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Kommentar

Pro und Contra
„Die Sprachnachricht ist die technologische Ausgeburt des puren Egoismus“

Ein Kommentar von
Lesezeit 3 Minuten
Hände tippen auf einem Mobiltelefon, Illustration.

Sprachnachrichten empfindet unser Autor als Zumutung.

Als wäre das Leben nicht so schon mit zu viel Gelaber behangen: Schickt man unserem Autor eine Sprachnachricht, wird er zum polternden Boomer. 

Beim Thema Sprachnachrichten scheiden sich die Geister. Unsere Autorin Claudia Lehnen verteidigt ihre Vorzüge. Unseren Autor Florian Holler machen sie wütend.

Mit meinen 28 Jahren gehe ich bei Vielen ja noch als sogenannter junger Mensch durch. Junge Menschen – so sagt man sich zumindest – verbringen ihre Zeit am liebsten vor dem Smartphone und in den sozialen Medien. Und auch wenn es stimmt, dass meine Bildschirmzeit bisweilen medizinisch relevante Ausmaße annimmt: Jedes Mal, wenn mir bei Whatsapp wieder eine Sprachnachricht entgegenploppt, weckt das den polternden Boomer in mir, der sich vor den Zumutungen moderner Kommunikationsmittel verschanzen will.

Denn die Sprachnachricht ist die technologische Ausgeburt des puren Egoismus, der intimisierte Wurmfortsatz des Laberpodcasts. Da knallt man dem nichtsahnenden Gegenüber neunminütige Sprachnachrichten vor den Latz, die mit allerlei Abschweifungen, Befindlichkeitserkundungen und einer Wagenladung „Ähhms“ und „Öhhms“ vollgemöbelt werden. Als sei das Leben nicht so schon mit viel zu viel Gelaber behangen.

Florian  Holler

Florian Holler

Redakteur in der Kölner Lokalredaktion. Als Polizeireporter zuständig für alle Themen rund um Sicherheit und Kriminalität in Köln. Zuvor hat er zwei Jahre beim „Kölner Stadt-Anzeiger“ volontiert und z...

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Das Tolle an Whatsapp, Telegram und dergleichen ist ja, dass man schnell und unkompliziert Nachrichten austauschen kann. Ich kann zum Beispiel meinen Freund, nennen wir ihn Malte, fragen, ob er spontan Lust hat, heute Abend ein Kölsch trinken zu gehen – und muss dafür nicht extra ewig telefonieren oder auf gut Glück bei ihm vorbeischauen.

Aber nein, statt auf meine Frage zu antworten, haut mir Malte eine ellenlange Sprachnachricht um die Ohren, in der er mich unter anderem an die Käsetheke im Supermarkt mitnimmt (Ach guck, der Gouda ist im Angebot!“), mir erzählt, wie es seinem Meerschweinchen Tobias geht („Er trinkt zu wenig!“) und wann bei ihm der nächste Termin beim Zahnarzt ansteht („Nächste Woche Dienstag... oder war es doch Mittwoch?“).

Wie wäre es mit dem guten alten Brief?

Als Empfänger solcher Nachrichten muss man sich dann durch den ganzen Wortwust kämpfen, um bloß nicht zu überhören, wo sich zwischen all den Belanglosigkeiten die Information verbirgt, die man eigentlich haben wollte. Bis man ganz am Ende des Plauderbreis erfährt: „Sorry, was war nochmal die Frage? Achja, ne, heute Abend habe ich leider keine Zeit.“

Das klingt in Ihren Ohren unempathisch? In diesem Szenario ist ja wohl Malte der Empathielose. Denn mit seiner Sprachnachricht betritt er eine kommunikative Einbahnstraße, in der er all sein Gelaber auf mich loslassen kann, ohne dass ich mich dagegen wehren könnte.

Eigentlich interessiere ich mich nämlich brennend für das Schicksal seines Meerschweinchens Tobias, für die Sonderangebote in der Gemüseabteilung dagegen eher weniger. In einem Gespräch hätte ich zumindest die Möglichkeit, genau das zu signalisieren. Die Sprachnachricht dagegen lässt mich als passiven Empfänger all seiner ungeordneten Gedanken zurück. Unempathisch ist es, dass Malte mir so etwas zumutet.

Nun gibt es Freundschaften, in denen man sich nicht so einfach im analogen Leben treffen kann – etwa weil man in verschiedenen Städten oder gar Ländern wohnt.  Da sind kurze Whatsapps ein schwacher Trost. Und selbst die Terminfindung für ein Telefonat zu finden, gestaltet sich oft schwierig. Wie wäre es in solchen Fällen mit dem guten alten Brief? Einen, dem man ansieht, dass sich der Verfasser Mühe mit Inhalt und Stil gibt? Und der deswegen auch ohne „Ähhms“ und „Öhhms“ auskommt? Von mir aus auch gern per E-Mail, da bin ich nicht so.

Florian Holler, 28, ist Volontär beim Kölner Stadt-Anzeiger. Mit seinem Wortwust belastet er am liebsten Redakteure, die ihm die Füllwörter aus seinen Texten herausredigieren müssen. Alles andere klärt er lieber persönlich.