„Mamamorphose“Wenn die beste Freundin Mutter wird

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Frau Luig, Sie haben ein Buch darüber geschrieben, wie sich Frauen-Freundschaften verändern, wenn eine von beiden Mutter wird und beschreiben diese Verwandlung als „Mamamorphose“. Was sind die schlimmsten Entwicklungen, die Frauen da durchlaufen?
Bei der Mamamorphose verschwindet die Frau unter einem großen Haufen Wickel- und Feuchttüchern. Wenn sie da wieder raus kommt, sagt sie als erstes: „Ich will ein Häuschen mit Garten in Müngersdorf“. Das Schlimmste ist, dass man sich als Freundin plötzlich so abgemeldet fühlt und nicht mehr so einen Bezug zu seiner Freundin hat. Auf einmal interessierte sie es nicht mehr besonders, was ich machte. Ich musste mit einem sehr kleinen, sehr süßen Kind um ihre Aufmerksamkeit konkurrieren.
In Ihrem Buch verarbeiten Sie die Schwangerschaft Ihrer besten Freundin Julia. Warum war das für Sie so schlimm? Wie viel Neid, Enttäuschung und Angst, sie zu verlieren waren dabei?
Meine erste Reaktion war: „Mensch, wir machen das doch zusammen!“ Wir sind gemeinsam zur Schule gegangen und haben uns immer gesagt: „Wenn wir Kinder bekommen, dann ziehen wir zusammen in ein Haus, wo alle Türen offen sind“. Als sie dann von ihrer Schwangerschaft erzählte, habe ich mich abgehängt gefühlt. Ich war neidisch, hatte aber auch Angst um die Freundschaft. Die Beziehungen haben uns nie etwas anhaben können. Aber jetzt kam jemand, der einfach wirklich wichtiger war als ich. Natürlich wurden auch unsere Freundinnen mit Kindern für sie spannende Ansprechpartner und ich war plötzlich nicht mehr die beste Freundin.
Sie bezeichnen sich sehr passend als „Mütter-Beobachterin“ und beschreiben viele Szenen, die Eltern ganz normal vorkommen: voll gepackte Kinderwagen, die wie Penner-Wagen aussehen, Internet-Profilfotos mit der ganzen Familie, Angebereien auf dem Spielplatz. Besonders gut ist der Hinweis, dass Eltern Kindern dauernd Fragen stellen: „Willst du diese Hose anziehen oder die?“ – und sie damit total überfordern. Das sind gute Hinweise, die aber vielen nicht gefallen werden.
Natürlich werden viele Leute beleidigt sein. Aber viele Beobachtungen stammen von meinen Freundinnen, die mir gesagt haben, was sie selbst an anderen Müttern nervt.
Fast alle Eltern sind sich darüber einig, dass andere Eltern ihnen zu viel rein reden. Stimmt das?
Ja, extrem. Ein Freund hat mir mal gesagt, das sei eigentlich nur Unsicherheit. Man ist selbst so überfordert mit dem Kind am Anfang, dass man es falsch findet, wenn jemand etwas ganz anders macht. Wer dann einen Plastikschnuller verwendet oder früh Brei füttert, macht das dann halt falsch. Für Frauen, die länger gewartet haben, ist das Kind plötzlich ein Ersatz für den Job, die wollen Profi sein. Mit Anfang 20 wäre ihnen vielleicht nicht jede noch so kleine Entscheidung so wichtig.
Sollte man also lieber früher Kinder kriegen?
Ich glaube schon. Ich habe auch das Gefühl, dass gerade eine Generation nachkommt, die sich darüber im Klaren ist, nicht alles schaffen zu können: perfekter Job, perfekter Mann, perfektes Kind zum perfekten Zeitpunkt. Die machen deshalb einfach lieber so wie wollen und machen sich nicht mehr so viel Stress.
Einige Dinge im Buch sind etwas ungerecht. Dass Eltern sich oft zu seltsamen Zeiten an Orten wie Spielplätzen treffen wollen, ist manchmal einfach nicht anders möglich. Auch, dass Eltern abends immer müde sind, kann man ihnen nicht vorwerfen. Haben Sie mal überlegt, dass die Eltern umgekehrt vielleicht auch sehr neidisch auf Sie und Ihr freies Leben sind?
Ja klar. Den Neid-Faktor gibt es auch andersherum. Ich weiß auch, dass es meine Freundinnen nicht toll finden, ständig im Zoo oder auf Spielplätzen zu sein. Natürlich beneidet man die Kinderlosen für ihre Freiheit.
Dieser Neid wird aber oft nicht offen kommuniziert, sondern drückt sich in Gleichmacherei aus. Die Frage „Wann ist es bei dir denn soweit?“ ist ein Klassiker an Kinderlose und ziemlich übergriffig.
Vor allem gibt es tausend Gründe, warum Menschen keine Kinder haben, nicht alle haben das selbst entschieden. Leute, die Kinder haben, vergessen das manchmal. Am meisten nerven mich die Fragen über das Liebesleben. Die kommen von Leuten, die früher selbst krisenreiche Beziehungen hatten und jetzt so tun als wären sie die Heilige Familie. Das machen Eltern wirklich total gerne.
Warum wollen Eltern nie etwas Negatives erzählen? Das würde anderen Eltern doch auch helfen, zu wissen, dass man nicht der Einzige ist, bei dem nicht alles gut läuft.
Vielleicht empfinden sie es selbst nicht so. Oder denken seltener über sich nach, weil sie gar nicht so viel Zeit dazu haben. Vielleicht haben sie auch Angst, etwas falsch gemacht zu haben und der andere hat diesen Schritt noch vor sich. Dabei würde es auch der Freundschaft gut tun, den anderen wieder an seinen Problemen zu beteiligen, dann wäre man wieder mehr beteiligt.
Sie schreiben, „Welche Art Mutter man wird, ist die letzte ideologische Frage unserer Zeit“. Wie sehr kann man das beeinflussen?
Wahnsinnig viel hat das mit dem Vater des Kindes zu tun, wie der sich einbringt und wie viel der macht.
Unabhängig vom Vater ist doch, wie sich die Mütter nach der Geburt verändern, ob sie plötzlich nur noch Funktionskleidung tragen und ungeschminkt vor die Tür gehen, ob Stadtfrauen plötzlich vom Landleben träumen. Ist das nun das wahre Ich der Leute oder passiert das einfach so?
Bei manchen habe ich das Gefühl, sie haben nur darauf gewartet, darunter einige, die vorher total gern weggegangen sind. Jetzt frage ich mich, ob rumsitzen, Tee trinken und das eigene Kind loben nicht das ist, was sie eigentlich schon immer machen wollten. Manche finden das neue Leben vielleicht auch so schwierig, dass sie sich übertrieben darauf einlassen – müssen.
Vielleicht ist es ja auch gar nicht so schlecht, dass Frauen, die vorher ganz tough und cool waren, als Mütter ein bisschen weich werden.
Sicher. Einige Freundinnen sind durch ihr Kind viel toleranter geworden, liebevoller, weicher und nicht mehr so akribisch.
Zum Schluss ein kleines Bewertungsspiel. Bitte benoten Sie jedes Stichwort von 1 („Ist mir egal.“) bis 10 („Ist das Schlimmste, was ich mir vorstellen kann.“)
Glutenfrei:
Das Schlimmste, was ich mir vorstellen kann!
Reiswaffel:
Angelutscht eine 10.
Dinkelkeks:
Anstrengend, generell nervt das Gerede über das richtige Essen enorm, 9.
Apfelschnitze in Tupperdosen:
Finde ich gut, 3. Esse ich selbst oft mit, weil Kinder das ja nicht essen.
Arnica-Globuli und Erste-Hilfe-Sets auf Spielplätzen:
Finde ich super, weil es die Freundinnen total beruhigt, 3.
Frauen-Balance-Tee:
Trinke ich gerne, 2. Aber gemeinsam am Abend getrunken, als Konkurrenz zum Wein: Eindeutig eine 10.
Das Gespräch führte Tanja Wessendorf