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USA drohen der UkraineTrump setzt auf Thanksgiving-Erpressung – und Putin will noch mehr

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US-Präsident Donald Trump beim letzten Besuch von Wolodymyr Selenskyj in Washington Mitte August. Die USA erhöhen den Druck auf die Ukraine nun massiv. (Archivbild)

US-Präsident Donald Trump beim letzten Besuch von Wolodymyr Selenskyj in Washington Mitte August. Die USA erhöhen den Druck auf die Ukraine nun massiv. (Archivbild)

Die USA wollen ihren Plan durchsetzen – Europa ist dagegen. Trump reagiert mit der Brechstange. Putin bleibt derweil auf Kriegskurs. 

Die Lage rund um den neuen amerikanisch-russischen „Friedensplan“ heizt sich weiter auf: Nach der Veröffentlichung von US-Vorschlägen zur Beendigung des Krieges haben Berlin, Paris und London sowie die Führung in Kyjiw betont, dass die ukrainische Armee weiterhin zur Verteidigung der Souveränität des Landes imstande sein müsse – und somit Eckpunkte des US-Plans zurückgewiesen. Bereits zuvor hatte die Ukraine im UN-Sicherheitsrat ihre „roten Linien“ bekräftigt.

Nun betonten die vier europäischen Staats- und Regierungschefs nach einem kurzfristig einberufenen Telefonat am Freitag nach Angaben der Bundesregierung das Ziel, „vitale europäische und ukrainische Interessen langfristig zu wahren“. Dazu gehöre, „dass die Kontaktlinie Ausgangspunkt einer Verständigung ist, und dass die ukrainischen Streitkräfte imstande bleiben müssen, die Souveränität der Ukraine wirkungsvoll zu verteidigen“, hieß es weiter.

Ablehnung in Europa für Trumps „Friedensplan“

Diese beiden Punkte werden durch den von den USA vorgelegten Entwurf jedoch infrage gestellt, der von vielen Politikern und Experten in Europa ohnehin als „Kapitulationsplan“ für die Ukraine aufgefasst wird. Während Russland in dem Entwurf kaum Zugeständnisse abgerungen werden, soll die Ukraine gleich an mehreren Stellen ihre Bedingungen aufgeben.

Zum einen wird in den 28 Punkten verlangt, dass die Regionen Donezk und Luhansk ebenso wie die annektierte Halbinsel Krim „de facto als russisch anerkannt werden“. Zudem soll sich die ukrainische Armee aus dem von ihr kontrollierten Teil der Region Donezk zurückziehen, also von der aktuellen Kontaktlinie zurückweichen.

Ukrainische Diplomatin: „28 russische Punkte“

Ferner sieht der US-Plan eine Verkleinerung und Begrenzung der ukrainischen Armee auf 600.000 Soldaten vor. Die Ukraine soll überdies auf einen Nato-Beitritt verzichten und dies in ihrer Verfassung verankern. Auch weitere Punkte in dem nun veröffentlichten Entwurf tragen russischen Wünschen Rechnung.

Die ukrainische Botschafterin in den USA, Olha Stefanishyna, sprach am Freitag sogar von „28 russischen Punkten“, die der Plan enthalte. „Es hat keinen Sinn, sie ernst zu nehmen“, erklärte Stefanishyna den Angaben von Interfax zufolge. „Die territoriale Integrität der Ukraine und eine Änderung der ukrainischen Grenzen sind nicht verhandelbar“, betonte die Botschafterin. 

„Die Ukraine kann auf uns zählen“, betonte unterdessen Bundeskanzler Friedrich Merz. „Gemeinsam mit Emmanuel Macron und Keir Starmer habe ich Wolodymyr Selenskyj unsere volle Unterstützung zugesichert“, erklärte der CDU-Politiker am Freitag bei X. „Wir werden uns eng mit Europa und den USA abstimmen, deren Bekenntnis zur Souveränität der Ukraine wir begrüßen. Die Kontaktlinie muss die Grundlage für alle Gespräche bleiben.“

„Einer der schwierigsten Momente unserer Geschichte“

Der ukrainische Präsident wandte sich derweil in einer Videobotschaft an das ukrainische Volk. „Wir befinden uns in einem der schwierigsten Momente unserer Geschichte“, erklärte Selenskyj. „Die Ukraine steht möglicherweise vor einer sehr schwierigen Wahl – entweder dem Verlust ihrer Würde oder dem Risiko, einen wichtigen Partner zu verlieren.“

Der US-Plan sehe vor, dass „wir demjenigen glauben sollen, der uns bereits zweimal angegriffen hat“, führte Selenskyj aus und betonte, dass die ukrainischen Interessen berücksichtigt werden müssten. 

„Ich werde Argumente vorbringen, überzeugen und Alternativen anbieten, aber wir werden dem Feind ganz sicher keinen Grund geben zu behaupten, die Ukraine wolle keinen Frieden, sie störe den Prozess und sei nicht bereit für Diplomatie“, betonte der ukrainische Präsident. 

Die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas sprach derweil von einem „sehr gefährlichen Moment für alle“. Zwar wollten alle Akteure ein Ende des Krieges, „aber wie er endet, ist entscheidend“, betonte Kallas. „Russland hat keinerlei Rechtsanspruch auf Zugeständnisse von dem Land, das es überfallen hat – letztendlich entscheidet die Ukraine über die Bedingungen eines jeden Abkommens.“

US-Medien: Trump-Regierung setzt nun auf Erpressung

In den USA scheint man das jedoch anders zu sehen: Die US-Regierung um Präsident Donald Trump scheint Berichten zufolge nun auf die Brechstange zu setzen – diese jedoch ausschließlich bei der Ukraine anzusetzen. „Das Weiße Haus setzt die Ukraine unter Druck, bis Thanksgiving dem neuen Friedensvorschlag zuzustimmen, andernfalls verliere das Land die Unterstützung der USA“, berichtete die „Washington Post“ am Freitag unter Bezug auf Regierungskreise.

Trumps Erpressung: Wenn die Ukraine den US-Plan nicht unterzeichnet, will Washington ihr die Unterstützung streichen. (Archivbild)

Trumps Erpressung: Wenn die Ukraine den US-Plan nicht unterzeichnet, will Washington ihr die Unterstützung streichen. (Archivbild)

Aus den USA gibt es demnach klare „Signale“, dass jegliche Unterstützung der Ukraine eingestellt werden könnte, sollte Kyjiw Trumps Wünschen nicht Folge leisten. Auch ein Zeitpunkt wird für diesen an Erpressung erinnernden Kurs genannt: Bis Thanksgiving in den USA, also bis zum 27. November, soll die Ukraine dem US-Plan demnach zustimmen. Auch das gilt in diplomatischen Kreisen als extrem kurze Frist für die Ausarbeitung und Unterzeichnung eines Abkommens.

Können amerikanische Ukraine-Unterstützer Trump bremsen?

Ein Bericht von „Reuters“ deutet ebenfalls auf einen konfrontativen Kurs des Weißen Hauses hin. „Die USA üben mehr Druck auf Kyjiw aus als je zuvor“, berichtete die Nachrichtenagentur am Freitag. Demnach habe die Trump-Regierung damit gedroht, den Austausch von Geheimdienstinformationen und Waffenlieferungen an die Ukraine zu kürzen, um sie zur Zustimmung zu zwingen. Bei der „Financial Times“ war unterdessen von der kompletten Einstellung der US-Unterstützung die Rede.

Auch in den USA gibt es jedoch Kritiker der Pläne. Zum einen bei den Demokraten, zum anderen aber auch unter den republikanischen Politikern im Kongress. „Angesichts des Drucks, die Ukraine in wenigen Tagen zur Unterschrift unter Russlands 28-Punkte-Plan zu zwingen, kommt den republikanischen Abgeordneten und Senatoren, die ihr Land als dominante Weltmacht erhalten wollen, große Bedeutung zu, genau dies zu verhindern“, schrieb der Kölner Politologe und USA-Experte Thomas Jäger dazu bei X.

US-Senator fordert „ehrenvolles und gerechtes Ergebnis“

Zuvor hatte etwa US-Senator Lindsey Graham durchblicken lassen, dass er nicht über den Plan informiert worden sei. „Ich bin der festen Überzeugung, dass dieser Krieg durch Verhandlungen mit einem ehrenvollen und gerechten Ergebnis beendet werden muss, um eine dritte Invasion zu verhindern und andere von aggressivem Vorgehen auf der ganzen Welt abzuhalten“, betonte Graham jedoch, der als Ukraine-Unterstützer gilt.

Im Baltikum werden unterdessen deutliche Warnungen vor Moskaus langfristigen Zielen laut: „Russlands Absicht ist eindeutig: Sie wollen die Nato zerstören und demontieren, die USA aus Europa verdrängen und die Sicherheitsarchitektur des Kontinents umgestalten. Der Kreml arbeitet gezielt an diesem Ziel. Es geht nicht nur um die Ukraine“, schrieb Litauens Außenminister Kestutis Budrys bei X.

Klare Signale aus Russland

In Moskau scheint man die Turbulenzen im Westen unterdessen zunächst beobachten zu wollen. Kremlsprecher Dmitri Peskow erklärte, Russland habe von den USA bisher keine offizielle Mitteilung über den 28-Punkte-Plan erhalten. Die Ukraine müsse nun eine „verantwortungsvolle Entscheidung“ treffen, betonte Peskow jedoch – und warnte Kyjiw vor weiteren territorialen Verlusten an der Front.

In der russischen Presse übt man weniger Zurückhaltung: „Putin ist zu Gesprächen über die Ukraine zu russischen Bedingungen bereit“, kommentierte eine russische Zeitung die Lage. „Nach dem Gipfeltreffen in Alaska gab es von unserer Seite keine Gesten des guten Willens. Nur eine Verschärfung der Angriffe“, hieß es freimütig in einem anderen Blatt, wie der BBC-Korrespondent Steve Rosenberg berichtete. In Moskau gebe es „keine Anzeichen für Kompromissbereitschaft“, fügte Rosenberg an. 

„Russlands Ziele haben sich nicht geändert“

Auch der ehemalige russische Schachweltmeister und nunmehrige Kremlkritiker Garri Kasparow fand deutliche Worte. „Russlands Ziele haben sich nicht geändert: Die Zerstörung des ukrainischen Staates“, schrieb Kasparow bei X angesichts der jüngsten Aussagen von Wladimir Putin. Das „primäre Ziel“ Russland bleibe „die bedingungslose Erreichung der Ziele der militärischen Sonderoperation“, hatte der Kremlchef zuvor bei einem Truppenbesuch erklärt.

Auf Videoaufnahmen von Putins Besuch bei einem „Kommandoposten der Zapad-Gruppe“ gab es derweil noch klarere Botschaften zu sehen. „Mit dem Bösen lässt sich nicht verhandeln. […] Das Böse muss man vernichten“, stand nach Angaben des Russland-Experten Matthäus Wehowski auf einem Plakat, das auf den Aufnahmen von Putins Besuch beim Militär zu sehen war. (mit afp)