Ein neues Medikament gibt Patienten an der Uniklinik nun Hoffnung auf Fruchtbarkeit nach der Chemotherapie.
Fruchtbarkeit nach der Chemo„Mein Sperma ist tot. Da ist kein Leben mehr drin“

Die Ärzte Dr. Justin Ferdinandus und Dr. Karolin Behringer im Gespräch mit Patient Schneider. Das neue Medikament „ermöglicht jungen Erwachsenen mit Hodgkin-Lymphom eine bessere Chance auf eine spätere Familiengründung“.
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In Nikolas Schneiders Schublade des Lebens lagerte ein sehr klarer Entwurf für die Zukunft. Er hatte sich das alles ganz klassisch ausgemalt. „Zwei Kinder, eine Frau, einen Golden Retriever“, sagt er, lacht, schüttelt den Kopf, nachsichtig, aber auch ein bisschen tadelnd, als spräche er über seinen kleinen naiven Bruder und dessen kindliche Sicht auf die Welt. Es ist nicht so, dass Schneider, der eigentlich anders heißt, den Schubladenentwurf in die Tonne treten kann. Aber ein paar Steine liegen dann doch im Weg, Brocken, die Korrekturen nötig machen, mitunter schmerzhafte. Denn Nikolas Schneider ist unfruchtbar. „Mein Sperma ist tot. Da ist kein Leben mehr drin.“
Es gab eine Zeit, da war die Spermienqualität Schneiders kleinstes Problem. Das war im Sommer 2022, Schneider war gerade 22 Jahre alt und studierte Physiotherapie in Leverkusen, als er seltsame Knubbel an seinem Hals entdeckte und am Ende der vielen Untersuchungen sich offenbarte, dass Schneider am Hodgkin-Lymphom erkrankt war. Fortgeschritten. Erste Phase Ungläubigkeit. „Krebs kriegt jeder, außer ich.“ Zweite Phase Reue: „Ich habe geraucht, das habe ich sofort drangegeben.“ Dritte Phase Überleben.
Sechs Chemotherapien zieht Schneider sich bis Ende November 2022 rein. Taube Finger, Erschöpfung, keine Kraft, „komplett Essig“. Haarverlust, der Körper wie das Gesicht von Wassereinlagerungen aufgedunsen, als hätte man ihn mit Hefe angesetzt. „Ich sah aus wie ein dicker, nackter Zeh.“ Vierte Phase Ablenkung. „Ich lag zu Hause bei meinen Eltern, immer bei mir war Holly, unser Australian Shepard, und ich habe sehr viel geglotzt und gezockt.“ Horrorfilme, Super Natural, Elden Ring auf der Playstation. Vierte Phase Hoffnung. „Es war immerhin schnell klar: Die Lage ist nicht aussichtslos.“
Neuer Medikamentencocktail macht Männern mit Kinderwunsch Hoffnung
Zwischendurch – nur eingeschoben – die Frage nach der Fruchtbarkeit. Den klassischen Plänen. Der wachsenden Familie, die ihn in seiner Vorstellung umringen würde. Also pilgerte er vorsichtshalber und wie in Trance zur Spermaabgabe zur Kryokonservierung in der Frauenklinik der Uniklinik Köln. Denn das Medikament, das Schneiders Krebs töten soll, killt bei der Mehrheit der Männer eben auch das Leben in den Spermien. Sichern, was noch da war.
Es gab Ärzte, die sagten, es hat mich noch kein Krebspatient in der Nachsorge darauf angesprochen, wie denn die Chancen stünden, später biologisch Vater zu werden
Schneider sitzt in einem Untersuchungszimmer des Centrums für Integrierte Onkologie der Uniklinik Köln (CIO), er trägt seine Baseballkappe mit dem Schirm nach hinten, in seinen Augen blitzt Humor, so wie das häufig ist bei Menschen, denen das Schicksal zusetzte, die aber nochmal davongekommen sind. Wenn auch nicht gänzlich unbeschadet. Schneider ist, wenn man so will, ein paar Jahre zu früh erkrankt. Denn heute macht ein neuer Medikamentencocktail krebskranken Männern mit Kinderwunsch Hoffnung. Erst diesen Monat wurde es zugelassen. Einer internationalen Studie unter Leitung der Deutschen Hodgkin Studiengruppe an der Uniklinik Köln und der Medizinischen Fakultät zufolge schont die neue Chemotherapie namens BrECADD die Fruchtbarkeit „deutlich besser“ als die bisherige Therapie, „ohne dabei die Heilungschancen zu verschlechtern“.
Auch die Heilungsrate bei Krebs soll leicht besser sein
Bei fast neun von zehn Männern normalisierten sich drei Jahre nach Beendigung der Therapie die Hormonwerte wieder, während beim alten Medikament nicht einmal die Hälfte wieder mit einer Rückkehr zur Fruchtbarkeit rechnen konnten. „BrECADD ermöglicht jungen Erwachsenen mit Hodgkin-Lymphom eine bessere Chance auf eine spätere Familiengründung – und das bei sogar leicht besserer Heilungsrate“, sagt Dr. Justin Ferdinandus, Arzt in der Deutschen Hodgkin Studiengruppe an der Uniklinik Köln und Erstautor der Publikation im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.
Früher machte man sich um die Fruchtbarkeit männlicher Krebspatienten wenig Gedanken. „Es gab Ärzte, die sagten, es hat mich noch kein Krebspatient in der Nachsorge darauf angesprochen, wie denn die Chancen stünden, später biologisch Vater zu werden“, sagt Dr. Karolin Behringer, Autorin der bemerkenswerten Publikation. Bei der Erhaltung der Fruchtbarkeit habe sehr lange Zeit der Fokus auf den Frauen gelegen. Schlimmstenfalls mit der Folge, dass auch an die Möglichkeit der Spermienabgabe vor Beginn der Therapie gar nicht erinnert wurde. Und auch die Übernahme der Kosten, die so ein Einfrieren und Lagern von Ejakulat im Laufe der Jahre verursacht, war lange Zeit nicht geregelt. Erst seit vier Jahren zahlen die Krankenkassen in so einem Fall. „Das war ein langer Kampf“, sagt Ferdinandus.
Wenn Schneider an seine Spermien auf Eis denkt, die für zwölf Befruchtungsversuche ausreichen sollen, dann tut er das mit gemischten Gefühlen. Als er an einem Vormittag im Frühjahr vor einem Jahr erfuhr, dass seine Spermien unbrauchbar seien, habe er „Rotz und Wasser geheult“. Die klassische Familienplanung war auf einmal keine Option mehr.
Natürlich, ich werde auch mein Frostakind über alles lieben
Sogar die Tatsache, dass das Leben Schneider niemals mit dem Schock einer ungeplanten Schwangerschaft konfrontieren wird, über die man sich am Ende dann wahrscheinlich doch gefreut hätte, kommt ihm plötzlich wie ein Verlust vor. Stattdessen nur die strenge Möglichkeit des planvollen Vorgehens, ein Lebensstart im Reagenzglas. „So ein richtig warmes Gefühl ist das erstmal nicht. Aber meine Freundin sah das sofort viel pragmatischer. Du kannst Kinder haben und es werden auch biologisch deine sein, das ist doch eine gute Nachricht, sagte sie. Und natürlich, ich werde ich auch mein Frostakind über alles lieben“, sagt Schneider lachend.
Erstmal liegen Schneiders Spermien aber noch ein paar Jahre auf Eis. Er will seine Ausbildung beenden, dann erstmal mit seiner Freundin verreisen, „auf irgendeine Insel“. Dann Geld verdienen, „die Schäfchen ins Trockene bringen“. Zwei Kinder, eine Frau, einen Golden Retriever. Das ist also erstmal noch Zukunftsmusik. Aber Schneider wird seinen Plan nicht verwerfen. Er liegt noch immer sicher verwahrt in seiner Schublade.