Praktikum für einen TagWas früher dem Papst vorbehalten war

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Wie soll der Einband aussehen? „Praktikantin“ Gisela Wehlitz lernte bei Lektorin Claudia Müllerwie aus einem Manuskript ein Buch wird. (Bild: run)

Wie soll der Einband aussehen? „Praktikantin“ Gisela Wehlitz lernte bei Lektorin Claudia Müllerwie aus einem Manuskript ein Buch wird. (Bild: run)

Bergisch Gladbach – „Kind, geh' doch mal nach draußen“, habe ihre Mutter früher zu ihr gesagt, wenn sie wieder einmal stundenlang in die Geschichten ihrer Bücher versunken war. Heute ist Gisela Wehlitz selbst Mutter und immer noch liest sie in jeder freien Minute. Ein Job, in dem man „den ganzen Tag lesen kann“, wäre daher ihr absoluter Traumberuf.

Doch wie sieht der Alltag einer Lektorin tatsächlich aus? Als „Praktikant für einen Tag“ im Lübbe-Verlag in Bergisch Gladbach wird sie Einblick erhalten.

Claudia Müller ist seit 2000 Verlagslektorin im Lübbe-Verlag. Sie studierte Skandinavistik, spricht schwedisch, lebte in Finnland und Island und betreut neben deutschen Bestsellerautoren wie Kerstin Gier auch alle skandinavischen.

Mit einem davon beginnt sie, um Gisela Wehlitz einen Einblick in ihren Alltag zu geben. Vom Isländer Arnaldur Indridason hat Lübbe bereits drei Millionen Bücher verkauft. Sein neuester Kriminalroman wird ab August 2009 in den deutschen Buchhandlungen liegen. Nur eine von einem Dutzend Neuerscheinungen, die Claudia Müller im Halbjahr begleitet. „Die Aufgabe des Lektors“, sagt sie lapidar, „ist es, aus dem isländischen Buch ein deutsches Buch zu machen.“

Bis dieses in den Auslagen liegt, vergeht über ein Jahr. Die Lektorin führt Gespräche mit dem Autor und mit dem Verlag, sucht den Übersetzer aus und bereitet die Texte für den Katalog vor, lange bevor auch nur das erste Exemplar gedruckt ist.

Am Bildschirm blättert sie durch die Word-Datei mit dem ins Deutsche übersetzen Text, den sie bereits mit zahlreichen kleinen Korrekturen versehen hat. „Der Übersetzer ist sehr nah am isländischen Original“, erklärt sie ihrer „Praktikantin“. Nun ginge es darum, „mit deutschen Augen“ zu lesen und das Ganze „rund“ zu machen.

Gisela Wehlitz liest und ist beeindruckt: „Wie fällt Ihnen das alles ein?“ „Die Übung macht's“, bedeutet wohl das Schulterzucken der Lektorin, aber sie gibt zu, dass sie vor manchen Formulierungen „erst mal einen Kaffee trinken“ gehe.

Am Inhalt kann Müller in Indridasons Buch nicht rütteln. Das ist bei deutschen Autoren anders. „Hier kann auch noch am Plot geändert werden,“ erklärt sie. Das stellt sich Gisela Wehlitz spannend vor, wenn sie auch skeptisch ist, ob sich ein Schriftsteller gern in seine Geschichte reinreden lasse. Die Erfahrungen der Lektorin sind andere: „Die meisten Autoren sind sehr dankbar für den Blick von Außen.“

Die Fahnen mit dem bereits gesetzten Text eines anderen Buches liegen auf Claudia Müllers Schreibtisch. Nun geht es ums „Kollationieren“, um den Abgleich zweier Versionen unterschiedlicher Korrekturleser. „Unspektakuläre Arbeit“, gibt die Lektorin zu, lächelt und sagt: „Das machen meist die Praktikanten.“

Danach ginge der Text wieder in die Setzerei und wieder werde der Fahnensatz überprüft. „Es gibt kein Buch ohne Fehler“, sagt Müller. Doch sind nach diesen Prozeduren keine mehr gefunden, erteilt sie die „Imprimatur“. Imprimatur ist Latein, war früher dem Papst vorbehalten, und heißt zu deutsch „Es werde gedruckt“.

Cover und Titel entscheiden

Bis dahin wird es für den isländischen Krimi noch dauern, und es ist längst nicht allein der Text, um den es geht. „Das Cover ist wahnsinnig wichtig“, erläutert Müller. Nur ein paar Sekunden seien es, die darüber entscheiden, ob ein Kunde aufgrund von Bild und Titel das Buch in die Hand nehme oder nicht. Der isländische Originaltitel „Hardskafi“ wurde vom Lektorenteam „Spannung“ in „Kälteschlaf“ umgewandelt. Das ist zwar kein nordisländischer Berg mehr, aber es passt zum Inhalt und den vorangegangenen deutschen Titeln des Autors.

Claudia Müller nimmt Gisela Wehlitz mit in die Marketing-Abteilung zu Kollegin Regina Knauer, die nach den Vorgaben der Lektorin das Cover inklusive Klappen erstellt hat. Um zu sehen, wie es sich rund ums Buch macht, müsste es aus der DIN A3-Vorlage ausgeschnitten und geknickt werden. Das macht eine geübte Lektorin selbstverständlich nicht. Stattdessen fällt ihr auf, dass „Alptraum“ in neuer Rechtschreibung „Albtraum“ heißen muss, und dass der Text an einer Stelle ein wenig verrutscht ist.

Zurück im Büro widmen sich die zwei Frauen den dicken Stapeln der Rubrik „Unverlangt eingesandt“. Drei bis vier Manuskripte erreichen täglich den Verlag. „Bitte“, sagt Müller und Gisela Wehlitz vertieft sich erfreut in Anschreiben, Exposees und Textproben auf der Suche nach dem ultimativen Bestseller. Doch das Ergebnis wird ernüchternd sein. „Da reicht vielleicht auch Tagebuch schreiben“, ist das Urteil der belesenen Praktikantin zur ersten Textprobe. Auch die nächsten würde sie ablehnen und erhält für ihre Argumentation ein Lob der Lektorin: „Sehr gut stilistisch und inhaltlich begründet.“

Nichts wandert ungelesen in den Papierkorb. „Wir prüfen alle“, sagt Claudia Müller. Doch nur selten werde ein eingesandter Text tatsächlich zum Buch. Die besseren Titel kämen meist von den Literaturagenten, die sowohl Manuskripte als auch im Ausland bereits erschienene Bücher an die Lektorin herantragen.

Stapelweise liegen die skandinavischen Titel in ihrem Regal und warten auf ihr kritisch lesendes Auge. „Russisch wäre noch gut“, sagt Müller und fragt ihre Praktikantin scherzhaft: „Können Sie russisch?“

Gisela Wehlitz verneint. Sie hat Pädagogik studiert. Dafür darf sie nun aber tatsächlich eine Entscheidung treffen, die sie im Jahr 2010 gedruckt sehen wird. Aus einer Reihe Porträts des finnischen Autors Matti Rönkä sucht sie dasjenige aus, das im Klappentext erscheinen wird. „Copyright ist nicht angegeben“, murmelt Müller. Sie vermerkt zwecks Klärung einen Anruf in Finnland und verspricht Gisela Wehlitz ein druckfrisches Exemplar für ihre Hilfe.

„Man muss viel lesen und man muss gerne lesen,“ sagt Müller über ihren Beruf, aber das sei lange nicht alles. Eher sei das Ganze ein „Projektmanager-Job“ mit vielen einzelnen Aufgaben und Gesprächen, viel Abstimmung und vielen einzuhaltenden Terminen.

Das ist auch das Resümee von Gisela Wehlitz. „Ich hätte nicht gedacht, dass der Beruf so vielschichtig ist“, sagt sie und findet ihn nun „noch faszinierender als vorher.“ Was alles neben der aktuellen Buchbetreuung anfällt, hat sie an diesem einen Tag schon miterleben dürfen: Telefonate, E-Mails, Kollegen, die in der stets offenen Tür erscheinen. Eine Meinung zu einem Manuskript, die aktuelle Verkaufszahlen, ein Autor mit Fragen, der Vertrieb mit Sonderwünschen, der Kollege mit Terminabstimmungen. Kurz: ein Alltag, bei dem längst nicht immer nur die Nase im Buch verschwindet.

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