„Lach' doch mal“Warum Mädchen und Frauen ständig lächeln sollen

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Wieso sollte man lachen, wenn einem nicht danach ist?

Wieso sollte man lachen, wenn einem nicht danach ist?

„Lach doch mal“ - wie viele Generationen von Mädchen und Frauen haben sich diesen Spruch schon anhören müssen, und zwar immer wieder. Nicht nur von Verwandten beim Familienfest, vom Schulfotografen beim Klassenfoto, sondern auch von Passanten, Wildfremden, die im Vorbeigehen Anweisungen erteilen - als könnten sie es nicht aushalten, dass man nicht lächelt.

Das Streetart-Projekt „Stop telling women to smile“ der New Yorker Künstlerin Tatyana Fazlalizadeh, die gegen die Belästigung von Frauen auf der Straße kämpft, ist inzwischen zu einem Selbstläufer geworden. In vielen Städten in den USA, aber auch in Mexico City, sind die Werke der Streetart-Künstlerin zu sehen. Unter den Porträts der Frauen steht nicht nur der Spruch „Hört auf, Frauen zu sagen, dass sie lächeln sollen“, sondern auch „Frauen sind nicht zu Eurer Unterhaltung auf der Straße“.

Devot lächeln - das lernen schon kleine Mädchen

Von Mädchen und Frauen wird nach wie vor erwartet, dass sie in fast jeder Situation freundlich schauen. „Dahinter stecken uralte Konzepte, die die Rollenverteilung in der Steinzeit widerspiegeln“, erklärt die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin Christina Hennen: „Die liebevoll lächelnde Frau, die sich um den Nachwuchs kümmert - und der ernst dreinschauende Mann, der kämpfen und sich durchsetzen muss, um für Nahrung zu sorgen.“

Zwar haben sich diese Rollenverteilungen heute zum Teil aufgelöst, die über Jahrtausende entstandenen „typisch männlichen“ und „typisch weiblichen“ Kommunikationsmodelle haben sich jedoch eingebrannt - und werden von Generation zu Generation weitergegeben, wie die Therapeutin erklärt, die sich mit den verschiedenen Kommunikationsformen eingehend auseinandergesetzt hat. „Schon kleine Mädchen lernen diese vermeintlich natürliche Haltung“, sagt Hennen, „den Kopf leicht schräg zu halten, die Schultern einzuziehen und dabei devot zu lächeln.“

Ist die Nicht-Lächelnde böse, arrogant oder doch nur traurig?

Wenn Frauen und Mädchen nicht lächeln, muss etwas nicht in Ordnung sein, glauben wir. „Das sorgt immer noch für sehr große Irritationen“, weiß Hennen, „und für falsche Assoziationen.“ Ist die Nicht-Lächelnde womöglich böse, arrogant, zickig oder einfach nur traurig?

Dieses Phänomen ist durch die Bilderflut in den sozialen Medien noch verstärkt worden. In amerikanischen Medien ist inzwischen vom „Resting Bitch Face“ die Rede, also auf Deutsch etwa vom „Bleibenden Miststück“-Gesicht: Dabei geht es um den Gesichtsausdruck, den Frauen haben, wenn sie - vermeintlich - neutral schauen. Frauen, die ganz unbewusst ihren „normalen“ Gesichtsausdruck aufsetzen, wird unterstellt sie seien „bitchy“, also gehässig oder gemein.

„Gibt es eigentlich einen Filter bei Instagram, der das 'Resting Bitch Face' kaschiert?“, fragte sich etwa die US-Schauspielerin Anna Kendrick selbstironisch in einem Tweet. Kendrick, die für Charakterrollen bekannt ist und bereits für einen Oscar nominiert war, schaut auf vielen Fotos eher ernst. Selbst der Nachrichtensender CNN und die Tageszeitung New York Times widmeten dem Phänomen große Stücke. Geprägt wurde der Begriff demnach wohl auch durch die Parodie eines Werbespots, fast sechseinhalb Millionen User haben sich das Video schon bei Youtube angesehen. Das Medienportal Buzzfeed sammelte in einem Artikel bessere Alternativen für den Ausdruck „Resting Bitch Face“, darunter das „'Dass ich so gucke, wäre Dir egal, wenn ich ein Typ wäre'-Gesicht“. Ein männliches Equivalent zu dem Ausdruck existiert tatsächlich nicht.

Unter #RestingBitchFace findet man in sozialen Netzwerken inzwischen unzählige Tweets. Frauen berichten von ihren Erfahrungen mit ihrem vermeintlich „bösen“ Gesichtsausdruck. Da schreibt etwa eine Twitter-Userin, ein Passant habe zu ihr gesagt, wenn sie lächele, sehe sie gut aus, wenn nicht, könnte man glauben, sie werde gleich jemanden umbringen. Eine junge Instagram-Userin erklärt unter #RestingBitchFace, sie sei ein wenig traurig, dass sie auf dem Foto für ihren Personalausweis nicht lächeln dürfe - wie sie das auf all ihren anderen Fotos mache.

„Wenn du so guckst, kannst du dich ja gleich umbringen“: Wie junge Mädchen aufgrund eines fehlenden Lächelns von ihrem Umfeld gemobbt werden, erzählt uns eine Therapeutin – auf der nächsten Seite.

Mobbingfälle aufgrund eines fehlenden Lächelns

Therapeutin Hennen, die seit mehr als 30 Jahren auch als Diplom-Sozialpädagogin mit Kindern und Jugendlichen an Schulen arbeitet, kennt immer mehr Mobbing-Fälle, die sich allein um den Gesichtsausdruck von jungen Mädchen drehen. Der Druck zu lächeln und sich Mühe zu geben, hübsch auszusehen, sei durch die sozialen Netzwerke stark potenziert worden, erklärt Hennen.

Der Instagram-Account jeder Mitschülerin sieht aus wie eine Modelmappe

Es ist nicht mehr nur das Topmodel auf dem Bravo-Starschnitt, das perfekt in die Kamera lächelt, sondern fast alle Mitschülerinnen scheinen das drauf zu haben, so der Eindruck vieler junger Mädchen, die Hennens Praxis in Heinsberg frequentieren. Die Instagram-und Facebook-Accounts der Mitschülerinnen sehen aus wie Modelmappen, das Lächeln haben sie nach Hunderten von Selfies perfektioniert.

„Wenn Du so guckst, kannst Du Dich ja gleich umbringen“

In ihrer psychotherapeutischen Praxis für Kinder und Jugendliche erfährt sie von Sprüchen, die viel weiter gehen als die Aufforderung „Lach doch mal“: „Wenn Du schon so guckst, kannst Du Dich ja gleich umbringen“, musste sich eine ihrer Patientinnen von einem Mitschüler sagen lassen. Immer mehr Mädchen behandele sie in ihrer Praxis, die aufgrund massiven Mobbings, das sich auf Gesichtsausdrücke und Aussehen bezieht, depressiv oder sogar suizidal geworden seien. Manche müssten immer wieder in Kliniken behandelt werden.

Selbstbewusst zu Gefühlen stehen

Was rät die Psychotherapeutin Mädchen, die wegen ihres Blickes diskriminiert werden? „Sie sollten selbstbewusst zu ihrem natürlichen Gesichtsausdruck zu stehen“, sagt Hennen. „Man muss junge Mädchen darin bestärken, nicht immer angepasst zu sein und sich treu zu bleiben“, sagt Hennen. „Sie sollten nicht lächeln, weil es von ihnen erwartet wird, sondern wenn sie sich wirklich danach fühlen“, sagt Hennen.

Allerdings: „Wenn sie sich auf dem Schulhof und auch später im Berufsleben durchsetzen wollen, ist es auch wichtig, dass sie die männlichen Kommunikationsformen lernen“, sagt Hennen. Das heißt: „Schultern nach hinten, den Kopf gerade halten, den Blick nach oben“. Manches Mobbing im Klassenzimmer habe sich auf diese Weise nach zwei Wochen erledigt, so die Jugendtherapeutin. Achtzig Prozent unserer Kommunikation laufe schließlich über die Mimik und die Gestik, erklärt Hennen.

Lachen als sozialer Türöffner

„Auch Mädchen und Frauen sind irritiert, wenn sie von ihren Freundinnen im Gespräch nicht angelächelt werden und ihnen nicht ständig freundlich zugenickt wird.“ Auch sie gehen dann davon aus, dass etwas nicht stimme. Einen geschlechtsneutralen Gesichtsausdruck gebe es nicht, sagt Hennen, „Leider.“ Dazu seien die typisch weiblichen und männlichen Kommunikationsstile zu etabliert.

Mädchen und Frauen sollten trainieren, mit den verschiedenen Kommunikationsmodellen zu spielen, rät die Therapeutin. Natürlich müsse man sich auch als Frau das Lächeln nicht ständig verbieten. „Ein Lachen kann ein sozialer Türöffner sein.“

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