Tipps einer PsychologinSo wird das Weihnachtsfest nachhaltiger und ökologischer

Lesezeit 11 Minuten
Neuer Inhalt

Stofftiere lieben besonders jüngere Kinder.

  • Pro Jahr werden 20 Millionen Pakete durch Deutschland gefahren. Umweltfreundlich ist das nicht.
  • Psychologin Bettina Hannover gibt Tipps, wie das Weihnachtsfest auch ohne Konsumschlacht gelingt.
  • Schon beim Wunschzettel-Schreiben können zu hohe Erwartungen der Kinder gedämpft werden.

Köln – Ihren Wunschzettel haben viele Kinder und Jugendliche dieses Jahr längst geschrieben. Und das mehrfach. Jeden Freitag. Sie haben ihn auf große Pappkartons gepinselt und bei den „Fridays-for-Future“-Demos durch die Straßen getragen. „Schützt das Klima!“, „Rettet unsere Zukunft!“ Was sie sich von der Generation ihrer Eltern am meisten wünschen, haben sie klar formuliert: Tut was! Ändert Euch!

Viele finden, sie haben völlig Recht. Eine Umfrage ergab vor kurzem, dass 44 Prozent der Deutschen bereit wären, für den Klimaschutz ihren Lebensstil zu ändern. Das bedeutet neben weniger Flugverkehr und Fleischverzehr zum Beispiel auch weniger Konsum. Denn die Produktion neuer Waren verursacht jede Menge neuen CO2 -Ausstoß. Wollen wir aber nachhaltiger leben, sollten wir folgerichtig auch weniger kaufen.

Weihnachten: Die große Ressourcenschlacht

Aber nun kommt Weihnachten. Die große Ressourcenschlacht. Das Fest, zu dem wir genau das noch viel exzessiver tun als sonst: Kaufen, kaufen, kaufen. Die Zeit, in der sich Menschenmassen durch Einkaufsstraßen schieben, Eltern ganze Plastikwelten für ihre Kinder nach Hause schleppen, Paketdienste rund 330 Millionen Pakete durch die Republik fahren und in deutschen Haushalten bis zu 20 Prozent mehr Müll anfällt.

Und das alles nur für eines: Geschenke, Geschenke, Geschenke. An der Ausgangslage wird sich auch in diesem Jahr nichts ändern. Im Gegenteil. Fürs Weihnachtsgeschäft rechnet der Handelsverband Deutschland (HDE) mit einem Umsatz von mehr als 102 Milliarden Euro. Das sind drei Prozent mehr als im vergangenen Jahr.

Oh je, werden viele jetzt sagen. Wir ahnen es schon. Kommt nach der Flugscham nun die Geschenkescham? Werden als nächstes die „Festtage for Future“ ausgerufen? Und ernsthaft jetzt: Keine Geschenke mehr? Muss das denn wirklich sein?

Spielzeug vs. Grönlandeis

Denn auch wenn es womöglich einige „Fridays-for-Future“-Schüler gibt, die dieses Jahr freiwillig auf Geschenke verzichten, sieht das bei vielen, vor allem kleineren Kindern, ganz anders aus. Sie wollen Geschenke und freuen sich darauf. Sie zeigen im Geschäft aufgeregt auf Dinge, die das Christkind bringen soll. Das und das! Und das hier auch! Sie drücken die Nase an Schaufenstern platt und sind voller Vorfreude auf das, was unter dem Baum liegen wird.

Sie wollen das haben, was ihre Freunde haben. Ihre Wünsche sind zahlreich. Warum Mama und Papa weniger konsumieren und nachhaltiger leben wollen, ist gar nicht so leicht zu erklären. Was hat mein Star-Wars-Raumschiff mit den Gletschern in Grönland zu tun? Enttäuschte Gesichter an Heiligabend – das will doch auch keiner.

Neuer Inhalt

Kuschelige Geschenke

Ganz auf Weihnachtsgeschenke zu verzichten – das klingt auch irgendwie schief. Denn Schenken ist doch eigentlich etwas Schönes. Es bringt Menschen zusammen, es schafft Verbundenheit, es zeigt: Wir denken nicht nur an uns. Wir machen uns auch Gedanken um andere. Genau das, was wir jetzt eigentlich brauchen. Wir und unser Planet.

Nach der Bescherung kommt das Auspackloch

Doch dass Weihnachten irgendwann ausgeartet ist, spüren viele Familien schon länger, weit bevor sie Greta Thunberg kennenlernten. Zur Beschwerung türmen sich die Päckchen vor und neben dem Christbaum, denn darunter ist längst nicht mehr Platz genug. Es folgt das gierige Aufreißen. Alle fallen über ihre Geschenke her. Einmal kurz gucken, weglegen, das nächste Paket.

Nach dem ersten Adrenalinkick fallen manche Kinder in ein regelrechtes Auspackloch. Völlig erschöpft. Und haben sie doch noch Energie: Womit denn nun zuerst spielen? Man könnte sagen: Reizüberflutung. So zumindest berichten es viele Eltern. Statt von Bescherung reden sie von „Geschenkeschlacht“. Irgendwie gruselig.

Viele Familien machen sich keine kritischen Gedanken

„Einerseits erlebe ich Familien, die sich überhaupt keine kritischen Gedanken über Art und Anzahl der Weihnachtsgeschenke machen“, sagt der Kölner Familientherapeut Mathias Berg. „Andererseits gab es aber auch vor der neuen Umweltbewegung schon Eltern, die sich gefragt haben: Wie lässt sich diese Geschenkeflut stoppen? Muss so viel Plastik sein? Ist das gut für unsere Kinder?“

Wo früher nur Großeltern und Familie etwas schenkten, kommen jetzt oft auch Nachbarn, Freunde und Kollegen mit ihren Gaben an. „Nur etwas Kleines“, sagen sie.

Was zu viel ist, ist zu viel

Furchtbar nett gemeint, aber Teil einer langsam wachsenden Krimskrams-Sammlung, die am Ende ganze Spielkisten füllt. Nach der Bescherung blicken Eltern auf Berge von zerfetztem Geschenkpapier und Verpackungen, die mehrere Müllsäcke füllen. Spätestens dann steigt es langsam herauf, dieses ungute Gefühl im Bauch. Irgendwie alles viel zu viel. Als hätte man mehr gegessen als man vertragen kann.

Fakten übers Schenken

Um alle Erdenbewohner pünktlich mit Geschenken zu beliefern, müsste der Weihnachtsmann 822 Häuser pro Sekunde beliefern und mit einer Geschwindigkeit von 1050 Kilometer pro Sekunde reisen. Das hat die US-Forscherin Linda Harden berechnet, um zu beweisen, dass es den Weihnachtsmann gar nicht geben kann.

Im Durchschnitt verursacht jeder Deutsche 338 Kilogramm CO2 mit seinem Weihnachtsfest, haben Forscher des Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) errechnet. Die Emissionen können demnach bis zu 15 Prozent des gesamten durchschnittlichen CO2- Fußabdrucks von 11,5 Tonnen pro Jahr ausmachen.

Geben ist besser als nehmen: Wenn Menschen Geld an Hilfsorganisationen verschenken, reagiert ihr Belohnungssystem stärker als wenn sie das Geld selbst geschenkt bekommen. Das haben US-Hirnforscher am Rehabilitation Institute of Chicago durch Gehirnscans bei Probanden herausgefunden.  

Wie lässt sich das alles vereinen? Klimawandel und Wunschzettel? Nachhaltigkeit und Gabentisch? Wie findet man da das richtige Maß? „Kinder haben an Weihnachten sehr hohe Erwartungen, deshalb müssen die Eltern auch dafür Sorge tragen, dass keine Frustrationen entstehen“, sagt Bettina Hannover, Psychologin und Professorin für Schulforschung an der Freien Universität Berlin.

So wird der Weihnachtsabend schöner

Trotzdem seien Veränderungen durchaus möglich, man brauche dafür nur etwas Fantasie. „Kinder sind vor allem dann enttäuscht, wenn an die Stelle der vielen Geschenke nichts Anderes rückt“, sagt die Wissenschaftlerin. „Wir müssen deshalb über neue Formate der Gestaltung des Weihnachtsabends nachdenken.“

Neuer Inhalt

Die Auswahl an Geschenke ist groß.

Statt um Verzicht gehe es um die Frage, wie sich auch mit weniger Geschenken ein schöner Abend gestalten lasse. Die Psychologin schlägt vor, die Bescherung zum Beispiel mit einem Spiel zu verbinden. Eine Möglichkeit: An jedem Geschenk hängt ein Zettel mit einem Rätsel, aus dessen Lösung sich ergibt, für wen das jeweilige Geschenk gedacht ist. Das könnten Hinweise auf die zu beschenkende Person sein, aber auch kleine Gedichte, Kreuzworträtsel oder selbst gemalte Zeichnungen. Die Rätsel werden von der Familie gemeinsam gelöst.

Durch die Zeit, die alle mit dem Spielen verbringen, werden automatisch weniger Geschenke verteilt. Gleichzeitig bekommt auch das einzelne Geschenk wieder mehr Wertigkeit. Nicht jeder reißt für sich alleine die eigenen Päckchen auf, sondern alle befassen sich mit jedem einzelnen Geschenk, nehmen es bewusst wahr, sprechen darüber, reichen es herum, probieren es aus. Alle sehen, wie die einzelnen Familienmitglieder sich daran freuen – zu schenken oder beschenkt zu werden.

Der Gedanke an die eigene Kindheit

Na ja, wird mancher jetzt einwenden wollen. Als ob die Kinder nicht merken würden, dass sie weniger Geschenke bekommen. Dass da einiges fehlt, was sie sich vielleicht gewünscht haben. Am Ende werden sie sich doch beschweren! Da hilft es, sich an die eigenen Kindheit zu erinnern. Denn wenn Erwachsene sich Geschichten vom Weihnachten ihrer Kindheit erzählen, kommen meist gar keine Geschenke darin vor. Wie viele Dinge, die man damals bekam, kann man heute tatsächlich noch nennen? Vielleicht das ein oder andere, das ein echter Herzenswunsch war.

Neuer Inhalt

Legosteine

Was aber eigentlich im Gedächtnis bleibt, ist etwas, das man nicht anfassen kann. Der Geruch im Haus. Die Gerichte, die es immer gab. Die Art und Weise, wie die Familie den Christbaum schmückte. Der Klang des Glöckchens zur Bescherung. Der Märchenfilm, der jedes Jahr im Fernsehen lief. Die immer gleichen Anekdoten des Onkels. Ereignisse, die immer wiederkehrten. „Traditionen und Rituale sind das, was Zusammenhalt schafft und am Ende hängen bleibt – nicht die Anzahl der Geschenke“, sagt Mathias Berg. „Kinder entwickeln einen großen Stolz darauf, dass es in ihrer Familie bestimmte Rituale gibt“, weiß auch Bettina Hannover. Sie erzählen anderen Kindern gerne und begeistert davon: Bei uns ist das immer so!

So lernen Kinder Geschenke schätzen

Kleineren Kindern sollten ihre Eltern helfen, den Wert eines einzelnen Geschenks richtig wahrzunehmen. Sie können mit ihnen das Päckchen gemeinsam anschauen und die Vorfreude beim Auspacken zelebrieren. „Guck mal, wie schön das verpackt ist!“, „Was ist da wohl drin?“, „Schüttel doch mal!“ Denn Eltern sind es, die den Dingen einen Wert zuweisen. „Kinder lernen, indem sie die Emotionen der Erwachsenen wahrnehmen“, erklärt Bettina Hannover.

Wenn im allgemeinen Bescherungswahn für solche Reaktionen gar keine Zeit mehr bleibe, könnten Kinder den Wert einzelner Geschenke gar nicht richtig ermessen. „Oft haben Kinder so viele Spielsachen und Kleinigkeiten bekommen, dass sie gar nicht wissen, womit sie zuerst spielen sollen“, sagt auch Familientherapeut Mathias Berg. „Eltern können das steuern. Sie können ihrem Kind sagen: Wir wollen, dass du weniger Geschenke bekommst, diese aber wertschätzt.“

Neuer Inhalt

Autos

Nun können Eltern natürlich für sich selbst beschließen, ihren Kindern weniger zu schenken. Doch wie beziehen sie dabei auch den Rest der Verwandtschaft ein – allen voran die Großeltern, die beim Schenken traditionell in großen Dimensionen denken? Eine Auseinandersetzung, die schon in der Vorweihnachtszeit beginnt. „So ein Indianer-Tipi wäre doch toll!“, „Eine Rutsche fürs Kinderzimmer?“, „Eine Stoffgiraffe, riesengroß!“, werfen sie enthusiastisch in den Raum.

Sätze wie „Dafür haben wir keinen Platz!“, „Das ist doch viel zu teuer!“ oder „Da spielen die Kinder nicht lange mit!“ lassen Großeltern ungern gelten. Schlagen Eltern ihnen nützliche Gebrauchsgüter als Weihnachtsgeschenk für die Enkel vor – Socken, Elektrozahnbürste, Bettwäsche –, blicken sie in lange Gesichter. Ihr Geschenk soll schließlich richtig rocken, soll etwas sein, das leuchtende Augen auslöst. Zu sehen, wie sich Kinder freuen, macht ja auch Spaß.

„Die Großeltern stammen oft noch aus einer Generation, die in ihrer Kindheit selbst vieles hat entbehren müssen“, sagt Bettina Hannover. „Sie empfinden es als etwas Besonderes, dass sie heute die finanziellen Möglichkeiten haben, ihren Enkel großzügige Geschenke zu machen.“ Statt Großeltern und anderen Verwandten zu sagen: „Bitte schenkt nicht so viel!“ sollten Eltern lieber positive Vorschläge machen und erklären, dass es ihnen auch um Bedeutungsvermittlung gehe. „Geschenke sind auch symbolische Gesten, die wir mit Inhalt füllen müssen“, so Bettina Hannover.

Geschenke für Weltmeister

Leihspielkiste Eine Zeit lang spielen Kinder exzessiv mit etwas, dann liegt es plötzlich in der Ecke. Für solche Launen sind Leihspielsachen praktisch. Man kann sie zu einem monatlichen Mietpreis bestellen. Gutscheine dafür lassen sich zu Weihnachten verschenken. Anbieter im Netz sind zum Beispiel „Meine Spielzeugkiste“, „Bauduu“ oder „Kilenda“.

Zeit statt Zeug Diese Internetseite gibt Tipps, wie sich Zeit verschenken lässt. Ein paar Beispiele: Waldluft statt Parfüm, Kochabend statt Kochbuch, Wandern statt Wein oder Basteln statt Bestellen. Wer will, kann sich die Gutscheine dafür kostenlos generieren und ausdrucken. www.zeit-statt-zeug.de/de

Baumpatenschaft Wer im Netz nach dem Stichwort „Baumpatenschaft“ sucht, findet verschiedene Anbieter. Verschenken kann man Straßenbäume in Köln, Apfelbäume auf Obstplantagen oder auch Gewächse im Regenwald. Der Beschenkte bekommt eine Urkunde, manche Organisation statten die Bäume mit Namenschildern aus, so kann man seinen Baum auch besuchen.

Über die Erde lesen Dieses Bilderbuch schauen sich nicht nur Kinder (ab ca. 4 Jahren) gern an, es rührt auch erwachsene Vorleser, weil es auf einfache Art und Weise zeigt, wie faszinierend die große Kugel ist, auf der wir leben. Der australische Autor und Illustrator Oliver Jeffers hat es für seinen neugeborenen Sohn geschrieben. Oliver Jeffers: „Hier sind wir: Anleitung zum Leben auf der Erde“, NordSüd Verlag, 48 Seiten, 16 Euro

Und manchmal können genau das gerade Großeltern noch richtig gut. Wenn Oma nur ein einziges, kleines Geschenk mitbringt, zu dem sie aber eine Geschichte erzählen kann, die erklärt, warum sie dabei an ihre Enkeltochter gedacht habe, kann das nachhaltiger beeindrucken als eine Riesenkiste, in der das fünfzehnte Kuscheltier steckt. Die Oma sagt damit: Ich schenke dir das, weil ich etwas Bestimmtes in dir sehe und es dir mitteilen will. „Kinder machen dann die Erfahrung, dass sich über Geschenke auch eine Beziehung ausdrückt“, sagt Bettina Hannover.

Vielleicht sollten wir uns also wieder mehr darüber erzählen, warum wir uns etwas schenken – und die Geschichte dazu selbst als Geschenk betrachten. Dann würde vielleicht auch etwas anderes als Geschenk eine Aufwertung erfahren: Gebrauchtes. Bisher hat Second Hand zu Weihnachten eher ein schlechtes Image. Erwachsene, die aus großen Familien stammen, singen ein Klagelied davon. „Immer musste ich die alten Sachen meiner größeren Geschwister auftragen.“ „Nie bekam ich etwas Neues!“

Dass aber gerade gebrauchte Sachen eine Geschichte haben, kann sie sehr viel wertvoller machen als etwas, das man mit drei Klicks im Internet bestellt.

Garantiert ein Unikat

Der alten Spieldose, die schon der Oma als Kind gehörte, kann ein großer Zauber innewohnen. Sie ist genau das, das man nirgends neu kaufen kann. Garantiert ein Unikat. Trägt man die alte Taschenuhr bei sich, die schon dem Urgroßvater Glück gebracht hat, birgt das eine besondere Energie. Eine Art Magie. Und das soll man einem Kind nicht vermitteln können? Vielleicht nur eine Frage der Präsentation. Also wie wär’s? Einmal auf den Dachboden steigen und ein bisschen suchen. Oder lieber zum Flohmarkt gehen? Das ist bestimmt auch entspannter als ein Adventswochenende in der Einkaufsstraße.

In der Vorweihnachtszeit können Eltern schon beim Wunschzettel-Schreiben mit den Kindern über die Anzahl und Art der Geschenke sprechen. So lassen sich allzu hohe Erwartungen bereits im Vorfeld eindämmen. Mit anderen Familienmitgliedern könnten sie planen, damit diesmal vielleicht alle gemeinsam in ein einziges größeres Geschenk für ein Kind investieren. „Außerdem sollte auch schon bei kleineren Kindern das Schenken in beide Richtungen gehen“, sagt Bettina Hannover. „Das ist ein bisschen verloren gegangen.“ Auch sie sollten sich in der Vorweihnachtszeit überlegen, was sie ihren Familienmitgliedern zu Weihnachten schenken wollen. Möglichst etwas, dass sie selbst vorbereiten können. Dann merkten die Kinder schon früh: Ich will jetzt wirklich nicht zehn Bilder für Oma malen.

Eins reicht.

KStA abonnieren