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„Sleep Divorce“Wie getrennte Betten eine Beziehung retten können

Lesezeit 6 Minuten
Ein Paar ein Mann und eine Frau liegen mit dem Rücken zueinander im gemeinsamen Bett

Das gemeinsame Bett aufzulösen, muss nicht das Beziehungsende bedeuten. Vielmehr liegt eine Chance darin.

Gemeinsam wohnen, aber getrennt schlafen? Das klingt nach Ehe-Krise. Dabei haben getrennte Betten durchaus Vorteile.

Wenn Julia, 48, aus Bonn, in ihrem Bett liegt, schaut sie auf drei hölzerne Giraffenköpfe an der Wand, die als Haken für ihren Schmuck dienen. Alles sieht so aus, wie es ihr gefällt, denn das Zimmer gehört ihr – ihr ganz allein. Seit sie im Dezember mit ihrem Mann Benjamin, 46, und dem gemeinsamen Sohn, 9, in eine Vierzimmer-Wohnung in Bonn zog, hat jedes Familienmitglied ein eigenes Zimmer: „Für uns ist die große Wohnung immer noch günstiger als die Scheidung“, scherzt Julia.

„Sleep divorce“, so wird das Phänomen der getrennten Betten im gemeinsamen Zuhause genannt. Immer mehr Paare entscheiden sich offenbar für eine solche „Schlaf-Scheidung“. In einer Studie des britischen Bettenherstellers „Bensons for beds“ aus dem Jahr 2018 ist sogar von 40 Prozent der Paare die Rede. Ein Drittel der Befragten gab an, seither sogar mehr und besseren Sex zu haben. Eine Studie der Uni Oxford belegt zudem, dass die meisten Menschen allein ruhiger schlafen als zu zweit.

Denn ein gemeinsames Bett kann auch Tücken mit sich bringen, die fern der romantischen Vorstellung vom seligen Arm-in-Arm-Einschlafen anstrengend werden können: Husten, Wälzen, Kämpfe um die Bettdecke, unterschiedliche Schlaf- und Aufstehzeiten oder Durchzug-Diskussionen um ein geöffnetes Fenster. Anstatt ausgeruht aufzustehen, liegen die Nerven am nächsten Morgen mitunter erst recht blank. 

„Das Bett ist eng verknüpft mit emotionaler Nähe und Intimität“

Das kann auch Paartherapeutin Nadine Pfeiffer aus Köln bestätigen. Die Psychologin hat an der Uni Münster in der Schlafforschung gelernt und weiß, dass gerade Frauen von nächtlicher Ruhe profitieren. Unter anderem, weil sie oft hellhöriger sind als ihre Partner. „Frauen brauchen in der Regel eine Stunde mehr Schlaf pro Nacht“, erklärt sie. 

Allerdings warnt die Expertin auch. „Das Bett ist eng verknüpft mit emotionaler Nähe und Intimität“, sagt sie. Wer also getrennt schlafe, solle darauf achten, kleine Liebes-Gesten anderweitig zu integrieren. Etwa mit einem zärtlichen Ritual, wie bei Christina, 34, und Ermin, 40, aus Rheinbach. Die beiden sind seit elf Jahren zusammen und seit vier Jahren Eltern einer Tochter. Seit der Schwangerschaft schlafen sie in getrennten Zimmern.

„Ich bin fast stündlich aufgewacht damals und habe nur schwer wieder in den Schlaf gefunden“, erzählt Christina. Schließlich ist sie ins Gästezimmer umgezogen. Das getrennte Schlafen hat das Paar bis heute beibehalten, was auch an Ermins Schnarchen liegt. „Ich fände es schon schön, irgendwann wieder zusammen zu schlafen, habe sogar meine Nasenscheidewand operieren lassen“, sagt er, „aber so richtig besser geworden ist es nicht.“

Jetzt möchte Ermin noch abnehmen, um zu schauen, ob das gegen das Schnarchen helfen könnte. Bis dahin haben sich die beiden aber schöne Rituale überlegt. Sie erzählen sich abends von ihrem Tag oder kraulen sich Rücken und Nacken. Wenn sie dann eingeschlafen ist, schleicht er sich raus in sein eigenes Zimmer.

Bei Julia, 39, und Jan, 41, aus Bad Honnef, die seit 15 Jahren zusammen sind und einen siebenjährigen Sohn haben, sieht es abends ähnlich aus. „Meistens schauen wir in meinem Bett noch eine Serie und ich schlafe dann in seinem Arm ein“, erzählt sie. Sein Herzschlag zu hören, findet Julia beruhigend. Danach geht er in sein eigenes Bett. Morgens besucht Jan sie dann wieder. „Dass wir getrennt schlafen, ist mit der Grund dafür, dass unsere Ehe so gut funktioniert“, meint Julia.

Schnell ist die Rede von Krise, wenn es das gemeinsame Bett nicht mehr gibt

Alle würden von bedürfnisorientierter Erziehung reden, warum nicht auch von bedürfnisorientiertem Schlaf in der Ehe, fragt sie sich. Julia ist auditiv hochsensibel, was dazu führt, dass sie und Jan auch im Urlaub getrennte Zimmer buchen müssen. Dass ihr Mann das so akzeptiert, dafür könnte sie ihn „sofort wieder heiraten“. Die beiden kennen sich schon aus Kitazeiten, eine wahre Sandkastenkastenliebe. Auch wenn es ein paar Umwege brauchte, bis sie vor 15 Jahren zusammengekommen sind.

Ganz zu Beginn der Beziehung, als sie noch nicht zusammenwohnten, da hatten sie es mit einem gemeinsamen Bett versucht, „weil man das halt so kennt und macht“, sagt Julia. Das habe sie viele Schlaftabletten gekostet. Mit dem Zusammenziehen war klar, dass es getrennte Betten geben würde. „Das weiß auch unser Umfeld, da schaut niemand komisch.“

Die gesellschaftliche Erwartungshaltung macht keinen Halt vor Schlafzimmern. Nicht umsonst heißt ein Doppelbett im Volksmund  „Ehebett“. Schnell ist die Rede von einer angeblichen Krise, wenn es dieses gemeinsame Bett nicht mehr gibt. Aber bei zu krassem Schlafmangel muss eine andere Lösung her. „Nicht umsonst wird Schlafmangel auch als Foltermethode eingesetzt“, sagt Paartherapeutin Nadine Pfeiffer.

Übermüdung mache Menschen gereizter und könne dadurch zum Konfliktherd werden. Sei es, weil der Partner schnarcht oder weil jemand im Schichtdienst arbeitet. „Ein gemeinsames Bett bedeutet auch nicht gleich mehr Intimität, wenn beide zwar nebeneinander liegen, aber nur ins eigene Handy schauen“, sagt Pfeiffer.

Die Psychologin empfiehlt, kreativ zu werden und nicht nur in Schwarz-Weiß-Mustern zu denken. Man könne sich wie Ermin und Christina gegenseitig ins Bett bringen oder sich morgens beim Wecken noch einmal zueinander legen. Man könne sich gegenseitig besuchen oder feste Dates vereinbaren. Eine Nachricht ins Zimmer nebenan schicken. Oder vereinbaren, nur fünf Nächte die Woche getrennt zu schlafen. „Es muss ja nicht sofort alles und immer getrennt werden“.

In ihrer Praxis als Paartherapeutin sei es häufig so, dass Klienten bereits vor dem Beziehungs-Aus stünden, wenn sie von getrennten Schlafzimmern erzählten. Dabei ginge es aber weniger um liebevolle Rücksichtnahme, damit alle zu ihrem wohlverdienten Schlaf kämen, sondern darum, dass man die Nähe des anderen „nicht einmal mehr im Schlaf aushält“. Da sieht die Paartherapeutin Nadine Pfeiffer einen großen Unterschied zu den hier vorgestellten Paaren.

Manche Menschen wollen auch nur Nähe vermeiden, da lohnt es sich, genau hinzuschauen

Trotzdem empfiehlt sie, genau auf die Motive für die nächtliche Trennung zu schauen. Manche Menschen wollten dadurch auch generell Nähe vermeiden. Sie äußerten dann direkt zu Beginn einer Beziehung bereits Autonomiewünsche und begründeten das damit, dass sie so viel Nähe einfach nicht ertragen könnten. „Da lohnt es sich, hinzuschauen, ob nicht eine Bindungsangst vorliegt, um sich dann Hilfe zu holen.“

Diese Gefahr besteht bei Julia und Benjamin nicht. Bei ihnen ist es schlicht Benjamins Schichtdienst als Stadtbahnfahrer, der die Nächte von Julia zerstückeln würde. Mal beginnt er um drei Uhr morgens, mal kommt er um halb sieben in der Früh von der Arbeit. Mit ihrem Umzug in eine Vierzimmer-Wohnung im Dezember hat jedes Familienmitglied nun einen eigenen Rückzugsraum im Haus.

„Ich liebe mein neues, eigenes Reich“, schwärmt Julia. Nicht nur ihr Bett steht darin, sondern auch ihr Schreibtisch, den sie im Homeoffice nutzt. Sie hat Fotos an der Wand hängen, während Benjamin in seinem Zimmer vor allem die Vitrine mit all seinen Legomodellen liebt – mit Lokomotiven und VW Bullis. Manchmal laden sie sich gegenseitig ein: „Ich würde heute Abend gerne bei dir übernachten, darf ich kommen?“

Wer allein sein will, schließt einfach seine Tür. Gerade, wenn es zwischen den beiden mal kracht, sei das ein großes Privileg, findet das Paar. Sie brauchen fern des Schichtdiensts auch mal tagsüber Raum für sich, um sich ansonsten gut und liebevoll begegnen zu können. „Unser Sohn ist schon ganz irritiert“, erzählt Julia, „dass hier wieder so viele Schnucki-und-Mausi-Säuseleien durch die Flure schwirren.“ Manchmal, so scheint es, können getrennte Betten Ehen durchaus retten.

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