Am 29. Februar geborenAnnelie Bracke hat nur alle vier Jahre Geburtstag

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Annelie Bracke hat nur alle vier Jahre Geburtstag.

  • In diesem Jahr ist es wieder so weit: Menschen, die an einem 29. Februar geboren sind, können einen „richtigen“ Geburtstag feiern.
  • In Deutschland sind das etwa 55.000 Menschen. Auch die Stellenleiterin der katholischen Telefonseelsorge Köln, Annelie Bracke, gehört dazu.
  • Bracke spricht über schöne und weniger schöne „echte“ Geburtstage und die Kuriositäten, die dieses Geburtsdatum mit sich bringt.

Köln – Das Restaurant ist gebucht, die Einladungen sind schon lange raus. „Ich möchte mit Euch meinen Geburtstag und das Leben feiern“, steht darin. Mehr als 70 Gäste sind geladen: Verwandte mit und ohne Anhang, Freunde und Freundinnen, die Annelie Bracke, Sternzeichen Fisch, durch ihr Leben begleitet haben. Nachbarn, Kollegen und Kolleginnen. Ehemalige Studienfreunde. Sogar eine Schulfreundin aus Kindertagen hat sich angesagt. „Dass sie extra anreist, um mit mir zu feiern, freut mich besonders.“ 60 Jahre wird Annelie Bracke an diesem letzten Samstag im Februar. Oder auch erst 15. Wie man es nimmt.

Denn Annelie Bracke, Chefin der katholischen Telefonseelsorge Köln und an Rosenmontag im Jahr 1960 in Paderborn geboren, hat am 29. Februar Geburtstag. An einem Tag, den es rein kalendarisch nur alle vier Jahre gibt – immer dann, wenn an den zweiten Monat des Jahres ein zusätzlicher, ein Schalttag angehängt wird. Was, grob gesagt, in jedem Jahr der Fall ist, das durch die Zahl Vier teilbar ist.

„Das ist mein Tag“

Ihren „richtigen Geburtstag“ nennt Annelie Bracke diesen viel zu seltenen Tag, der das Jahr auf 366 Tage verlängert. Natürlich feiere sie auch die anderen, die „nicht-richtigen“ Geburtstage, gelegentlich im großen Kreis. Der 50. beispielsweise war so einer, den sie mit einem üppigen Fest begehen wollte. Auch wenn er auf einen 1. März fiel. „Aber dieser 29. Februar ist für mich jedes Mal ein ganz besonderer Tag. Das ist mein Tag, und ich will gar keinen anderen.“

Annelie Bracke teilt das „29.-Phänomen“ weltweit mit rund fünf Millionen und in Deutschland mit etwa 55.000 Menschen. Der italienische Komponist Gioachino Rossini wurde an einem 29. Februar geboren (1792), die französische Schauspielerin Michèle Morgan (1920) und der Schweizer Autor Martin Suter (1948). Für den Bayernkönig Ludwig I. hingegen wurde der 29. Februar 1868 zum Todestag. An einem 29. Februar dankte 2004 auf Haiti der umstrittene Staatspräsident Jean-Bertrand Aristide ab.

Dieses ganz spezielle Gefühl fehlt

Dass ihr exklusives Geburtsdatum nicht unproblematisch ist, hat Annelie Bracke in ihren bald 60 Lebensjahren zur Genüge erfahren. Denn: Wann feiert man seinen Geburtstag, wenn es in einem Jahr schlicht und einfach keinen 29. Februar gibt?

Viele Gratulanten seien verunsichert, wenn der 29. ausfalle. „Sie wissen dann nicht, wann sie mir gratulieren sollen.“ Am 28. Februar oder am 1. März? „Oft fragen sie erst einmal, ob das überhaupt der richtige Tag ist. Manche gratulieren sicherheitshalber an beiden Tagen, was ich sehr nett finde.“ Dennoch fehle ihr in solchen Jahren dieses ganz speziellen „Geburtstagsgefühl“, das für die meisten anderen Menschen selbstverständlich sei. „Dass man einen Tag herumläuft und sagt: Das ist mein Geburtstag, und ich bin Königin.“

Gefeiert wird dann, wenn es passt

Sie habe einmal gelesen, man solle dann feiern, wenn der Sonnenstand dem am Tag der Geburt entspreche, sagt Annelie Bracke. „Das ist in den ersten zwei Jahren der 28. Februar und in den beiden folgenden der 1. März.“ Doch das habe sie nie gemacht. Sie feiere ganz pragmatisch an dem Tag, der jeweils am besten passe. Der deutsche Gesetzgeber sieht die Dinge etwas weniger entspannt. Im Bürgerlichen Gesetzbuch ist festlegt, dass im Fall der Fälle der 1. März mit dem 29. Februar gleichzusetzen sei.

symbol 29. februar

Nur in Schaltjahren steht Annelie Brackes Geburtstag im Kalender.

In ihrer Kindheit sei das alles kein Problem gewesen. „Ich bin im katholischen Paderborn geboren. Da feierte man eher den Namenstag als den Geburtstag. Also habe ich auch nichts vermisst.“ Am 26. Juli gab es Kerzen, Kuchen und Geschenke, während der 29. Februar oder der 1. März eher stiefmütterlich behandelt wurde. Der erste Geburtstag, den sie groß gefeiert habe, sei der 18. gewesen. „Endlich volljährig.“ Doch der sei auf einen 1. März gefallen und somit kein „richtiger“ gewesen.

Schuld ist Papst Gregor XIII.

Schuld an dem Dilemma ist Papst Gregor XIII. Der nämlich führte im Jahr 1582 den Gregorianischen Kalender ein und legte eben jenen 29. Februar als regelmäßig wiederkehrenden Schalttag fest. Der Grund: Ohne diesen Zusatztag würden das Sonnenjahr, das sich nach dem Lauf der Sonne richtet, und unser etwas kürzeres Kalenderjahr mehr und mehr auseinanderdriften. Während ein Kalenderjahr exakt 365 Tage beträgt, ist das Sonnenjahr fünf Stunden, 48 Minuten und 45 Sekunden länger.

Die Idee, ein wenig zu tricksen, um die Zeitläufe auf Erden den astronomischen Realitäten anzupassen, war nicht neu. Schon der römische Feldherr und Staatsmann Gaius Julius Cäsar, der im Jahr 45 n. Chr. den Julianischen Kalender einführte, wusste um die Problematik. Sein Lösungsvorschlag: Den 24. Februar jedes vierte Jahr gleich zweimal zählen. Was aber nicht zu Ende gedacht war und außerdem zu neuen Verwicklungen führte.

Eine kleine, aber feine Differenz

Denn nun war das Kalenderjahr plötzlich im Durchschnitt 365,25 Tage lang, während es das astronomische Jahr auf 365,42419 Tage bringt. Eine kleine, aber feine Differenz, die sich innerhalb von 128 Jahren auf einen vollen Tag summiert. 1582 hatte sich der Kalender bereits um rund zehn Tage verschoben, und die Frühlingstagundnachtgleiche fand schon am 11. statt am 21. März statt.

Papst Gregor XIII. löste das Problem 1582, indem er in diesem Jahr zehn Tage aus dem Oktober strich und die Dinge damit kurzfristig wieder ins Lot brachte. Um eine erneute kalendarische Verschiebung zu vermeiden, legte er außerdem fest, dass innerhalb von 400 Jahren drei Schalttage ausfallen müssen, und zwar immer dann, wenn ein Säkulärjahr, also ein Jahr, das ein Jahrhundert abschließt, zwar durch vier, aber nicht durch 400 teilbar ist. Was beispielsweise 1700, 1800 und 1900 der Fall war.

14 Geburtstage

14 „richtige“ Geburtstage zählt Annelie Bracke in 59 Jahren, und einige davon markieren wichtige Stationen ihres Lebens. Als sie 28 Jahre wurde, war sie gerade von einem Auslandsjahr in der Schweiz zurückgekommen. „Das war eine ganz tolle und prägende Zeit gewesen.“ Der Geburtstag markierte das nahende Ende des Studiums und gleichzeitig den Start ins Berufsleben. „Damals habe ich mit meinen Studienfreunden und der Familie gefeiert.“

Zwölf Jahre später hatte sie gerade eine Trennung hinter sich. Nach einer großen Feier sei ihr nicht zumute gewesen. Annelie Bracke denkt dennoch ohne Bitterkeit an diesen 29. Februar 2000 zurück. „Man behält ja auch das Schwere, das man im Leben gut bewältigt hat, in Erinnerung.“

„Man lernt, auch die kleinen Dinge zu schätzen“

Dafür wurde der 44. ausgiebig gefeiert – „denn da ging es mir wieder viel besser“. Auch der 48. markiert eine Zeitenwende. Nur wenige Wochen später wurde Annelie Bracke von einer langwierigen Krankheit aus der Bahn geworfen. Und lernte nach ihrer Genesung einmal mehr, das Leben zu feiern. „Nach einer solchen Erfahrung ist vieles nicht mehr so selbstverständlich wie früher. Man erfährt die eigenen Grenzen und lernt, auch die kleinen Dinge zu schätzen.“ Den Espresso in der Küche der Freundin. Eine Bergwanderung mit dem Partner, die während der Rekonvaleszenz noch unmöglich erschien.

Und jetzt also der 60. Zeit, um Zwischenbilanz zu ziehen. „Für eine Bilanz ist es noch zu früh“, sagt Annelie Bracke. Doch werde ihr zunehmend die Begrenztheit des eigenen Lebens bewusst. „Natürlich weiß man auch mit 30 oder 40, dass das Leben endlich ist, aber da ist das Ende noch nicht so nahe wie mit 60. Die Kräfte lassen nach, auch wenn man nicht immer Lust hat, sich dem anzupassen.“

Stellenleiterin bei der Telefonseelsorge

Seit 1992 arbeitet sie bei der katholischen Telefonseelsorge Köln, seit dem Jahr 2000 ist sie dort Stellenleiterin. Ihr Team besteht aus weiteren drei hauptamtlichen und 70 ehrenamtlichen Mitarbeiter. Die Psychologin und Theologin hat in diesen knapp 30 Jahren unzählige Geschichten von Menschen in Not gehört. Sie haben ihr von ihren Suizidabsichten erzählt, von Verzweiflung, Einsamkeit und von ihren Ängsten. „Das ist in dem Moment sehr belastend“, sagt Annelie Bracke, aber sie habe gelernt, loszulassen und sich abzugrenzen.

Sechs Jahre will sie noch arbeiten. Und dann? Dann wird man sehen. „Die größte Aufgabe wird sein, eine Balance zu finden zwischen Entspannung und möglichem Neuen, Aufregenden und Spannenden. Was auch immer geschieht – ich möchte mit mir im Frieden sein und so leben, wie es mir entspricht.“ Und deshalb wird Annelie Bracke am 29. Februar das Leben feiern. An ihrem 15. „richtigen“ Geburtstag. Denn an diesem Tag wird sie nicht nur Königin, da wird sie die Kaiserin sein.

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