Wegen „Verdorbenheit auf Erden“Iran verhängt Todesurteile gegen Demonstranten

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Protest Iran afp 021122

40 Tage nach dem Tod von Jina Mahsa Amini versammelten sich Tausende für Proteste und Gedenken in ihrer Heimatstadt (Archivbild)

Teheran – Im Iran hat ein Gericht sieben Demonstranten, die sich mehrheitlich zuvor an der Revolution gegen das fundamentalistische Regime in Teheran beteiligt hatten, zum Tode verurteilt. Das berichten mehrere internationale Journalisten übereinstimmend auf Twitter. Sechs der Verurteilten hätten sich an den aktuellen Protesten beteiligt, einer an den Novemberprotesten im Jahr 2019.

Die Prozesse sollen ohne anwaltliche Vertretung der Angeklagten stattgefunden und teilweise weniger als zehn Minuten gedauert haben. Die Journalistin Gilda Sahebi berichtete auf Twitter von einem Verurteilten, der 17 Jahre alt sein soll.

„Das ist Soheil Khoshdel“, schrieb die Journalistin auf dem Kurznachrichtendienst zu einem Foto des jungen Mannes. „Er ist 17 Jahre alt und wurde von der Islamischen Republik zum Tode verurteilt.“ Khoshdel sei vom iranischen Gericht wegen „Verdorbenheit auf Erden“ verurteilt worden. Menschenrechtsorganisationen zufolge drohen weiteren inhaftierten Demonstranten und Journalisten Todesurteile.

Todesurteile im Iran: „Dieses Schicksal droht etlichen politischen Gefangenen“

„Dieses Schicksal droht etlichen politischen Gefangenen der letzten Wochen, wenn der Druck jetzt nicht auch von außen massiv erhöht wird“, kommentierte CDU-Politiker Norbert Röttgen die Urteile auf Twitter. „Die Zeit des Prüfens und der Mini-Sanktionen muss vorbei sein!“ Außenministerin Annalena Baerbock war zuletzt vermehrt dazu aufgerufen worden, den Druck auf Teheran zu erhöhen.

Die Grünen-Politikerin erklärte jedoch noch am Mittwoch, dass sie derzeit keine direkte Möglichkeit sehe, die Protestierenden im Iran zu unterstützen. „Die Lage ist furchtbar“, urteilte die Außenministerin im „Morgenmagazin“ des ZDF.

Annalena Baerbock: „Wir können von außen nicht eingreifen“

„Wir versuchen alles, um denjenigen, die für ihre Freiheitsrechte zu Recht auf die Straße gehen, aus der Ferne zu helfen. Das ist die Schwierigkeit von Außenpolitik: Wir können von außen nicht eingreifen.“ Man stehe jedoch bedingungslos an der Seite „derjenigen, die nichts anderes wollen, als wie wir in Freiheit zu leben“, so Baerbock.

Für internationales Entsetzen sorgte derweil am Mittwoch auch ein Video mit dem iranischen Rapper Tumadsch Salehi. In dem Video entschuldigt sich der Musiker für kritische Aussagen. Staatsmedien verbreiteten das Video, das den Rapper mit verbundenen Augen auf dem Boden hockend zeigt.

Iranischer Rapper vor Entschuldigungsvideo offenbar brutal gefoltert

„Ich habe einen Fehler gemacht“, sagte Salehi mit gebrochener Stimme. Zuvor hatten Angehörige auf Salehis Internetauftritten mitgeteilt, dass der Mann auf brutale Weise gefoltert worden sei.

Bereits in den vergangenen Wochen revidierten prominente Kritiker ihre Aussagen nach ihrer Festnahme. Menschenrechtler werfen der iranischen Führung vor, die öffentlichen Entschuldigungen unter Folter zu erzwingen.

Das Regime in Teheran äußerte sich unterdessen am Mittwoch zu den Protesten, die mitunter bereits als Revolution bezeichnet werden. Der oberste Religionsführer, Ali Chamenei, bezeichnete die Proteste als „hybriden Krieg“.

Iran macht „heimtückische und böswillige europäische Mächte“ für Proteste verantwortlich

„Einige heimtückische und böswillige europäische Mächte“ seien auf Irans Boden eingedrungen, sagte das 83 Jahre alte Staatsoberhaupt am Mittwoch. Er warf außerdem Amerika und Israel, den Erzfeinden der Islamischen Republik, erneut Einmischung „mithilfe von nachrichtendienstlichen Mitteln“ sowie Medien vor. Chamenei sagte, junge Leute hätten „aus emotionalen Gründen“ an den Protesten teilgenommen.

Auslöser der systemkritischen Proteste im Iran war der Tod der 22 Jahre alten iranischen Kurdin Jina Mahsa Amini. Die Sittenpolizei hatte sie festgenommen, weil sie gegen die islamischen Kleidungsvorschriften verstoßen haben soll. Die Frau starb Mitte September in Polizeigewahrsam.

Proteste gegen Islamische Republik seit sechs Wochen

Seit mehr als sechs Wochen demonstrieren Zehntausende Menschen gegen die repressive Politik und den autoritären Kurs der Islamischen Republik. Mehr als 280 Menschen wurden nach Angaben von Menschenrechtlern getötet, mehr als 14.000 verhaftet. (mit dpa und afp) 

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