Waffen und Munition liefern. 32 Prozent sind dagegen.

Auch diese Zahlen zeigen: Noch ist Kiew nicht verloren. (RND)

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