Langjähriger Putin-Berater warnt„Dann steht eine viel größere russische Armee am Tor Europas“

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Wladidmir Putin bei einer Marineübung im Jahr 2005. Laut dem ehemaligen Berater des Kremlchefs begannen Putins Planungen für den Überfall auf die Ukraine bereits 2003. (Archivbild)

Wladidmir Putin bei einer Marineübung im Jahr 2005. Laut dem ehemaligen Berater des Kremlchefs begannen Putins Planungen für den Überfall auf die Ukraine bereits 2003. (Archivbild)

Andrei Illarionow war jahrelang Wirtschaftsberater im Kreml. Nun warnt der einstige Weggefährte vor seinem ehemaligen Chef – und erklärt, welche Lektion der Westen über Wladimir Putin dringend lernen muss.

Wladimir Putin werde sich auch in Zukunft an keine Vereinbarung zur Ukraine halten, warnt der langjährige Berater des russischen Präsidenten Andrei Illarionow. „Putin wird definitiv dagegen verstoßen“, sagte der einstige Mitarbeiter Putins, der den Kremlchef in der Vergangenheit fast sechs Jahre lang in wirtschaftlichen Fragen beraten hat, im Gespräch mit der ukrainischen Zeitung „Kyiv Post“.

Illarionow äußerte sich vor dem Hintergrund wiederkehrender Forderungen nach Verhandlungen und einer diplomatischen Lösung für die Ukraine zu der Frage, ob man Putin vertrauen könne oder nicht. „Wir wissen, dass er gegen alle Vereinbarungen verstoßen hat, die er selbst oder Russland vor ihm mit der Ukraine jemals unterzeichnet hat“, erklärte Illarionow mit Blick insbesondere auf die Minsker Abkommen. „Es gibt einfach kein Dokument, das er nicht verletzen würde.“

Ex-Berater von Wladimir Putin: „Es gibt kein Dokument, das er nicht verletzen würde“

Westliche Politiker hätten oftmals ein „falsches Verständnis“ von der politischen Kultur in Russland, kritisierte Illarionow – und deshalb immer wieder die Erwartung, dass Putin sich ebenso an Absprachen halten werde, wie das im Westen gängige Praxis sei. Das liege daran, dass man es im Westen „nicht gewohnt“ sei, dass „ständig gegen alle Regeln verstoßen wird“, vermutet der Ex-Berater.

In Russland, wo jede Regel und jedes Versprechen „jederzeit verletzt“ werden könne, sei die politische Kultur allerdings eine andere. Der Westen verstehe „seinen Gegner nicht“, fügte Illarionow mit Blick auf die in seinen Augen vergeblichen Hoffnungen auf eine nachhaltige diplomatische Friedenslösung für die Ukraine an.

Verhandlungsforderungen im Westen: „Sie verstehen ihren Gegner nicht“

Sollte sich Putin überhaupt auf derartige Gespräche einlassen, werde das Ergebnis für die Ukraine nicht positiv ausfallen, prophezeit der ehemalige Berater des Kremlchefs. „All die bisherigen Abkommen hatten ein bestimmtes und sehr klares Ziel: Die Ukraine und ihre Widerstandsfähigkeit zu schwächen und sie militärisch einzugrenzen, um den nächsten Angriff erfolgreicher zu machen als die vorherigen.“

Putin sei ein Mensch, der grundsätzlich „sehr organisiert“ und „detailverliebt“ sei, stets „mehrere Szenarien“ kalkulierte und vor allen Dingen „langfristig“ denke. So habe es für die Planung des Angriffs auf die Ukraine bereits 2003 erste Anzeichen gegeben, berichtete der ehemalige Kreml-Insider. Die Vorbereitungen für den vorherigen Angriff auf Georgien im Jahr 2008 hätten ebenfalls bereits 1999 begonnen, so Illarionow.

Klare Strategie im Kreml: „Wer denkt, dass Putin geisteskrank ist, liegt falsch“

„Jeder, der denkt, dass er den Bezug zur Realität verloren hat, in einem anderen Jahrhundert lebt oder irgendwie geisteskrank ist, liegt falsch“, so Illarionow. Putin habe stets eine „langfristige Strategie“ und sei „einer der Menschen, die sich am besten auf alles vorbereiten“, warnte der Ex-Berater vor falschen Hoffnungen.

Andrei Illarionow war jahrelang Berater in Wirtschaftsfragen für Wladimir Putin. Mittlerweile ist er ein Kritiker der Kremlchefs. (Archivbild)

Andrei Illarionow war jahrelang Berater in Wirtschaftsfragen für Wladimir Putin. Mittlerweile ist er ein Kritiker der Kremlchefs. (Archivbild)

Sollte das für die Ukraine noch bedrohlichere Szenario eintreten, dass der Westen die militärische Unterstützung der Ukraine einstelle, werde Putin nicht davor zurückschrecken, das ganze Land zu erobern, prognostiziert Illarionow. „Das ist das Rezept für die Katastrophe.“ Der Westen sollte daher im Gegenteil die Militärhilfe weiter steigern, insbesondere die USA könnten, so die Meinung des Wirtschaftswissenschaftlers, noch deutlich mehr tun.

Warnung an den Westen: „Dann steht eine viel größere russische Armee am Tor Europas“

Sollte die Ukraine fallen, werde Putin nämlich „nicht damit aufhören“, so der langjährige Weggefährte des Kremlchefs. Belarus und das Baltikum wären mit einem Sieg in der Ukraine „leichte Beute“, erklärte Illarionow. Es sei „absolut klar“, welche Ziele die russische Regierung verfolge.

Mit einem Sieg in der Ukraine und dem Griff nach dem Baltikum könnte Putin das „demografische, wirtschaftlich-industrielle und militärische Potenzial“ der eingenommenen Länder für sich nutzen. „Dann steht eine noch viel größere, noch stärkere russische Armee am Tor Europas.“

„Wenn er nicht physisch gestoppt wird, wird er sich weiter nach Westen bewegen“

Jeder im Westen, aber insbesondere die USA und Europa müssten vor allem nun verstehen, dass Putin „weitermachen wird, bis er gestoppt wird“, forderte Illarionow. „Das ist eine wichtige Lektion. Wenn er nicht physisch gestoppt wird, wird er sich weiter nach Westen bewegen“, warnt der ehemalige Weggefährte des Moskauer Machthabers.

Die Ukraine verteidigt sich seit dem 24. Februar gegen einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands. Zuletzt hatte es wieder internationale Diskussionen über eventuelle Verhandlungen zwischen Kiew und Moskau und Rufe nach einem Waffenstillstand gegeben.

Zuvor hatte der ukrainische Armeechef Walerij Saluschnyj eingeräumt, dass die Gegenoffensive der ukrainischen Streitkräfte nur schleppend vorankomme. Solange der Westen seine Militärhilfe nicht weiter ausbaue, drohe ein langwieriger Stellungskrieg um die von Russland annektierten Gebiete im Osten des Landes, erklärte Saluschnyj.

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