„Mom-Shaming“Warum Mütter so oft verurteilt werden – egal, was sie tun

Lesezeit 7 Minuten
Neuer Inhalt

Muttersein ist oft echtes Spießrutenlaufen. Denn welche Entscheidungen Mütter auch treffen, es gibt immer jemand, der sie dafür kritisiert. 

  • Es ist schon auffällig: Sobald eine Frau Mutter ist, hat quasi jeder eine Meinung dazu. Ob es nun ums Stillen, um Erziehungsfragen oder darum geht, wie viel sie arbeitet.
  • Für ihre Entscheidungen werden viele Mütter nicht einfach nur kritisiert, sondern teilweise sogar beschämt oder gemobbt. Besonders häufig auf Social Media.
  • Die Familientherapeutin und fünffache Mutter Katharina Pommer hat in ihrem Buch „Stop Mom Shaming“ über das Phänomen „Mütter-Mobbing“ geschrieben.

„Mom-Shaming“, das klingt nach einem schlimmen Phänomen. Was ist das genau – und wie schlimm ist es? Katharina Pommer: „Mom-Shaming“ bedeutet, dass Mütter dafür kritisiert oder verurteilt werden, wie sie mit ihren Kindern umgehen und welche Entscheidungen sie in der Erziehung treffen. Oft fängt es schon in der Schwangerschaft an: Jeder hat eine Meinung dazu, welche Untersuchungen die werdende Mutter machen und ob sie nun zuhause oder in der Klinik entbinden sollte. Danach entzündet sich häufig harsche Kritik an der Frage, ob sie stillen oder die Flasche geben und wie lange sie ihr Kind daheim betreuen will. Gefolgt von empörten Kommentaren zur Entwicklung des Kindes wie: „Waaas, dein Kind kann noch nicht laufen!?“ Auch wenn Fremde im Biergarten vernichtende Blicke in Richtung Eltern werfen, ist das Mom-Shaming.

Sogar bei sehr persönlichen Themen findet Mom-Shaming statt. In der Schwangerschaft mit unserem fünften Kind haben wir eine Down-Syndrom-Diagnose bekommen und in unserem Podcast damals offen gesagt: „Wir lieben unser Kind, egal wie es zur Welt kommt.“ Und dann schrieben uns anonym wirklich Leute, was für furchtbare Menschen wir doch seien, dass wir ein behindertes Kind in die Welt setzen wollen. Ich habe dann recherchiert und herausgefunden, dass viele Frauen nach so einer Diagnose abtreiben – und nicht etwa, weil sie selbst die Entscheidung treffen, was ja völlig legitim ist, sondern weil sie sich von ihrem Umfeld so unter Druck gesetzt fühlen. Und das darf nicht sein!

Welche Mütter werden eigentlich wofür am meisten verurteilt?

Neuer Inhalt

Katharina Pommer ist Unternehmerin, Familientherapeutin und fünffache Mutter.

Das ist total unterschiedlich. Am Thema Arbeit entzündet sich die Kritik besonders häufig. Hier sind der Perfektions- und Leistungsdruck und die Erwartungshaltung an Mütter heute riesig. So werden Frauen, die mit ihren Kindern zuhause bleiben, oft von „Working Mums“ darauf angesprochen, wann sie denn jetzt endlich wieder arbeiten würden, weil „nur“ Mutter zu sein ja nicht ginge.

Das führt dazu, dass sich Frauen tatsächlich schlecht fühlen, wenn sie es nicht schaffen, zu arbeiten. Manchmal traut sich eine Mutter nicht, zu sagen, dass es ihr eigentlich zu viel ist, weil sie Angst vor Verurteilung hat. Dann funktioniert sie weiter, schluckt alles runter und irgendwann knallt es. Und dann heißt es noch: „Warum hast du denn einen Burnout – du warst doch nur in Teilzeit?!“

Ich habe aber zum Beispiel auch mit Top-Managerinnen gesprochen, zu denen immer aufgeschaut wurde, und sobald sie Mutter geworden sind, kamen dann die Fragen: „Sind Sie jetzt auch immer so müde und reizbar, weil sie ein Baby haben? Werden Sie jetzt auch eine von diesen Müttern, die in Meetings ständig aufs Handy starren und darauf warten, dass die Kita anruft?“

Kann eine Mutter also machen, was sie will – irgendjemand wird das immer verurteilen?

Genau. Das hat oft etwas mit dem Schwarz-Weiß-Denken der Menschen zu tun. Nach dem Prinzip: Wenn ich es richtig mache, muss sie es auf jeden Fall falsch machen.

Was hat man denn davon, den anderen als falsch zu markieren?

Wir leben in einer narzisstischen Gesellschaft, in der Menschen andere kleiner machen, um sich selbst hervorzuheben. Man will seinen Stellenwert behaupten.

Was macht die Kritik denn mit den Müttern?

Buchtipp

Neuer Inhalt

„Stop Mom Shaming“, Katharina Pommer, Goldegg Verlag, 2020

Für viele Mütter entsteht dadurch ein riesiger Druck. Sie vergleichen sich andauernd mit anderen Frauen und fragen sich: Mache ich das jetzt richtig, oder nicht? Sie werden immer unsicherer. Und haben dadurch auch zunehmend Probleme, Entscheidungen zu treffen.

Wenn die Angst, etwas falsch zu machen, ständig im Kopf sitzt, wirkt sich das negativ auf den Gemütszustand aus. Zu mir in die Therapie kommen so viele Frauen, die deswegen riesige Selbstwertprobleme haben. Im schlimmsten Fall kann das auch zu Depressionen oder Burnout führen.

Gibt es nicht auch Mütter, die die Meinung der anderen kalt lässt?

Selten. Wenn das Kind eine Vier heim bringt und von außen die Frage kommt, ob es denn genug gelernt habe, dann antwortet eine selbstbewusste Mutter souverän. Aber wenn sie abends im Bett liegt, wird sie sich wahrscheinlich auch Gedanken machen. Selbst einer sehr selbstsicheren Mutter gehen bestimmte Kommentare nahe. Denn die Kinder sind unsere Achillesferse. Wir wollen eben das Beste geben und schauen, dass es unserem Kind richtig gut geht.

Ist das Lästern im Netz besonders schlimm?

Der größte Kriegsschauplatz ist Social Media. Dort ist die Hemmschwelle der Verurteilung ganz niedrig. Mom-Shaming hat dadurch enorm zugenommen. In Müttergruppen fühlen sich viele Frauen dazu berufen, deutlich zu sagen, was sie für richtig halten.

Früher hat man die Oma, die Mutter oder eine Freundin um Rat und Hilfe gebeten. Heute sind viele Frauen auf sich gestellt. Gerade die ersten Monate verbringen Mütter oft alleine mit dem Säugling und sind besonders unsicher. Wenn sie ihre Fragen dann an die Netzgemeinde richten, kann das fatal sein. Denn sie bekommen tausende Meinungen. Das führt zu unglaublicher Verwirrung.

Noch schlimmer ist es, wenn Mütter sich die Mamablogger auf Instagram anschauen, die drei Wochen nach Geburt perfekt gestylt, mit schlankem Bauch und super Baby da stehen. Was macht das mit einer Mama, die mit dem Säugling fertig auf dem Sofa liegt und tagelang nicht geduscht hat? Sie hat das Gefühl, zu scheitern.

Das könnte Sie auch interessieren:

Gibt es nicht auch genug Beispiele, in denen Frauen erzählen, wie das echte Leben mit Kindern so ist?

Ich merke eher, dass Mütter oft behaupten, bei ihnen laufe alles gut. Und dass nicht oft darüber gesprochen wird, wie der Alltag wirklich ist. Man sagt nicht, dass das Kind gerade einnässt oder in der Kita andere Kids haut, weil man ja - auch zurecht – die Angst hat, dass gleich der Shitstorm losgeht und man als Mutter bewertet wird.

Zum Thema Einnässen habe ich noch ein passendes Beispiel für Mom-Shaming. In einem Ratgeber stand dazu: „Wenn das Kind einnässt, zeigt das, dass die Mutter Traurigkeit in sich hat und zu wenig weint.“ So etwas hilft natürlich gar nicht. Manche Frauen sind komplett fertig, wenn sie so etwas lesen. Das ist kein Spaß mehr.

Wenn Mütter im Netz über ihre Probleme schreiben, hagelt es ja oft gnadenlose Urteile wie: „Dann hätte sie eben keine Kinder kriegen sollen“…

Ja, das ist der Klassiker. Ich hatte den Fall auch schon mal, dass ich etwas über arbeitende Mütter geschrieben habe – und vor allem Männer und ältere Frauen haben sofort losgeschossen: „Wenn man Kinder in die Welt setzt, bedeutet das eben Verzicht!“

Wer teilt eigentlich am meisten aus – Mütter, Kinderlose, Alte, Männer?

Es ist oft die ältere Generation. Dann führen noch ganz alte Glaubenssätze zu Diskussionen, gerade wenn es um die Rollenverteilung von Mann und Frau geht. Besonders mit der Schwiegermutter gibt es oft Probleme. Man muss aber verstehen, dass die Erziehungsmethoden damals völlig anders waren. Und in vielen Punkten ist längst bewiesen, dass die Ansätze von früher falsch waren. Die Mütter von heute sollten wissen, dass sie richtig liegen. Sie sollten selbstbewusster damit umgehen und sich die Kritik nicht mehr so zu Herzen nehmen. Also lieber zur Schwiegermutter sagen: „Danke, für deinen Tipp – du hattest damals die Gelegenheit, Mutter zu sein – jetzt bin ich dran, bei meinem Kind.“

Aber auch Mütter untereinander teilen aus, oder?

Ja, es sind oft auch junge Mütter unter einander, die mit unterschiedlichen Erziehungsansätzen gegeneinander antreten. Da fällt mir das Beispiel einer Freundin ein, die in der Schule von einer anderen Mutter, die offensichtlich einen anderen Erziehungsstil hatte, den Vorwurf bekam, sie könne ihre Kinder nicht erziehen. Die anklagende Mutter ging sogar zur Lehrerin und drohte damit, die Schule zu verlassen.

Dabei kann es doch so schön sein, wenn Mütter sich gegenseitig unterstützen. Wie werden sie wieder ein Team?

Ich führe da immer gern ein einfaches Bild an: Zwei Mütter stehen sich gegenüber und eine malt eine Sechs auf den Boden. Für die andere Mutter aber ist es eine Neun. Beide haben Recht. Man sollte öfter mal die Perspektive zu wechseln.

Es geht aber vor allem darum, solidarisch zu sein, hinzuschauen und zu helfen, statt zu verurteilen. Das Motto lautet: Miteinander statt gegeneinander. Mütter sollten auf ihr Umfeld achten und sich fragen: Bin ich mit Menschen unterwegs, die mich in jeder Lage unterstützen? Die mich auch nicht dafür verurteilen, wenn ich mal gestresst bin? Sondern die stattdessen sagen: „Komm, ich nehm‘ dir das Kind ab, geh du mal einen Kaffee trinken.“ Und im Idealfall kann die Mama ohne ein schlechtes Gewissen das Hilfsangebot der Freundin annehmen und sich innerlich sagen: Ich bin eine tolle Mama, darf mir auch ruhig mal etwas gönnen, Hilfe annehmen und weiß, mein Kind ist währenddessen bestens aufgehoben.

KStA abonnieren