Bralette statt ReizwäscheWelche BHs im Trend sind – und was viele beim Tragen falsch machen

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Frau trägt ein weißes Bralette aus Biobaumwolle.

Bralette aus Biobaumwolle: Frauen wünschen sich heute bequeme BHs, die trotzdem etwas hermachen.

Die eine trägt gar keinen BH mehr – für die andere ist er unverzichtbar. Doch was ist eigentlich gesund? Und welche BHs sind heute angesagt?

Vom Spitz-BH über den Push-up bis zum Bustier – jede Zeit hat ihre eigenen BH-Trends. Während früher gesellschaftlich vorgegeben wurde, was Frau darunter tragen muss, ist es heute eine Frage des persönlichen Geschmacks. Welche BH-Arten besonders angesagt sind, verrät dennoch immer auch etwas über die Zeit, in der sie getragen werden. Welche Ansprüche haben Frauen also heute an einen BH? Und was ist eigentlich aus gesundheitlicher Perspektive zu empfehlen?

Frauen wollen heute natürliche und bequeme BHs

„Die BH-Vorlieben haben sich verändert“, sagt Dessous-Expertin Diane-Sophie Durigon von „Le Pop Lingerie“ in Ehrenfeld. Der Trend gehe seit einiger Zeit eindeutig in Richtung Bequemlichkeit und Natürlichkeit. „Frauen wünschen sich gut sitzende, komfortable BHs, wollen aber, was die Optik betrifft, auch keine Kompromisse eingehen.“ Gefragt seien natürliche Materialien und weiche Stoffe wie Bio-Baumwolle oder Mikro-Modal. Und wenn etwas Feineres wie Spitze gewünscht werde, dürfe die auf keinen Fall kratzen.

Diane-Sophie Durigon

Diane-Sophie Durigon ist Besitzerin von „Le Pop Lingerie“ in Köln-Ehrenfeld

„Angesagt sind derzeit auch sogenannte Bralettes, das ist eine Mischung aus bügellosem BH und bauchfreiem Oberteil.“ Die Bralettes seien oft aus gemütlichen Stoffen gemacht, zum Beispiel im Ripp- oder Schiesser-Style, und würden mit lockerer Bluse darüber und zu hoch taillierten Hosen getragen. „Auch Bodysuits sind wieder in, wie man sie aus den 90er Jahren kennt“, sagt Durigon, „sie werden oft als Party-Outfits ausgesucht, aber sind auch extra bequem designt, um sie jeden Tag tragen zu können, etwa mit einem Blazer oder einer Sommerbluse darüber.“

„Braless“-Trend: Immer mehr Frauen tragen gar keinen BH mehr

Nicht mehr stark nachgefragt seien dagegen Push-up-BHs. „Sexy und schön soll es aber trotzdem sein.“ Sie spüre hier deutlich, wie sich die Wahrnehmung der Kundinnen verändert habe. „Sexiness bedeutet heutzutage nicht mehr Reizwäsche, die einer anderen Person gefallen soll, sondern es geht darum, sich selbst zu gefallen und sich selbst zu feiern.“ Auch ein weißes, schlichtes Baumwoll-Bralette könne schließlich sehr sexy sein. „Der Trend geht bei jungen Frauen sogar dahin, unter dem Shirt oder Pulli gar keinen BH und auch kein Bustier oder Bralette mehr zu tragen, weil sie sich so wohler fühlen.“

Worin sich Frauen gut fühlten, sei aber nach wie vor auch ganz individuell. „Manche wollen lieber einen sehr fest sitzenden BH mit Metallbügeln, der besseren Halt gibt“, sagt Diane-Sophie Durigon. Das bestätigt auch der Gynäkologe Dr. Jürgen Schulze aus Erftstadt: „Es gibt Frauen mit großer Brust, die unter Rückenschmerzen oder Schulterbeschwerden leiden, in so einem Fall kann ein BH Linderung bringen.“ Auch bei empfindlichen Brüsten oder beim Sport könnten BHs vor unangenehmer Reibung schützen. „Eine medizinische Richtlinie, wann ein BH getragen werden sollte, gibt es nicht“, sagt der Frauenarzt. „Jede Person kann selbst entscheiden, was sie braucht und möchte.“

Sexiness bedeutet heutzutage nicht mehr Reizwäsche, die einer anderen Person gefallen soll, sondern es geht darum, sich selbst zu gefallen und sich selbst zu feiern
Diane-Sophie Durigon, Dessousexpertin

Ein falscher BH tut weh, kann aber die Brust nicht schädigen

Mythen und Annahmen darüber, wie sich ein BH auf die Gesundheit der Brust ausüben könnte, kursieren dennoch einige. Jürgen Schulze kann sie aber alle entkräften. „BHs schützen nicht das Bindegewebe, hier gibt es keinen wissenschaftlich bestätigten Zusammenhang. Die Brust kann ruhig hängen – und das tut sie, ob mit oder ohne BH.“ Auch das Gerücht, Bügel-BHs könnten Krebs verursachen, sei „völliger Blödsinn“. „Es gibt keinen Zusammenhang zwischen BH-Formen, Tragedauer und Brustkrebs“, sagt Schulze.

Selbst wenn man lange den falschen BH trage, führe das nicht zu gesundheitlichen Einschränkungen. „Die Brust verändert sich nicht durch das BH-Tragen.“ Schmerzen könne ein falsch sitzender BH jedoch sehr wohl auslösen. „Es ist ein häufiges Problem“, erzählt er, „gerade BHs mit Drähten oder Push-up, die das äußere Erscheinungsbild des Dekolletés verändern, können Beschwerden in der Brust verursachen.“ Immer wieder kämen Frauen mit Schmerzen in die Praxis und machten sich große Sorgen, mit ihrer Brust sei etwas nicht in Ordnung.

Jahrelang falsch getragen: Viele wissen nicht, wie ein BH sitzen muss

Diane-Sophie Durigon wundert das gar nicht. „Es gibt Frauen, die tragen jahrelang den falschen BH“, erzählt sie. Viele kauften BHs von der Stange und hätten sich noch nie individuell beraten lassen. „Ich hatte hier eine Kundin, die mit Anfang 50 bei uns in der Beratung herausgefunden hat, dass sie statt 80B eigentlich 70F hat – sie hat in ihrem Leben noch nie einen bequemen BH getragen und deshalb jahrelang Schmerzen gehabt.“

Es gibt keinen Zusammenhang zwischen BH-Formen, Tragedauer und Brustkrebs
Dr. Jürgen Schulze, Gynäkologe

Was einen guten BH ausmacht und wie er sitzen muss, das wüssten die meisten Frauen nicht – und würden es dementsprechend auch nicht an ihre Töchter weitergeben. „Viele tragen einen zu weiten Unterbrustumfang und stellen deshalb die Träger zu eng ein“, erklärt Durigon, „dann wird das ganze Gewicht der Brust von Schultern und Nacken getragen, wie eine Art Rucksack, und das kann zu schlimmen Nackenverspannungen führen.“ Der Unterbrustumfang müsse fest genug sein, sodass er 80 Prozent des Gewichts der Brust tragen könne. „Man sollte zudem darauf achten, dass die Bügel das ganze Brustgewebe bis unter die Achseln einschließen und der Mittelsteg zwischen den Brüsten ganz anliege. Eine Beratung lohnt sich immer, denn es geht oft um Millimeter.“

Viele Frauen sind unzufrieden mit ihrer Brustform

Einerseits ist das konkrete Wissen rund um die Gesundheit und Beschaffenheit der Brust in der Öffentlichkeit also recht dürftig. Andererseits wird dort immer öfter über Brüste gesprochen – in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen. „Das Thema Brust ist auf jeden Fall kein Tabuthema mehr“, sagt Jürgen Schulze, „über Brustkrebs wird inzwischen zum Beispiel sehr offen geredet und die Informationslage ist besser als jemals zuvor.“

Gleichzeitig seien viele nach wie vor sehr unsicher wegen ihrer Brust. „Jeden Tag sagen mir Frauen in der Praxis, dass sie unzufrieden sind mit ihrer Brustform“, erzählt er. Die Brust sei immer noch ein Schönheitsmerkmal und es gebe ein hohes Anspruchsdenken. „Dabei wissen viele gar nicht, wie unterschiedlich echte Brüste aussehen können, weil sie beeinflusst sind von den optimierten Bildern auf Social Media. Sie glauben, ihre Brüste müssten genauso sein.“ Nicht umsonst gebe es derzeit so viele operative Eingriffe auf dem Gebiet.

Jeden Tag sagen mir Frauen in der Praxis, dass sie unzufrieden sind mit ihrer Brustform
Dr. Jürgen Schulze, Gynäkologe

Oben ohne ist für Frauen heute Befreiung und Fluch zugleich

Auf der anderen Seite zeigt der „Braless“-Trend bei jüngeren Frauen, dass sich nicht alle von vorherrschenden Schönheitsidealen beeinflussen lassen und etwas optimieren oder kaschieren wollen. „Frauen sind heute viel selbstbewusster und zeigen sich immer öfter so, wie sie sind“, sagt Diane-Sophie Durigon. „Ich finde es extrem befreiend, dass sie sich nicht mehr diktieren lassen, was sie anziehen sollen, sondern selbst entscheiden können, keinen BH oder kein Bikinioberteil zu tragen.“

Die jüngste Oben-Ohne-Debatte in Schwimmbädern zeige jedoch, dass hier in der gesellschaftlichen Wahrnehmung noch viel passieren müsse. „Manchmal kommen Frauen in meinen Laden, die einen BH mit extra dickem Stoff suchen, weil die Männer im Büro sonst komische Bemerkungen machen“, erzählt sie, „das regt mich wirklich auf, schließlich haben wir Menschen doch alle Nippel.“

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