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Kommentar

Nicht nur Selenskyj steht unter Druck
USA unter Donald Trump werden zur Bedrohung für Europa

Ein Kommentar von
3 min
US-Präsident Donald Trump spricht im Mount Airy Casino Resort vor seinen Anhängern.

US-Präsident Donald Trump spricht im Mount Airy Casino Resort vor seinen Anhängern.

Im Ringen um einen Waffenstillstand für die Ukraine schickt der US-Präsident die Europäer alle 24 Stunden auf eine neue Achterbahnfahrt. 

Kurz vor den Weihnachtsfeiertagen ist in dem Bemühen um ein Kriegsende in der Ukraine eine gefährliche Hektik ausgebrochen. US-Präsident Donald Trump will sich nach dem Waffenstillstand im Nahen Osten unbedingt des nächsten Erfolgs rühmen können. Am liebsten noch vor Heiligabend. Daher übt er maximalen Druck auf den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj aus. Der steht ohnehin mit dem Rücken zur Wand: Russland rückt in der Ukraine vor und bombt die Energieinfrastruktur zusammen. Derweil sinken die Temperaturen gnadenlos Richtung Gefrierpunkt.

Die Forderung, Selenskyj solle nun Wahlen abhalten, ist ein Nadelstich der Amerikaner, mit dem sie die Legitimation und damit das Vorgehen des ukrainischen Präsidenten infrage stellen. Selenskyj reagiert gewohnt taktisch, bemüht die USA nicht zu verärgern: Er stimmt Wahlen grundsätzlich zu, wenn er dafür Sicherheitsgarantien bekommt. Diese wird ihm aktuell niemand zusagen.

Nicht nur Selenskyj steht unter Druck

Derweil ist es der EU noch nicht gelungen, die sogenannten Frozen Assets, also die in Europa eingefrorenen russischen Vermögen, für eine fortgesetzte Unterstützung der Ukraine locker zu machen. Ohne sie wird die Ukraine den Krieg verlieren, weil den Europäern das eigene Geld ausgeht.

Nicht nur Selenskyj steht unter Druck. Europa ist es auch. Washington schickt die Europäer auf eine Achterbahnfahrt nach der anderen: sogenannter Friedensplan, amerikanisch-russische Verhandlungen, Nationale Sicherheitsstrategie und Trump-Interview. Europa ist in der schwierigen Lage, immer nur zu reagieren. Statt sich strategisch mit ihrer wirtschaftlichen und militärischen Stärke zu positionieren, fegen die Europäer von Tag zu Tag die Scherben zusammen, die Trump auf der Weltbühne hinterlässt.

EU, E3, europäische Nato-Staaten, Allianz der Willigen - die Europäer sind in der Not in ihren Formaten erfinderisch geworden. Das ist ein Fortschritt. Ihnen fehlen dennoch die notwendige Kraft und Geschlossenheit, um das zu tun, was die Stunde geschlagen hat: Weitgehend unabhängig von den USA die Fahne der Demokratie gehisst zu halten und die Ukraine mit Geld, Waffen und humanitärer Hilfe zu unterstützen.

In den USA hat sich das politische Wertesystem verschoben

Das seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine immer wieder genutzte Argument, wonach unsere Freiheit in der Ukraine verteidigt wird, bekommt in diesen Tagen neues Futter. Nach 80 Jahren transatlantischer Verbundenheit begeht die Trump-Regierung die Ungeheuerlichkeit, die Demokratie in Europa infrage zu stellen. Begonnen hatte es mit dem Auftritt des US-Vize-Präsidenten JD Vance bei der Münchner Sicherheitskonferenz vor knapp einem Jahr. Die neue Nationale Sicherheitsstrategie und das weltweit beachtete Politico-Interview des Präsidenten verbindet die Botschaft eines um 180 Grad gedrehten Verständnis‘ von Freiheit und Demokratie.

Demnach verletzen nicht die Amerikaner mit Medien-Pranger und Einschränkung der Justiz die Grundlagen der Demokratie. Vielmehr sind es aus Sicht der US-Führung die Europäer mit ihrer „politischen Korrektheit“. Zudem lässt Trump klar durchblicken, dass er das autoritär geführte Ungarn schätzt. Dass die radikalisierten Republikaner in den USA derweil deutsche AfD-Politiker empfangen, unterstreicht die Neuausrichtung der USA.

Das demokratische Europa ist aktuell also bedroht durch die hybride Kriegsführung und Desinformation aus Russland sowie durch den begonnenen Umbau der USA in ein autoritäres System.

Bei den Amerikanern hat sich das politische Wertesystem verschoben und sie haben inzwischen mehrfach deutlich gemacht, dass sie künftig nur bereit sind, gemeinsame Werte zu verteidigen. Für Europa ist das ein existenziell bedrohliches Dilemma.