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Deutliche Parallelen zur UkraineGroßmanöver, Lügen, Kriegssysteme – Moskau sorgt für Alarm im Baltikum

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Kremlchef Wladimir Putin bei einer Pressekonferenz. Die Äußerungen aus Moskau zum Baltikum werden jenen zur Ukraine vor dem Krieg immer ähnlicher. (Archivbild)

Kremlchef Wladimir Putin bei einer Pressekonferenz. Die Äußerungen aus Moskau zum Baltikum werden jenen zur Ukraine vor dem Krieg immer ähnlicher. (Archivbild)

Putins Armee kommt der Nato-Ostflanke im Baltikum immer näher. Nicht nur aus der Ukraine kommen drastische Warnungen. 

Was plant Kremlchef Wladimir Putin? Im Baltikum wächst angesichts dieser Frage die Anspannung. Denn die Signale aus Moskau sprachen zuletzt eine klare Sprache – und erinnerten mitunter an Russlands Schachzüge vor Beginn des Angriffskriegs gegen die Ukraine. Da ist etwa das geplante russisch-belarussische Großmanöver „Sapad“, das in diesem September in Belarus und damit in unmittelbarer Nähe zu Lettland, Litauen und Estland stattfinden soll.

Eine gleichnamige Übung hatte Putin im Herbst 2021 genutzt, um Zehntausende russische Soldaten an der Grenze zur Ukraine aufmarschieren zu lassen. Kurz darauf waren diese Truppen dann teilweise am Einmarsch in die Ukraine beteiligt. Im Baltikum und bei der Nato will man wegen der bedrohlichen Ähnlichkeit zur Lage vor dem Kriegsausbruch nun genau beobachten, was die russische Armee in wenigen Monaten nahe der Grenzen zum Baltikum vorhat.

Moskau veröffentlicht Propaganda-Lügen über das Baltikum

Gleichzeitig befeuert Russland die ohnehin bereits vorhandene Alarmstimmung im Baltikum weiter – und scheut dabei auch vor Geschichtsklitterung nicht zurück, wie das russische Außenministerium zuletzt auf der Plattform X eindrucksvoll belegte.

Dort erinnerte Außenamtssprecherin Maria Sacharowa an die „Gründung der Lettischen, Litauischen und Estnischen SSR“, die sich am 21. Juli zum 85. Mal gejährt habe. „Trotz der erheblichen Vorteile, die ihnen die umfangreichen sowjetischen Investitionen und Subventionen verschafften, sind diese Länder heute wirtschaftlich an den Rand Europas gedrängt worden“, fügte Sacharowa außerdem an.

Moskau lässt Hitler-Stalin-Pakt unter den Tisch fallen

Sowohl die Aussage über die Vergangenheit als auch die über die Gegenwart sind jedoch schlichtweg gelogen. Von einer „Gründung“ der sowjetischen Staaten im Baltikum kann keine Rede sein, die Länder wurden durch den Hitler-Stalin-Pakt ein Teil der Sowjetunion. Bei dem Nichtsangriffspakt, den Russland in seiner Geschichtsschreibung grundsätzlich gerne unter den Tisch fallen lässt, machte Moskau zunächst nämlich gemeinsame Sache mit Nazi-Deutschland.

„Im Bündnis mit Hitler teilte die Sowjetunion 1939/40 Ostmitteleuropa unter sich auf“, kommentierte der Historiker Matthäus Wehowski die jüngste russische Propaganda. Der sowjetische Herrscher Josef Stalin habe daraufhin unzählige Menschen im Baltikum „verhaften, deportieren und ermorden“ lassen, erklärte Wehowski.

„Russland verdreht und manipuliert die Geschichte“

Auch was das russische Außenministerium mit seinem Beitrag augenscheinlich bezwecken will, benannte der Historiker mit deutlichen Worten: „Das heutige Russland verdreht und manipuliert die Geschichte, um den jetzigen und künftige Kriege zu rechtfertigen“, lautete seine deutliche Warnung.

Im August 1939 unterzeichneten der Außenminister des Deutschen Reiches, Joachim von Ribbentrop (l.), und der sowjetische Außenminister Wjatscheslaw Molotow (vorn) den deutsch-russischen Nichtangriffspakt. Hinten ist Josef Stalin zu sehen.

Im August 1939 unterzeichneten der Außenminister des Deutschen Reiches, Joachim von Ribbentrop (l.), und der sowjetische Außenminister Wjatscheslaw Molotow (vorn) den deutsch-russischen Nichtangriffspakt. Hinten ist Josef Stalin zu sehen.

Moskaus Ausführungen über die wirtschaftliche Lage des Baltikums haben ebenfalls keinerlei Grundlage. Zwar habe die russische Wirtschaft seit der Machtübernahme von Putin durchaus einen Aufschwung erfahren, analysierte Bloomberg bereits im März 2022, kurz nach Kriegsbeginn. Mithalten mit der Entwicklung der baltischen Staaten könne Russland jedoch keineswegs, hieß es damals. „Die Ex-Vasallen der Sowjetunion, die der EU beigetreten sind, haben ihren Nachbarn wirtschaftlich weit hinter sich gelassen“, lautete das Fazit.

Russland kann mit baltischen Staaten nicht mithalten

Marko Mihkelson, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im estnischen Parlament, lieferte dazu nun die passenden Zahlen und wies auf die Entwicklung der Reallöhne in Europa zwischen 1994 und 2024 hin. Die größte Steigerung europaweit verzeichnen dort die ehemaligen Sowjet-Republiken, insbesondere das Baltikum. Estland, Lettland und Litauen konnten die Reallöhne in dem Zeitraum demnach um bis zu 290 Prozent steigern.

Ähnlich eindeutig fällt der Vergleich aus, wenn man auf das Bruttoinlandsprodukt (BIP) schaut, wie die Bloomberg-Analyse aus 2022 bereits aufgezeigt hatte. Auch hier hat das Baltikum Russland deutlich hinter sich gelassen. Während das BIP in Russland 2020 bei rund 22.500 Euro lag, erreichten die baltischen Staaten damals bereits deutlich höhere Zahlen. Litauen knackte die 30.000-Euro-Marke. In Lettland und Estland fiel die Entwicklung ebenso positiv aus.

Ukraine warnt vor Russlands Plänen im Baltikum

Angesichts der offensichtlichen Falschbehauptungen liegt daher der Verdacht nahe, dass Moskau mit derartiger Propaganda eine Bedrohungskulisse aufbauen möchte. „Die russische Regierung spricht zunehmend offen über ihre Absicht, in die baltischen Staaten Lettland, Litauen und Estland einzumarschieren“, lautete dementsprechend die Einordnung des ukrainischen Zentrums für strategische Kommunikation und Informationssicherheit (SPRAVDI) angesichts Moskaus Behauptungen über das Baltikum.

Mühe, diesen Verdacht zu entkräften, gibt man sich in Moskau unterdessen nicht. Kurz nach der anti-baltischen Propaganda in den sozialen Netzwerken wurde bekannt, dass der Kreml auch konkrete Maßnahmen zur Einschüchterung seiner baltischen Nachbarländer unternimmt.

Moskau verlegt Kriegsausrüstung an Estlands Grenze

Russland habe „elektronische Kriegsausrüstung“ nahe an Estlands Grenze verlegt, berichtete der estnische Innenminister Igor Taro gegenüber Bloomberg am Donnerstag. Demnach wurden Systeme in die Nähe der Stadt Kingisepp gebracht, die nur 20 Kilometer von Estlands Grenze entfernt liegt. Die Gerätschaften dienten dazu, die Kommunikation zu stören und Radarsysteme auszuschalten, warnte der Minister.

Auch verbal hatte Moskau zuletzt den Ton gegenüber dem Baltikum verschärft. So warf Kremlsprecher Dmitri Peskow den Küstenstaaten noch Mitte Juli vor, eine „aggressive Politik“ gegenüber Russland zu verfolgen und drohte damit, dass Moskau seine „Interessen“ in der Region „entschieden verteidigen“ werde.

Auch Boris Pistorius warnt vor Russlands Plänen

Westliche Geheimdienste warnten in den letzten Monaten immer wieder davor, dass die russische Armee innerhalb der nächsten fünf Jahre eine direkte militärische Bedrohung für die Nato darstellen könnte. Entsprechende Warnungen kamen dabei auch aus Deutschland, etwa von Verteidigungsminister Boris Pistorius.

Das Baltikum gilt dabei stets als wahrscheinlichstes Ziel einer denkbaren russischen Aggression. Russland könnte etwa versuchen, die Suwałki-Lücke zu schließen. Der schmale Korridor liegt zwischen der russischen Exklave Kaliningrad und Belarus und stellt die einzige Landverbindung zwischen Baltikum und Polen dar.

Drastische Worte aus Moskau: „Nicht existent“ und „Gesindel“

Dass man Litauen, Lettland und Estland in Moskau nicht als unabhängige Staaten betrachtet, macht derweil auch der ehemalige Kremlchef Dmitri Medwedew immer wieder mit drastischen Worten klar. Putins langjähriger Weggefährte sprach etwa vom „sogenannten Baltikum“, bezeichnete Lettland als „nicht existent“ und die Bewohner der Nachbarländer als „zweitklassiges Gesindel“.

Auch diese Äußerungen folgen einem Drehbuch, das stark an die russischen Vorbereitungen für den Krieg gegen die Ukraine erinnert. Mit Aussagen wie „Ukrainisch ist keine Sprache“ und „die Ukraine kein Land“ hatte Medwedew bereits früh kaum Zweifel an der faschistisch-imperialistischen Gesinnung in Moskau aufkommen lassen.

„Vilnius liegt nur 30 Kilometer von der belarussischen Grenze entfernt“

Mittlerweile formuliert auch Kremlchef Putin ganz offen Moskaus Anspruch auf die ehemaligen Sowjet-Republiken an Russlands Grenze. „Ich habe bereits gesagt, dass ich das russische und das ukrainische Volk als ein Volk betrachte. In diesem Sinne gehört uns die gesamte Ukraine“, erklärte Putin im Juni. „Wo der Fuß eines russischen Soldaten hintritt, das gehört uns.“ Das dürfte auch für das Baltikum gelten.

In Litauen, Estland und Lettland achtet man deshalb in diesen Tagen genau auf Russlands Worte und die Taten der russischen Streitkräfte nahe der eigenen Landesgrenzen. Moskau führe bereits jetzt „täglich einen hybriden Krieg“ gegen die baltischen Länder, warnte Litauens stellvertretender Verteidigungsminister Karolis Aleksa am Donnerstag angesichts der jüngsten Volten der russischen Propaganda. Dabei setzte der Kreml vor allem auf Sabotage, Cyberattacken und Desinformation.

„Vilnius liegt nur 30 Kilometer von der belarussischen Grenze entfernt – dem Verbündeten Russlands“, erklärte Aleksa. Angesichts der bedrohlichen Nähe zu Russland stehe das Baltikum nun „an vorderster Front der neuen Sicherheitsrealität Europas“, fügte der stellvertretende Verteidigungsminister an.