„Putin ist ein Monster“Schicksalsfragen ohne Antworten auf der Münchener Sicherheitskonferenz

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17.02.2024, Bayern, München: Wolodymyr Selenskyj (l), Präsident der Ukraine, nimmt an einer Pressekonferenz mit US-Vizepräsidentin Kamala Harris (r) während der Münchner Sicherheitskonferenz im Hotel Bayerischer Hof in München teil.

Wolodymyr Selenskyj (l), Präsident der Ukraine, nimmt an einer Pressekonferenz mit US-Vizepräsidentin Kamala Harris (r) während der Münchner Sicherheitskonferenz im Hotel Bayerischer Hof in München teil. Selenskyj ist nach München gekommen, um den europäischen Verbündeten noch einmal sehr klarzumachen, in welch dramatischer Lage sich seine Streitkräfte im Abwehrkampf gegen die russischen Angreifer befinden.

Bei den großen aktuellen Schicksalsfragen herrscht auf der Münchner Sicherheitskonferenz Ratlosigkeit.

Es ist eine eindringliche Warnung, die Wolodymyr Selenskyj beim wichtigsten Politiker- und Expertentreffen zur Sicherheitspolitik an seine Verbündete richtet. „Wir müssen gemeinsam in einem Team agieren. Wenn die Ukraine alleine dasteht, dann werden Sie sehen, was passiert: Russland wird uns zerstören, das Baltikum zerstören, Polen zerstören - es ist dazu in der Lage“, sagt der ukrainische Präsident am Wochenende bei der Münchner Sicherheitskonferenz. Den russischen Präsidenten Wladimir Putin nennt er in seiner Rede ein „Monster“.

Selenskyj ist nach München gekommen, um den europäischen Verbündeten noch einmal sehr klarzumachen, in welch dramatischer Lage sich seine Streitkräfte im Abwehrkampf gegen die russischen Angreifer befinden. Kurz vor seiner Rede haben die Russen die ostukrainische Stadt Awdijiwka erobert - ein schwerer Rückschlag. Die Munition wird langsam knapp, es fehlen Waffen mit großer Reichweite wie zum Beispiel die deutschen Taurus-Marschflugkörper, auf die die Ukraine seit einer Anfrage im Mai vergeblich wartet.

Selenskyj verlangt „Reaktion von uns allen“

„2024 erwartet eine Reaktion von uns allen“, sagt Selenskyj. Gemeint sind damit die europäischen Verbündeten, aber vor allem die USA, der mit Abstand größte Waffenlieferant der Ukraine. Seit Monaten gibt es von dort keine neuen Zusagen für neue Militärhilfe. Ein Paket im Wert von 60 Milliarden US-Dollar (etwa 56 Milliarden Euro) hängt im Kongress fest. Der Senat hat zwar zugestimmt, aber die höhere Hürde ist das Repräsentantenhaus, die zweite Parlamentskammer. Dort ist der Widerstand der Republikaner von Ex-Präsident Donald Trump noch größer.

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Etwa ein Dutzend der republikanischen Kongressmitglieder sind nach München gekommen. Sie gehören dort zu den gefragtesten Gesprächspartnern. Kanzler Scholz spricht mit einigen von ihnen, Außenministerin Annalena Baerbock auch und natürlich Selenskyj.

US-Vizepräsidentin Harris: „Es gibt nur Plan A“

Der republikanische Senator J.D. Vance, ein Hardliner aus dem Trump-Lager, schätzt die Chancen einer Zustimmung auf 50 zu 50. Den Vorwurf, dass der Widerstand ein wahltaktisches Manöver ist, will er nicht gelten lassen. „Die Republikaner blockieren das Ukraine-Paket nicht wegen Trumps Wahlkampf. Die Republikaner stehen dem Ukraine-Paket skeptisch gegenüber, weil sie glauben, dass es nicht im besten Interesse unseres Landes ist.“ Sie sehen etwa den Kampf gegen die illegale Migration über die Südgrenze ihres Landes als eine Priorität an.

Wie viel die Europäer beim Ausbleiben der US-Hilfe kompensieren könnten, kann in München niemand so richtig sagen. Auch einen anderen Plan B hat niemand so richtig parat. „Es gibt nur Plan A, der sicherstellen soll, dass die Ukraine bekommt, was sie braucht“, sagt US-Vizepräsidentin Kamala Harris nach ihrem Treffen mit Selenskyj.

Trumpist Vance: „Natürlich lieben wir unsere Nato-Verbündeten“

Wenn Trump bei der Wahl am 5. November gegen US-Präsidentenwahl gegen Amtsinhaber Joe Biden gewinnen sollte, könnten noch ganz andere Schicksalsfragen auf die Europäer zukommen. Das hat der 77-Jährige mögliche Kandidat pünktlich zur Sicherheitskonferenz klargemacht, indem er den militärischen Beistand für Nato-Verbündete in Frage stellte, die nicht genug für ihre Verteidigung zahlen.

Das Thema wird in München allerdings abmoderiert, selbst von dem Trumpisten Vance. „Natürlich lieben wir unsere Nato-Verbündeten“, sagt er. „Wir schätzen das Nato-Bündnis, und das gilt für das gesamte politische Spektrum.“ Aber Europa - allen voran Deutschland - müsse selbstständiger werden in Sicherheitsfragen, das sei die Botschaft Trumps.

Kaum Hoffnung für den Nahen Osten

Und dann ist da in München auch noch das Thema Nahost, der Krieg im Gazastreifen, mit dem Israel auf den beispiellosen Angriff der Hamas vom 7. Oktober reagiert. In Dutzenden Gesprächen loten Spitzenpolitiker wie Scholz und Baerbock hinter den Kulissen aus, wie sich ein noch größeres Leid der Zivilbevölkerung verhindern lassen und eine langfristige Lösung des Konflikts aussehen könnte.

Doch mit Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu fehlt einer der entscheidenden Akteure auf der Gästeliste in München. Er musste aus der Ferne vor den vermutlich dramatischen Folgen der derzeit geplanten israelischen Bodenoperation in Rafah im Süden des Gazastreifens gewarnt und daran erinnert werden, dass seine Ablehnung einer Zwei-Staaten-Lösung aus westlicher Sicht inakzeptabel ist.

Der als höchste Repräsentant Israels nach München gereiste Staatspräsident Izchak Herzog machte den Teilnehmern der Sicherheitskonferenz auch keinerlei Hoffnung auf einen schnellen Beginn von Gesprächen über eine langfristige Friedenslösung. Angesprochen auf die Frage, ob ein palästinensischer Staat noch möglich sei, sagt er: „Es wird nicht passieren, wenn wir keine wirklichen Lösungen für die Frage der Sicherheit Israels finden.“ Derzeit erscheine ein palästinensischer Staat wie eine Belohnung für den Krieg, den die Hamas gegen Israel begonnen habe. Aus den beteiligten Delegationen heißt es, es habe gute Gespräche gegeben, echte Fortschritte aber nicht.

Der Tod Nawalnys und die Frage nach dem Zufall

Der bewegendste und stärkste Moment der Sicherheitskonferenz bleibt am Ende der spontane Auftritt von Julia Nawalnaja am Freitagnachmittag, nur wenige Stunden, nachdem der Tod ihres Mannes Alexej Nawalny bekannt gegeben wurde. In einer kurzen Rede ruft sie die gesamte internationale Gemeinschaft auf, das „furchtbare Regime“ in Russland zu besiegen.

Die russische Regierung war nicht zu der Konferenz in München eingeladen. Es gab einige in München, die den Tod Nawalnys als Putins Botschaft an die Ukraine und ihre westlichen Verbündeten in München verstanden. Als derjenige, der in Russland alle Entscheidungen treffe, trage Putin die Verantwortung, sagt beispielsweise Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur. Und zum Zeitpunkt fügte er hinzu: „Ich glaube, das ist kein Zufall.“

Auch über mögliche Konsequenzen zu Nawalnys Tod wurde in München diskutiert. Und dabei kam man schnell wieder auf die Ukraine zurück. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagt: „Der beste Weg, das Andenken an Alexej Nawalny zu ehren, ist die Unterstützung der Ukraine.“ (dpa)

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