Wissenschaftler im Gespräch„Teile der Lehrerschaft tendieren zu Selbstschonung“

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Eine Lehrerin schreibt an eine Tafel. (Symbolbild)

  • Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft hat heftige Kritik an der Landesregierung und deren Plänen für das kommende Schuljahr geübt.
  • Wir haben mit dem Erziehungswissenschaftler Heiner Barz über die Maskenpflicht im Unterricht, das vorgeschlagene Hybrid-Modell und versäumten Schulstoff gesprochen.
  • Außerdem spricht er über Studien, die die Belastung der Lehrer erhoben hat. Allein 23 Prozent gehören demnach zum „Schonungstypus“.

Herr Barz, wie schätzen Sie die Maskenpflicht im Unterricht ein – wird der Unterricht dadurch unmöglich? Heiner Barz: Unmöglich nicht, aber der Unterricht wird sehr stark beeinträchtigt. Die Mimik, Gestik und das offene Gesicht gehören zu den Grundmerkmalen der Kommunikation. Wenn das bedeckt ist, ist das ein Problem in der Kommunikationssituation. Für Kinder ist das eher noch problematischer als für Erwachsene.

Wäre es pädagogisch sinnvoller ein Lernen auf Abstand zu ermöglichen?

Nach meinem Eindruck sind in der Schule keine Einschränkungen erforderlich. Es gibt viele Studien, die zeigen, dass Kinder bei der Übertragung von Viren eher weniger relevant sind. Die Maßnahmen hinterlassen aber Schäden, auch im Sozialen. Dass die Maßnahmen wirken, ist hingegen wissenschaftlich umstritten.

Von der Lehrergewerkschaft GEW wurde der Hybridunterricht als Modell vorgeschlagen. Wäre das umsetzbar?

Kaum, es würde wohl schon an der technischen Kompetenz und am Equipment scheitern. Natürlich kann es ein Notbehelf sein, doch nicht auf Dauer. Es gibt erst wenig Erfahrung mit dem Modell. Wir arbeiten an der Universität zwar auch schon länger mit dem „blended learning“-Konzept – dabei werden die Vorteile von E-Learning und Präsenzunterricht kombiniert.

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Heiner Barz, Erziehungswissenschaftler an der Universität Düsseldorf

Doch auch das ist darauf angewiesen, dass man in der Gruppe zusammenkommt. Das wäre wohl im Hybridformat, kaum möglich. Hinzu kommen die Probleme, die wir in den letzten Monaten beim Lernen auf Distanz gesehen haben, wie das logistische Problem der Betreuung, wenn beide Elternteile berufstätig sind, das Kind aber die Hälfte der Zeit zu Hause lernen soll.

Also ist Präsenzunterricht das Maß aller Dinge?

Die Schulklasse ist eben auch ein soziales System. Dabei geht es um viel mehr als die reine Wissensvermittlung. Schule ist ein Lebensraum, in dem die Kinder Erfahrungen sammeln, interagieren, den Umgang mit Gleichaltrigen und Älteren lernen und soziale Rollen finden. Das kann man online nicht einfach ersetzen. Das soll nicht heißen, dass digitale Formate nicht wichtig sind. Einzelne Unterrichtselemente können digital aufbereitet werden. Sie sollten aber in den Unterricht vor Ort, in eine soziale Umgebung, eingebettet sein.

Glauben Sie, dass Schulen und Lehrer im Fall einer zweiten Welle und erneuten Schulschließungen nun besser auf „Lernen auf Distanz“ vorbereitet wären?

Das ist nicht mein Eindruck. Es gab in den letzten Monaten soweit ich sehe keine Fortbildungsoffensive unter den Lehrern in Deutschland. Es hat sich vielleicht der ein oder andere mit neuer Software beschäftigt und es gab eine gewisse Sensibilisierung für das Thema. Sicherlich hat auch viel kollegiales Lernen stattgefunden, dass der eine sich vom anderen pädagogische Konzepte abgeschaut hat. Doch da gibt es noch große Unterschiede an den Schulen. 

Minister Stamp hat Lehrkräfte kritisiert, die in den vergangenen Monaten zum Teil kaum noch unterrichtet haben. Ist das unfair?

Glücklicherweise gibt es viele Lehrer, die tollen digitalen Unterricht auf die Beine gestellt und Einsatz bewiesen haben. Andererseits haben sich offenbar viele Lehrer aus der Verantwortung gezogen. Ich habe gerade erst ein – zugegeben: polemisch zugespitztes – Paper zur „Hochrisikogruppe Lehrer“ verfasst, das sich damit auseinandersetzt, dass viele Lehrer sich als Risikogruppe einschätzen und zu Hause bleiben. Studien zeigen, dass beträchtliche Teile der Lehrerschaft chronisch zu Selbstschonung und Resignation tendieren.

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Eine Potsdamer Studie zur Lehrerbelastung hat erhoben, dass 23 Prozent zum „Schonungstypus“ gehören. Dieser ist bemüht sich nicht zu sehr zu verausgaben. Der „resignierte Typus“, zu dem 29 Prozent gehören, hat vielleicht probiert eine engagierte Pädagogik zu entwickeln, hat aber resigniert, weil er mit seinen Idealen nicht weit gekommen ist und macht jetzt nur noch Dienst nach Vorschrift. Nur 17 Prozent der Lehrer haben demnach ein gesundes Verhältnis zu ihrem Job. Auch bei Lehramtsstudierenden wurden solche Tendenzen schon beschrieben. Viele beginnen das Studium offenbar nur als Notlösung, wenn nichts anderes passt – nach dem Motto: Lehramt geht immer. 

Durch viel ausgefallene Schulstunden haben Schüler womöglich viel Schulstoff versäumt. Muss der Stoff aufgeholt werden? Wer ist da gefordert?

Der Lernstoff selber ist meines Erachtens nicht das größte Problem. Sondern die Verängstigung und teilweise soziale Verwahrlosung, die Kinder in der Zeit der Schulschließungen erfahren haben. Wir brauchen nun Angebote gerade für Kinder aus benachteiligten Familien, die sie nicht nur schulisch fördern, sondern für konstruktive Begegnungen sorgen. Wir haben zu diesem Zweck gemeinsam mit dem Jugendmigrationsdienst der Diakonie ein Sommerferiencamp über etliche Wochen angeboten, in dem wir Deutsch lernen, schulische Inhalte, Sport und Freizeitaktivitäten verbinden.

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