Die neue Wirtschaftsministerin will im großen Stil neue Gaskraftwerke errichten lassen, um die Versorgungssicherheit zu erhöhen.
VersorgungssicherheitKann Reiche der Kraftwerks-Kraftakt gelingen?

Die neue Bundesministerin für Wirtschaft und Energie.
Copyright: Sebastian Christoph Gollnow/dpa
Es ist das wichtigste Projekt für die Versorgungssicherheit mit Strom. Und die neue Wirtschafts- und Energieministerin Katherina Reiche (CDU) lässt keine Zweifel daran, dass sie im Eiltempo liefern will: Zahlreiche neue Gaskraftwerke sollen bis 2030 gebaut werden. Doch es gibt massive Kritik und erhebliche Bedenken.
Kohlekraftwerke werden stillgelegt
Die Energiebranche ist heftig in Bewegung. In den nächsten zehn Jahren werden laut Dachverband der Energiewirtschaft (BDEW) Kraftwerke mit einer „steuerbarer Leistung“ von rund 30 Gigawatt (GW) stillgelegt – was der Leistung von ungefähr zwei Dutzend Atomkraftwerken entspricht. Es handelt sich um Anlagen, deren Ende durch den Kohleausstieg gesetzlich geregelt ist. Es gibt aber auch überalterte Standorte, die quasi freiwillig aus dem Markt ausscheiden.
Zugleich kommen Windräder und Solaranlagen hinzu. Doch bei ungünstiger Witterung könnte es eng werden. Deshalb wird seit Jahren an einem Kraftwerkssicherungsgesetz (KWSG) gebastelt. Neu-Ministerin Reiche hat – getreu dem Koalitionsvertrag – angekündigt, dass neue Gaskraftwerke mit 20 GW hinzukommen.
Dafür dass sie einspringen, wenn kein Wind weht und keine Sonne scheint, soll es vom Staat Subventionen geben: Insgesamt wird mit 17 Milliarden Euro für die Jahre 2029 bis 2045 kalkuliert, und zwar für den Bau und für den Betrieb. Die Zuschüsse sind nötig, da es sich um Turbinen handelt, die nur an wenigen Stunden im Jahr angeworfen werden. Das Geld für die Zuschüsse kommt von Verbrauchern und Unternehmen. Unter anderem wird wohl eine neue Umlage über die Stromrechnung fällig, die etwa 0,5 Cent pro Kilowattstunde betragen dürfte.
Die Zeit drängt
Der Zeitplan ist sportlich, da es vier bis sechs Jahre dauert, um ein Kraftwerk zu planen und zu bauen. Hinzukommt, dass die Bundesnetzagentur (BNetzA) etwa sechs Monate benötigt, um die Ausschreibungen für die neuen Stromerzeuger auf den Weg zu bringen.
Kerstin Andreae, BDEW-Chefin, betont: „Wir unterstützen die neue Bundesministerin darin, jetzt sehr zügig den Weg für den Zubau von steuerbaren Kraftwerken freizumachen.“ Weil die Sache eilt, empfiehlt sie, die unvollendete Vorlage von Reiches Vorgänger Robert Habeck (Grüne) in gültiges Recht zu verwandeln.
Freilich soll einiges umgemodelt werden. Schließlich vermuten Branchenkenner, dass die geplanten Ausschreibungen für neue Kraftwerke zu einem Flop werden könnten, wegen zu hoher finanzieller Risiken für potenzielle Betreiber.
Zunächst Erdgas dann grüner Wasserstoff
Habeck hatte Anlagen mit einer Leistung von insgesamt zehn Gigawatt geplant, darunter fünf GW für konventionelle Gasturbinen sowie weitere fünf GW, die im achten Jahr nach der Inbetriebnahme verbindlich auf grünen Wasserstoff umsteigen. Durch Runderneuerungen sollten zudem bestehende Anlagen mit zwei GW auf diesen H2-ready-Standard gebracht werden. Die Bedingung für die Subventionen: Falls nicht rechtzeitig umgestellt wird, wollte das Ministerium die Betreiber zur Rückzahlung sämtlicher Zuschüsse zwingen.
Doch es ist bislang völlig unklar, wann und in welchen Mengen der klimaneutrale Brennstoff zur Verfügung steht. Auf solche Risiken dürften sich Energiemanager kaum einlassen. Deshalb schlägt der BDEW nun vor, dass Rückzahlungen gegebenenfalls ermäßigt werden.
Zweitens will Andreae den Kraftwerksneubau durch Bonuszahlungen attraktiver machen – als Belohnung für zahlreiche Dienstleistungen, die die Betreiber für Netzbetreiber künftig leisten sollen. Und drittens: Sofern es weniger Bewerbungen als die insgesamt sieben GW für die H2-ready-Spielart gibt, sollen fehlende Kapazitäten durch mehr Standard-Gaskraftwerke aufgefüllt werden. Läuft alles günstig, hofft der Verband auf die ersten Inbetriebnahmen Ende 2030/Anfang 2031.
Verzögerungen drohen
Der Rückgriff auf das bestehende Konzept hat laut Andreae den Vorteil, dass Habecks Konzept bereits von der EU-Kommission abgenickt worden war. Doch es fehlt zum Erreichen von Reiches 20-GW-Plan dann immer noch einiges. Das Füllen dieser Lücke dürfte noch Komplikationen mit der EU-Kommission bringen: „Mit der Ausdehnung des KWSG könnte es europarechtlich schwierig werden und weitere Zeit kosten“, so die BDEW-Chefin.
Umso wichtiger sei es, einen „Kapazitätsmarkt“ aufzubauen. Eine weitere hohe Hürde, die noch viele Diskussionen auslösen dürfte. Es geht dabei um die Spielregeln, wann und unter welchen Bedingungen die Kraftwerke zugeschaltet werden, und wie die Betriebskosten dafür berechnet werden, dass sie in ständiger Einsatzbereitschaft gehalten werden.
Forderung nach mehr mehr Speicher-Kapazitäten
Kritisiert wird an den KWSG-Plänen, dass Batteriespeicher nur eine Nebenrolle spielen – nur 0,5 GW sollen damit abgedeckt werden. So betonte Robert Zurawski, Deutschlandchef von Vattenfall, 20 Gigawatt seien zu viel. „Speichern gehört die Zukunft. Gaskraftwerke können aber nur erzeugen – das ist die alte Welt. Nach meiner Einschätzung muss sich die Bundesregierung das Gesamtkonzept noch einmal anschauen“, sagte er im RND-Interview.
Auch Carolin Dähling vom Ökostrom-Anbieter Green Planet Energy betont: „Wer die Systemkosten der Energiewende wirklich senken will, muss bei der Flexibilität ansetzen.“ Wichtig sei, Ökostrom optimal zu nutzen. „Dafür brauchen wir endlich Fortschritte bei der Digitalisierung und der flexiblen Nutzung von Strom.“ E-Autos und Wärmepumpen könnten Solar- und Windstromspitzen aufnehmen. So würden CO2 und Milliarden an Systemkosten gespart und die Versorgungssicherheit gestärkt.