Ukrainer kehren in Heimat zurück„Ich will bei meiner Familie sein“

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Daria Ushakova in ihrer Heimatstadt Dnipro.

Daria Ushakova in ihrer Heimatstadt Dnipro.

Seit dem russischen Überfall sind Millionen Ukrainer aus ihrem Heimatland geflohen, mehr als eine Million davon kamen nach Deutschland. Einige davon sind inzwischen zurückgekehrt - obwohl der Krieg andauert. Was bringt sie dazu?

Daria Ushakova floh wenige Wochen nach dem russischen Überfall aus der Ukraine. Zuflucht fand die 19-Jährige im niedersächsischen Göttingen. Obwohl in der Ukraine kein Ende der Kämpfe absehbar ist, kehrte Ushakova kürzlich zurück in ihre Heimatstadt Dnipro. „Ich habe die Ukraine vermisst“, sagt die junge Frau mit den blondgefärbten Haaren und dem Nasenpiercing. „Ich will bei meiner Familie sein.“ Sie habe keine Ukrainer getroffen, die planten, über ein Ende des Krieges hinaus in Deutschland zu bleiben. „Alle wollen nach Hause.“

Graffiti, das Russen im Haus von Lesya Kolosenko hinterlassen haben.

Graffiti, das Russen im Haus von Lesya Kolosenko hinterlassen haben.

Ihrer Familie wäre es wegen des Krieges lieber gewesen, wenn sie in Deutschland geblieben wäre, sagt Ushakova, die vor dem Krieg einen Abschluss an einer Design-Schule in der Hauptstadt Kiew gemacht hat und nun eine Arbeit suchen will. Sie selbst habe seit ihrer Rückkehr aber keine Angst. „Ich fühle mich sicher, wenn ich bei meiner Familie bin. In Deutschland habe ich mehr Unsicherheit verspürt, weil ich nicht wusste, was mit meinen Angehörigen geschieht.“

Mehr als 14,4 Millionen Menschen in der Ukraine wurden seit Kriegsbeginn am 24. Februar aus ihren Häusern vertrieben, wie das UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR mitteilt. Mehr als die Hälfte davon hat zumindest zwischenzeitlich im Ausland Schutz gesucht. Befürchtet wird, dass der russische Präsident Wladimir Putin mit seinen Angriffen auf zivile Infrastruktur weitere Ukrainer dazu treiben möchte, in die EU zu flüchten – um dort die Lage weiter zu destabilisieren. Bislang ist eine dramatische Zunahme der Zahlen allerdings nicht zu erkennen.

Stattdessen sind in den vergangenen Monaten viele Ukrainerinnen aus dem Ausland wieder in ihre Heimat zurückgekehrt. Konkrete Statistiken dazu gibt es nicht. Der Migrationsforscher und Chef der Denkfabrik European Stability Initiative, Gerald Knaus, schätzt die Zahl derjenigen, die nach Kriegsbeginn am 24. Februar Zuflucht in der EU gesucht hatten, später aber wieder zurückgegangen sind, auf rund zwei Millionen.

Zu dieser Gruppe gehört Lesya Kolosenko. Der 48-Jährigen war die Flucht nur Stunden vor dem russischen Einmarsch in ihrer Heimatstadt Irpin am 5. März gelungen. Mit ihrem 14 Jahre alten Sohn fand Kolosenko Schutz in Efringen-Kirchen, einem 8000-Seelen-Ort in Baden-Württemberg. „Wir hatten nur die Kleidung dabei, die wir am Leib trugen, weil wir keine Zeit zu packen hatten“, sagt sie.

Lesya Kolosenko in ihrem Haus in Irpin.

Lesya Kolosenko in ihrem Haus in Irpin.

Kolosenko ist neben der Gastfreundschaft der Deutschen noch etwas anderes in Erinnerung geblieben: „Die Bürokratie in Deutschland ist einfach verrückt“, sagt sie. „Wenn ich zum Beispiel eine Kreditkarte beantrage, wird mir die Karte und die PIN-Nummer per Post zugeschickt.“ In der Ukraine komme die Karte binnen einer Minute elektronisch aufs Handy.

Bemerkenswert fand sie auch, wie unmodern Deutschland in manchen Punkten ist: Sie habe sich gewundert, dass Festnetztelefone immer noch verbreitet seien oder dass Prospekte von Discountern noch auf Papier gedruckt würden, sagt sie - statt einfach in der entsprechenden App zu erscheinen.

Zurückgekehrt ist Kolosenko – wie viele andere Flüchtlinge auch - vor allem wegen der Schule ihres Sohnes, die im September wieder begonnen hat. In der Zwischenzeit waren die russischen Truppen aus Irpin vertrieben worden, die sich auch im Haus der Familie breitgemacht hatten. In der Garage, in der die Besatzer die Wand beschmiert haben, steht noch der kaputte Fernseher der Familie. Die Soldaten haben auf den Bildschirm geschossen. Kolosenko sagt, die russischen Soldaten hätten geplündert, und sie hätten das Haus in einem furchtbaren Zustand hinterlassen. Das Bad sei voller Exkremente gewesen, im Schlafzimmer hätten benutzte Kondome gelegen.

Immerhin habe das Haus noch gestanden – anders als die Plastikfabrik, in der sie als Managerin gearbeitet habe. Seit deren Zerstörung sei sie arbeitslos. Trotzdem sei sie froh, wieder zu Hause zu sein, sagt die 48-Jährige. „Nach unserer Rückkehr haben wir ein großes Abendessen mit 35 Menschen abgehalten, um zu feiern, dass wir wieder in der Ukraine sind.“ Yelyzaveta Yatsuk kam im Juli als Krankenschwester bereits mit einem Job in der Tasche nach Berlin – dennoch war es auch für sie eine Flucht: „Ich habe in einem Krankenhaus nahe der Front gearbeitet“, sagt die 22-Jährige.

Yelyzaveta Yatsuk in Kiew.

Yelyzaveta Yatsuk in Kiew.

„Ich konnte den Krieg nicht mehr verkraften.“ Sie sei traumatisiert gewesen. Als in Berlin ein Feueralarm losging, habe sie gedacht, es handele sich um Luftalarm – mitten in Deutschland. „Ich dachte, der Dritte Weltkrieg wäre ausgebrochen.“ Ihr Arbeitgeber habe ihr eine Wohnung gesucht, überhaupt seien die Deutschen sehr hilfsbereit gewesen, sagt Yatsuk. „Sie wollten mir Lebensmittel, Kleidung und Geschirr geben, obwohl ich das alles weder benötigt noch gewollt habe.“

Berlin und der Job hätten ihr gefallen. Ihr sei aber immer deutlicher geworden, dass sie in ihrer Heimat gebraucht werde. „Die deutschen Patienten haben beim Abschied geweint, ich habe auch geweint. Mit manchen Patienten bin ich immer noch in Kontakt.“

Mitte September sei sie zurückgekehrt, sagt Yatsuk, die jetzt neben ihrer Arbeit als Krankenschwester Medizin in Kiew studiert. Ihr Vater, der selbst im Kampfeinsatz gegen die Russen sei, sei nicht glücklich über ihre Rückkehr – „er hat Angst um seine Tochter“. Wo sie künftig arbeiten wolle? Yatsuk überlegt nicht lange, bevor sie antwortet: „In einem Krankenhaus an der Front.“

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