SelbsttestWie viele Sklaven arbeiten für meinen Konsum?

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Jeder westliche Durchschnittsbürger beutet Menschen aus - wie hoch die Zahl ist, hängt vom individuellen Konsum ab. Zum Beispiel von der Frage: Wie viele Handys, Autos, Kleidungs- oder Schmuckstücke besitze ich?

Jeder westliche Durchschnittsbürger beutet Menschen aus - wie hoch die Zahl ist, hängt vom individuellen Konsum ab. Zum Beispiel von der Frage: Wie viele Handys, Autos, Kleidungs- oder Schmuckstücke besitze ich?

Der moderne Sklave arbeitet in einer Textilfabrik: Das wird uns Verbrauchern auch in der aktuellen Debatte um die Billigmode-Kette Primark wieder einmal bewusst. Wegen unethischen Arbeitsbedingungen bei der Herstellung seiner Produkte steht Primark zum wiederholten Male am Pranger: Diesmal geht es nicht um eingestürzte Textilfabriken, sondern um mehrere Kleidungsstücke, in die offenbar Hilferufe von Textilarbeitern eingenäht wurden.

Ob die Etiketten echt sind oder eine clevere Kampagne von Globalisierungsgegnern, ist noch nicht erwiesen. Nichtsdestotrotz rütteln solche Vorfälle auf - auch Verbraucher, die sich im Alltag selten Gedanken darüber machen, wie sie mit ihrem Konsum zur Ausbeutung von Menschen beitragen. Ein Selbsttest will ein noch größeres Bewusstsein dafür schaffen, wie sozial(un)verträglich unser Kaufverhalten ist: Auf der Webseite Slaveryfootprint.org können Nutzer ermitteln, in welchem Ausmaß sie Zwangs- und Kinderarbeit mit ihren Konsumentscheidungen unterstützen.

Ist die Schokolade fair gehandelt? Was bedeutet „spiel gut“ auf Holzspielzeug? Erklärt werden diverse Siegel und Labels auf Label-online.de, einem Portal der Verbraucher Initiative. Wer dort ein Label aufruft, erhält ein kurzes Profil mit Infos zu den Trägern, Zielen und Vergabeverfahren. Die Seite wird gefördert vom Verbraucherministerium.

Kohlendioxid-Fußabdruck als Vorbild

Finanziert wird der Selbsttest nach Vorbild des Kohlendioxid-Fußabdruck-Rechners vom US-amerikanischen Innenministerium. Seit 2011 haben Millionen von Menschen auf der ganzen Welt den Test gemacht und ihre Ergebnisse in sozialen Netzwerken geteilt. Gründer und Leiter des preisgekrönten Projekts ist der Dokumentarfilmer Justin Dillon. Er sorgte bereits 2008 mit seinem Aufklärungsfilm „Call + Response“ für Aufsehen und machte vielen Menschen in der westlichen Welt erstmals klar, wie sie unwissentlich moderne Sklaverei unterstützen.

Und so funktioniert der anonyme Selbsttest: Mit wenigen Klicks auf bunte Grafiken macht man Angaben zu seinen Konsumgewohnheiten - esse ich häufig Fleisch, fahre ich Auto, wie viele Handys besitze ich, wie viele Kleidungsstücke hängen etwa in meinem Schrank? Aus zehn Antworten wird berechnet, wie viele Arbeitskräfte in ausbeuterischen Verhältnissen an der Produktion beteiligt sind. Bei bestimmten Rohstoffen könne man laut Slaveryfootprint sicher davon ausgehen, dass sie von Sklaven geerntet oder abgebaut wurden:

Beispiel Baumwoll-T-Shirt: Baumwolle wird zum Beispiel von Kindern in Usbekistan gepflückt. Statt in die Schule zu gehen, schuften die Kinderarbeiter für Hungerlöhne auf den Feldern.

Beispiel Smartphone: Alle Handys und Telefonapparate enthalten Bauelemente aus dem Erz Coltan. 64 Prozent der Coltan-Reserven befinden sich im Kongo, wo Kinderarbeit an der Tagesordnung ist.

Beispiel Kaffee: Unsere tägliche Tasse Kaffee kann Kaffeebohnen enthalten, die an der Elfenbeinküste von Arbeitssklaven geerntet wurde.

Die meisten neuen Smartphones strotzen inzwischen nur so vor Leistungsfähigkeit und Features. Auf diesem Sektor können Käufer also nicht mehr viel falsch machen. Ganz anders sieht es bei Aspekten der Nachhaltigkeit aus. Verbraucher sollten etwa darauf achten, dass der Anteil recycelter Materialien besonders hoch und der Schadstoffeinsatz bei der Produktion möglichst gering ist. Darauf weist das Informationszentrum Mobilfunk (IZMF) hin. Auch die Einhaltung internationaler Arbeitsstandards oder eine verbesserte Energieeffizienz der Geräte sollte berücksichtigt werden.

Idealerweise kann bei einem Smartphone der Akku ausgetauscht werden. Das verlängert dem IZMF zufolge die Lebensdauer des Gerätes ebenso wie etwa der Gebrauch einer Schutzhülle. Außerdem sollten Käufer darauf achten, dass das Wunschgerät mit einem USB-Universal-Netzteil aufgeladen werden kann. Damit lassen sich dann auch andere Geräte laden, und Haushalte kommen mit weniger oder sogar nur einem einzigen Netzteil aus. Da die Produktion eines Ladegeräts laut IZMF 57 Prozent des gesamten Energieverbrauchs im Lebenszyklus eines Mobiltelefons ausmacht, bedeuteten Universal-Netzteile eine große Umweltentlastung.

Alte Smartphones gehören nicht in den Hausmüll, sondern müssen fachgerecht entsorgt werden. Wer sein altes Gerät nicht weitergibt oder verkauft, kann es bei kommunalen Sammelstellen, im Rahmen von Sammelaktionen, bei Herstellern oder Netzbetreibern abgeben. Ein Großteil der in den Handys enthaltenen Rohstoffe kann den Angaben zufolge wiederverwertet werden.

Viele Informationen auf der Seite sind erschreckend: Weltweit gibt es demnach mindestens 27 Millionen Arbeitssklaven - „das entspricht etwa der Einwohnerzahl von Australien und Neuseeland zusammen“, informieren die Aktivisten. Dennoch wollen sie uns Verbraucher nicht an den Pranger stellen, sondern klar machen: Wir Konsumenten haben es in der Hand - wir können etwas verändern. Zum Beispiel, indem wir mehr Fair-Trade-Produkte kaufen und uns dabei an bestimmten Siegeln orientieren.

Auf der Auswertungsseite von Slaveryfootprint haben Verbraucher zudem die Möglichkeit, den bekannten Herstellern - zum Beispiel Apple, Nestle oder Adidas - eine vorformulierte E-Mails zu schicken. Darin werden die Unternehmen höflich gefragt, wie sie sicherstellen, dass keine Menschen bei der Herstellung ihrer Produkte ausgebeutet werden.

Welche Kleidung ist wirklich fair gehandelt? Unsere Bildergalerie bringt Licht in den Label-Dschungel:

Über 1000 verschiedene Siegel sollen Verbraucher von der Qualität angebotener Waren überzeugen. Doch nicht immer ist klar, wofür ein Siegel genau steht. Hier hilft künftig der Griff zum Smartphone:

Mit Hilfe einer neuen Label-App können sich Kunden schnell über das jeweilige Produktsiegel informieren. Die App nutzt die Datenbank des Internetportals Label-online.de, auf der die Verbraucher Initiative seit dem Jahr 2000 wichtige Informationen über in Deutschland verwendete Siegel bündelt und Nutzern zur Verfügung stellt.

Mit der App auf dem Smartphone können Kunden Label auf einer Verpackung scannen oder ein Siegel per Name und Stichwort suchen. Sie erhalten dann alle wichtigen Infos dazu. „Der Kunde sieht schon im Supermarkt vor Ort, was sich hinter dem Siegel verbirgt und ob es vertrauenswürdig ist“, sagt Maria Flachsbarth, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Landwirtschaft und Ernährung.

Einfache Bewertungen in vier Kategorien geben einen schnellen Überblick über die Qualität eines Siegels. Kunden erfahren auch, ob das Siegel aus Sicht der Experten empfehlenswert ist oder nicht. Ein grünes N deutet außerdem darauf hin, dass ein Siegel für nachhaltige Produkte steht. Das heißt, es werden gleichermaßen ökologische, ökonomische und soziale Aspekte im Bezug auf spätere Generationen berücksichtigt. Noch sind aber nicht alle Label in der App erfasst, bis Ende 2014 soll die Zahl auf 600 steigen.

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