Von Abendmahl bis AuferstehungWie viel Wahrheit steckt in der Ostergeschichte? Ein Faktencheck

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Ein Bild von Jesus am Kreuz, im Hintergrund die Umrisse eines Esels und der Jünger beim letzten Abendmahl

Das letzte Abendmahl, die Kreuzigung: Was lässt sich faktisch belegen?

Abendmahl, Kreuzigung, Auferstehung – alles bloß erfunden? Wir untersuchen, welche Teile der Ostergeschichte auf geschichtlichen Ereignissen basieren.

„Die größte Geschichte der Menschheit.“ Drunter tat RTL es nicht, als der Sender 2022 für seine Umsetzung der Passionsgeschichte als TV-Ereignis der Superlative trommelte. Aber was an dieser Story hält heute einem kritischen Blick stand? Was gibt es über diese Geschichte zu wissen, auch wenn man sie vielleicht nicht glauben mag? Der Aachener Theologe Simone Paganini und seine Frau, die Philosophin Claudia Paganini, haben sich nach ihrem „Faktencheck Weihnachten“ jetzt an die Passions- und Ostererzählungen herangemacht. Das Ergebnis in Kurzform: Zu den Zeiten, Orten, Haupt- und Nebenpersonen lässt sich einiges an gesichertem Wissen oder zumindest wissenschaftlich plausiblen Hypothesen zusammentragen. Im Zentrum aber bleibt eine Leerstelle, wie die Stille im Auge des Orkans.

Joachim  Frank

Joachim Frank

Chefkorrespondent und Mitglied der Chefredaktion beim „Kölner Stadt-Anzeiger“. Der gebürtige Schwabe mit münsterländischem Migrationshintergrund lebt seit 1996 mit Unterbrechungen in Köln und ist beke...

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Ein gewisser Christus wurde hingerichtet

Leben und Tod des Jesus von Nazareth sind in nicht-biblischen Quellen bezeugt. So erwähnt der römische Historiker Tacitus im Jahr 116/117 ganz selbstverständlich, dass ein gewisser Christus unter Kaiser Tiberius von dessen Statthalter in Judäa, Pontius Pilatus, hingerichtet worden sei. Auch für Sueton oder Plinius den Jüngeren ist Jesus zweifelsfrei eine historische Persönlichkeit.

Dass die vier biblischen Lebensberichte, die Evangelien im Neuen Testament, längst nicht in allen Details historische Gegebenheiten widerspiegeln, ist eine andere Frage. Sie ist aber in gleicher Weise an alle antike Autoren und ihre Schriften zu stellen. Geschichtsschreibern wie Plutarch oder Herodot geht es weniger um die historisch exakte Beschreibung bestimmter Geschehnisse, sondern um deren Deutung. Auch Julius Caesars „Gallischer Krieg“ ist weniger Bericht als Interpretation. Das wusste die antike Leserschaft, und es hat sie nicht gestört.

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Schon kurz nach dem Tod Jesu im Jahr 30 kursierte in den ersten christlichen Gemeinden eine „Basiserzählung“ (Kerygma), wonach Jesus gefoltert, ans Kreuz geschlagen, begraben und „am dritten Tage auferweckt“ wurde. Das letzte Abendmahl, die Verhaftung, Verurteilung und Hinrichtung vollzogen sich nach übereinstimmendem Zeugnis innerhalb eines einzigen Tages. Auch einige entscheidende Figuren treten in allen Evangelien auf: Pontius Pilatus, Judas, die Frauen aus dem Jüngerkreis.

Es macht einen Unterschied, dass das „Narrativ“ von Tod und Auferstehung Jesu in der Geschichte verankert ist

Viele weitere Bestandteile der Berichte weichen aber voneinander ab, teilweise so sehr, dass die verschiedenen Versionen schlechterdings unvereinbar sind. Das allerdings, sagt der Salzburger Theologe Gregor Maria Hoff, sei „paradoxerweise ein Plausibilitätskriterium“: Was speziell die Auferstehungsberichte behaupten, „ist keine Dokumentation, sondern ein Glaubensgeschehen, das sich jeder Mensch in seinem Glauben aneignen muss“. Dennoch mache es einen Unterschied, dass das „Narrativ“ von Tod und Auferstehung Jesu in der Geschichte verankert sei und keine bloß erfundene Geschichte. Der Faktencheck, sagt auch Claudia Paganini, könne mit seiner „Entzauberung“ der biblischen Berichte als faktengetreue Quellen ein Beitrag zu einem reiferen Glauben sein: Woran macht sich der Glaube fest? An scheinbar überprüfbaren Fakten oder einem tieferen Wissen? Wir gehen Termine, Personal und Requisiten der Ostergeschichte durch:

Faktencheck Nr. 1: Das letzte Abendmahl

Um keine Gästeliste wird seit bald 2000 Jahren mehr Aufhebens gemacht als um die des letzten Abendmahls. Die Teilnahme von nur zwölf engen Gefährten Jesu, den Aposteln, ist in den Evangelien keineswegs Konsens. Obwohl man mit guten Gründen davon ausgehen kann, dass bei einem Abendessen Jesu auch die Frauen aus seinem Jüngerkreis dabei waren, beharrt die katholische Kirche auf einer Tafelrunde von nur zwölf Männern – und zieht diese Besetzung als Argument dafür heran, die Frauen von den geistlichen Ämtern auszuschließen. Gäbe der Vatikan etwas auf einen Faktencheck, wäre längst die Schleifung dogmatischer Bastionen fällig.

Simone und Claudia Paganini

Simone und Claudia Paganini

Schon mit dem Versuch, den Zwölferkreis genau zu bestimmen, gerät man gehörig in die Bredouille, weil die Evangelien und auch die Apostelgeschichte unterschiedliche Namen nennen. Die Bemühungen, den Abendmahlssaal in Jerusalem zu lokalisieren, sind ebenfalls reine Spekulation. Als Ort des Geschehens wird heute in Jerusalem ein Raum in der Nähe der Dormitio-Abtei auf dem Zionsberg gezeigt. Im gleichen Stadtteil sollen sich nach Ostern die Jünger Jesu versammelt und den Heiligen Geist empfangen haben. Simone Paganini spricht hier von einer örtlichen „Verschmelzung“ verschiedener Traditionen.

Ungleich wichtiger als der Ort ist der Zeitpunkt des letzten Abendmahls. Grundlage für die Datierung ist die übereinstimmende Angabe, dass Jesus an einem Freitag zu Beginn des jüdischen Pessachfests (auch: Passah) starb. Der Starttermin des einwöchigen Pessachfests ist der 15. Tag des Monats Nisan, dem als Auftakt eine Vorabendfeier am 14. Nisan vorausgeht, dem „Rüsttag“ vor Pessach.

Pessachmahl oder gewöhnliches Abendessen?

So weit, so präzise. Dann aber beginnen die Unklarheiten. Die Evangelisten Markus, Matthäus und Lukas legen das letzte Abendmahl auf eben diesen Vorabend des 15. Nisan und stellen es demzufolge als traditionelles Pessachmahl im jüdischen Ritus dar. Im Johannes-Evangelium dagegen nimmt Jesus mit seinen Jüngern ein gewöhnliches Abendessen mit Wein und Brot ein, bei dem aber die typischen Pessach-Speisen fehlen, die an den biblischen Auszug aus Ägypten erinnern sollen: Bitterkräuter, ungesäuertes Brot und das Lamm. Dieses Mahl hätte dann am Abend des 13. Nisan stattgefunden.

Simone Paganini gibt der Darstellung des Johannes den Vorzug. Denn nur dann ergeben die Berichte über die anschließende Verhaftung Jesu, seine Verhöre und seine Verurteilung Sinn. Nach den religiösen Vorschriften des Judentums hätte es am 15. Nisan, also während des Pessachfests, keinerlei Aktivitäten der jüdischen Autoritäten geben können, die im Endeffekt zum Tod Jesu führten. 

Mit der wenig glaubwürdigen Spätdatierung des Abendmahls auf den ersten Tag des Pessachfests verbinden die anderen drei Evangelien eine theologische Absicht: Sie inszenieren die Einsetzung der christlichen Eucharistiefeier als neues Pessach. Der Johannes-Chronologie, dem jüdischen Kalender und den Angaben zur Amtszeit des Pontius Pilatus (siehe „Gelitten unter Pontius Pilatus“) folgend, datiert Paganini das letzte Abendmahl auf den 6. April des Jahres 30. Eine erstaunlich präzise Angabe, fast zu schön, um wahr zu sein.

Faktencheck Nr. 2: Verraten von Judas

Für den Faktencheck zur Gestalt des Judas ist die Frage wichtig: Brauchte es einen Verräter, um Jesus verhaften und später hinrichten zu können? Die Antwort: Jein. Jesus war in Jerusalem bekannt. Wo er sich aufhielt, war nicht geheim. Bei Vollmond und klarem Frühlingshimmel waren die Lichtverhältnisse nachts so günstig, dass er leicht zu erkennen war. Erst recht unnötig war deshalb die theatralische Geste des „Judaskusses“, um Jesus bei seiner Verhaftung zu identifizieren.

Trotzdem kennen alle vier Evangelien die Figur des Verräters – eine biblische Eigenheit, die sich nirgends sonst in der antiken Literatur findet. Berichte über ein faules Ei im innersten Zirkel um Jesus sind im Grunde die absolute Antiwerbung für den Jüngerkreis, aber auch für Jesus selbst. Es brachte die frühchristlichen Missionare in Erklärungsnot, dass der Sohn Gottes so dumm gewesen sein sollte, sich mit einem Verräter zu umgeben.

Heiligenbild Jesus und Jünger

Unnötig, weil hell genug: die theatralische Geste des „Judaskusses“, um Jesus bei seiner Verhaftung zu identifizieren.

Von der Lichtgestalt zum Erzschurken

All das spricht dafür, dass es Judas tatsächlich gegeben hat und die Erinnerung an seine Rolle so stark war, dass die Evangelisten ihn nicht einfach aus ihren Geschichten tilgen konnten. Als literarische Gestalt machten sie ihn dafür peu à peu so schlecht wie nur möglich – nicht nur mit dem Judaskuss. Sie stellten ihn auch als habgierig hin und schickten ihn, vom Teufel besessen, in einen schmählichen Selbstmord.

Für die viel spätere Deutung des Verrats aus enttäuschter Hoffnung auf Jesus als Anführer eines Aufstands gegen die Römer gibt es keinen sicheren Beleg. Nirgends in der Bibel erscheint Judas als politisch interessiert. Simone Paganini hält eine ganz andere These für plausibel: Judas könnte in der frühen Gemeinde eine Art Heldenstatus genossen haben, weil er Jesus zum Tod am Kreuz „verholfen“ habe – und damit zur Auferstehung. Später hätte Judas dann in einem Machtkampf mit Petrus den Kürzeren gezogen und wäre – mit freundlicher Unterstützung der Evangelisten – von einer Lichtgestalt zum Erzschurken mutiert.

Faktencheck Nr. 3: Gelitten unter Pontius Pilatus

Der schlagende Beweis für die Existenz des Pontius Pilatus wurde erst vor gut 60 Jahren entdeckt. Das Fragment einer Weiheinschrift an einem öffentlichen Gebäude im antiken Cäsarea enthält seinen Namen und seine Amtsbezeichnung: Präfekt. Die schriftlichen Quellen – und hier vor allem der jüdisch-römische Historiker Flavius Josephus – schildern den Römer aus Beneventum (heute Benevento) in Süditalien als skrupellosen Machthaber, dem wegen seines Gewaltregimes am Ende sogar der Prozess gemacht wurde. Der Ausgang ist unbekannt. Möglicherweise fiel Pilatus, der als Statthalter für die ungewöhnlich lange Zeit von zehn Jahren amtierte, danach der „damnatio memoriae“ anheim, einem gut organisierten Vergessen: Hinweise auf eine bestimmte Persönlichkeit wurden systematisch getilgt.

Die biblischen Berichte dagegen lassen Pilatus gut wegkommen. Die Evangelien des Lukas und Johannes, geschrieben für ein griechisch-römisch geprägtes Publikum, hatten kein Interesse, die Römer schlecht darzustellen. Obwohl klar ist, dass die römischen Besatzer für das Todesurteil gegen Jesus verantwortlich waren, sind sie die Guten, die Juden die Bösen. In der Bibel ist das aber noch kein Antisemitismus im späteren Sinn. Schließlich waren Jesus und alle Jünger selbst Juden. Trotzdem hatte der antijüdische Spin nach dem politischen Aufstieg des Christentums fatale Folgen für das Judentum.

Eher unwahrscheinlich, dass Pilatus sich mit Jesus befasst hat

Das Recht, Todesurteile zu verhängen, lag in den römischen Provinzen ausschließlich bei den dortigen Vertretern des Kaiserreichs. Es ist trotzdem sehr unwahrscheinlich, dass Pilatus sich persönlich mit Jesus befasst hat. Nicht-römische Bürger galten im römischen Recht als bloße Sache, von geringerem Wert als ein Sklave. Mit ihnen konnte buchstäblich kurzer Prozess gemacht werden. Gut möglich also, dass das Todesurteil gegen Jesus wegen religiösen Aufruhrs von einem Militär, etwa einem Zenturio, verhängt wurde.

Jesus trägt sein Kreuz und gefaltete Hände

Dass Pilatus mit einer Handwaschung symbolisch seine Unschuld am Tod Jesu demonstrieren wollte, ist ebenfalls unglaubhaft.

Frei erfunden ist die Begegnung, in der Pilatus mit der Frage „Was ist Wahrheit?“ ein philosophisches Gespräch mit Jesus als jüdischem Weisheitslehrer anzubahnen versucht. Dafür war Pilatus ganz sicher nicht der Typ. Dass er mit einer Handwaschung symbolisch seine Unschuld am Tod Jesu demonstrieren wollte, ist ebenfalls unglaubhaft. Ein solcher Ritus ist nur im Alten Testament an einer einzigen Stelle belegt. Pilatus, der die Juden verachtete, wird ihn garantiert nicht kopiert haben. Der historische Kern der Szene könnte sein, dass Pilatus den Fall Jesus vollkommen beiläufig erledigte, als dieser ihm früh am Tag– quasi bei der Morgentoilette – von einem seiner Leute vorgetragen wurde.

Faktencheck Nr. 4: Das Kreuz und andere Requisiten

Die Römer übernahmen die Kreuzigung als qualvolle und zugleich schandbare Hinrichtungsmethode von den Karthagern und Persern. Mit ihrem sprichwörtlichen technischen Geschick „verfeinerten“ sie die ursprüngliche Pfählung. Ihr „crux“ war ein senkrecht im Boden befestigter Pfahl, an dem ein Querbalken befestigt wurde, entweder an der Spitze des Pfahls (T-Kreuz) oder etwas versetzt nach unten. Den Querbalken musste der Delinquent selbst zum Hinrichtungsplatz schleppen. Neben dem aus der christlichen Kunst vertrauten, aber nur selten belegten Hochkreuz verwendeten die Römer meist ein Niedrigkreuz, an dem der Körper nur knapp über dem Boden hing.

Der weitere Ablauf einer Kreuzigung, die Cicero einmal als „grausamste und fürchterlichste Todesart“ bezeichnete, ist nicht bekannt. Die antiken Autoren scheuten sich, das Geschehen im Detail zu schildern. Auch der früheste biblische Bericht reduziert es auf einen Satz: „Und sie kreuzigten ihn.“ Man weiß aber, dass die Gekreuzigten zuvor geschlagen und ausgepeitscht wurden. Spotthandlungen, wie die Evangelien sie mit der Dornenkrönung Jesu berichten, sind in außerbiblischen Zeugnissen ebenfalls überliefert und können daher als authentisch gelten. Der Tod selbst trat durch Ersticken ein.

Keine einzige Passionsreliquie hat den wissenschaftlichen Echtheitstest bestanden

Dass irgendein Augenzeuge das Kreuz Jesu für die Nachwelt gesichert haben könnte, ist ausgeschlossen. Wenn überhaupt, wurden die Balken wiederverwendet, genau wie die wertvollen Eisennägel. Ein Interesse an originalen Relikten kam erst im 4. Jahrhundert auf. Kaiserin Helena, die Mutter Konstantins des Großen, machte sich persönlich auf die Suche nach Orten und Requisiten der Passion. Wenig überraschend wurde sie auch fündig. Doch danach verschwanden ihre Trouvaillen und tauchten erst im 8. oder 9. Jahrhundert wieder auf, nochmals vermehrt dann in der Zeit der Kreuzzüge. Ein Papst oder Bischof, der sie mit Zertifikat und Echtheitsstempel versah, fand sich auch immer.

Nur leider: alles Fake! Keine einzige der bis heute verehrten Passionsreliquien hat den wissenschaftlichen Echtheitstest bestanden. Die eiserne Spitze der „heiligen Lanze“ etwa, die zu den Reichskleinodien der deutschen Kaiser gehörte, stammt aus dem frühen Mittelalter. Und von der Lanze selbst gibt es gleich mehrere Exemplare. Über die Kreuz-Reliquien spottete schon 1543 der Reformator Johannes Calvin, dass mit ihnen „unschwer ein ganzes Schiff beladen werden könnte“.

In Wahrheit ist vom historischen Jesus nichts geblieben – außer einer ungebrochen lebendigen Überlieferung.

Faktencheck Nr. 5: ... und brachten ihn an einen Ort namens Golgotha

Am Karfreitag in Jerusalem auf der Via Dolorosa den Kreuzweg Jesu nachzugehen, gilt als eine besonders intensive Form der geistlichen Einfühlung in das Leiden Jesu. Allerdings würde ein antiker Routenplaner permanent verrückt gespielt haben: Die heutige Wegführung, eine Festlegung aus der Zeit der Kreuzritter, verläuft nämlich entgegengesetzt zur historisch wahrscheinlichsten Strecke. Der römische Statthalter hatte seinen Sitz im Herodespalast im Nordwesten Jerusalems. Nach seiner Verurteilung wurde Jesus von dort durch ein nahe gelegenes Tor vor die Stadt geführt. Hinrichtungen mussten laut Vorschrift außerhalb der Stadtmauern stattfinden. Der „Golgotha-Felsen“, eine etwa fünf Meter hohe Plattform in der Grabeskirche, ist als Ort der Kreuzigung durchaus plausibel. Schon der erste Kirchbau im 4. Jahrhundert nahm auf genau diese Stelle Bezug – ungeachtet eines technisch denkbar ungeeigneten Untergrunds.

Für eine solch luxuriöse Grabstätte muss Jesus einen reichen Gönner gehabt haben

Vom Grab Jesu ist in der ältesten Überlieferung, beim Apostel Paulus, noch keine Rede. Die später in den Evangelien verwendeten Wörter lassen auf einen Hohlraum in einem Felsen schließen. Für eine solch luxuriöse Grabstätte muss Jesus einen reichen Gönner gehabt haben, der ein neues Grab zur Verfügung stellte. Der Leichnam des Hingerichteten hätte ein bereits benutztes Grab entweiht – und mit ihm die dort Bestatteten.

Grabeskirche und Osterlamm

Die Verehrung des Begräbnisorts in der Grabeskirche reicht zurück bis ins 2. Jahrhundert.

Die Verehrung des Begräbnisorts in der Grabeskirche reicht zurück bis ins 2. Jahrhundert. Allerdings wurde das Areal zweimal komplett zerstört. Die heutige Lokalisierung ist Teil eines mittelalterlichen Tourismusbetriebs. Die Pilger, die ins Heilige Land kamen, sollten etwas geboten bekommen für ihr Geld. Praktischerweise liegen der Ort der Kreuzigung Jesu, der Salbung des Leichnams und das Grab so nah beieinander, dass sich darüber eine einzige Kirche errichten ließ – mit kurzen Wegen für die Besucher. „So ähnlich wie heute mit dem Wintersport in Tirol“, sagt Simone Paganini: „Skipiste, Skiverleih und Hotel fürs Après Ski – alles in direkter Nachbarschaft.“

Faktencheck Nr. 6: Frauen an Kreuz und Grab

Die Evangelien sind sich einig: Als es mit Jesus zu Ende ging, waren die Kerle weg. Aus seinem Jüngerkreis blieben nur die Frauen übrig. Die Verleugnung Jesu durch Petrus dürfte – weil hinreichend peinlich für das spätere Gemeindeoberhaupt – eine historische Episode sein. Für die Frauen gilt dann etwas Ähnliches wie für Judas: Ihre Rolle war den Zeitgenossen zu vertraut, als dass die biblischen Autoren sie hätten herausschreiben können. In der männerdominierten jungen Kirche hätte es jedenfalls keinen Sinn gehabt, Frauen als Besucherinnen am Grab und erste Zeuginnen der Auferstehung hervorzuheben, wenn dahinter nicht ein sicheres Wissen um die Ereignisse gestanden hätte.

Paulus interessiert nicht einmal der Name der Frau, die Jesus geboren hat

Weggelassen sind die Frauen nur bei Paulus. Der frühchristliche Macho listet Hunderte von Zeugen der Auferstehung auf – allesamt Männer. Diese Nichtbeachtung zieht sich bei ihm durch. Ihn interessiert nicht einmal der Name der Frau, die Jesus geboren hat. Der paulinischen Propaganda waren Frauen nicht dienlich. Was sie zu sagen hatten, war für die antike Kultur ohne jede Beweiskraft. Simone Paganini: „Die Meinung von Frauen zählte null.“

Relativieren muss man die biblische Szene mit den Frauen direkt unter dem Kreuz. Eine so große Nähe wäre lebensgefährlich gewesen. Die Römer hatten jede Bekundung von Verbundenheit oder Mitleid mit einem hingerichteten Aufrührer verboten. Wer dagegen verstieß, erlitt leicht dasselbe Schicksal. Die Römer machten da nicht viel Federlesen.

Frauen am Kreuz

Frauen am Kreuz gab es vermutlich nicht.

Faktencheck Nr. 7: Auferstanden von den Toten

Scheintot. Lebendig begraben. Hätte Jesus die Tortur der Kreuzigung schwer verletzt überstanden, wäre das dann die ultimative Erklärung für das leere Grab und die „Auferstehung“? Bei genauerer Betrachtung ist die medizinische Sensation mindestens so unglaublich wie alle anderen Versuche, das Geschehen in der Nacht auf Ostern zu rationalisieren. Ein Gekreuzigter hatte nicht die geringste Überlebenschance. Er wäre spätestens den Infektionen seiner Wunden erlegen. Schon gar nicht hätte der gekreuzigte Jesus bereits nach wenigen Tagen quicklebendig herumspazieren und mit seinen Jüngerinnen und Jüngern parlieren können.

Wegen der Lichterscheinungen am Grab, von denen die Bibel berichtet, war eine Zeit lang die Annahme einer gewaltigen kosmischen Energie in Mode, die Jesus vom Tod ins Leben zurückbefördert habe. Diese Deutung nimmt eine Außerkraftsetzung der Naturgesetze an, wie wir sie zu kennen meinen. Für Claudia Paganini ergibt das „im Kontext des Glaubens keinen Sinn“, obwohl die moderne Wissenschaftstheorie auch die Naturgesetze selbst als Glaubenssätze begreift: als Deutungen von Sinnesdaten, die nicht zuletzt das Bedürfnis des Menschen nach Verlässlichkeit befriedigen. Gesichertes Wissen über den Tod hinaus aber „kann es nicht geben“, so die Philosophin.

Bei der Auferstehung geht es um Begegnung und Gemeinschaft

Die Evangelien ihrerseits fangen erst gar nicht an, die Auferstehung „erklären“ zu wollen. Sie beschreiben sie noch nicht einmal und bieten auch keine Augenzeugen auf. Vielmehr ringen die biblischen Autoren um Worte für etwas, wofür es in den Sprachen der ersten Christen –  Aramäisch und Griechisch – keine Vokabeln gab: „aufstehen“, „aufgeweckt werden“ lauten die ersten Versuche.

Und das leere Grab? Im Markus-Evangelium, dem ersten Osterbericht, löst es bei den Besucherinnen am Ostermorgen blankes Entsetzen aus. Entscheidend für den Glauben an die Auferstehung ist weder das leere Grab noch der Akt als solcher, sondern die Erscheinung des Auferstandenen. Es geht dabei, sagt der Kölner Theologe Hans-Joachim Höhn, um Begegnung und Gemeinschaft. Der Auferstandene erscheint den Jüngern „in ihrer Mitte“. Das setzt eine über den Tod Jesu hinaus intakte Gruppe voraus. „Offenbar hat sie etwas zusammengehalten: der Einsatz Jesu für das Leben, der ihn das Leben gekostet hat.“

Die religiöse Innovation des Christentums besteht laut Höhn darin, sich Gott und den Tod nicht möglichst weit voneinander getrennt vorzustellen, sondern die Frage durchzuspielen: Was passiert eigentlich, wenn Gott es mit dem Tod und der Tod es mit Gott zu tun bekommt? Auferstehung sei eine Chiffre für die Überzeugung: Die Macht des Todes kommt an ein Ende, wenn er an die Unendlichkeit Gottes gerät. „Oder um es in ein Wortspiel zu fassen: Mit dem Tod Jesu läuft der Tod sich tot.“

Ob es wirklich so ist, kann man nicht wissen. Der Auferstehungsglaube ist „eine Interpretation von Erfahrungen“, betont auch Höhns Kollege Gregor Maria Hoff. „Damit kann man auch danebenliegen.“ Umso entscheidender sei es, „dass der Glaube an die Auferstehung sich ins Leben gläubiger Menschen übersetzt.“ Und das geschieht – seit mehr als 2000 Jahren. Daraus gewinnt dieser Glaube bis heute Überzeugungskraft – auch ohne Faktencheck und Garantieurkunde.

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