Interview mit Raimund WilhelmiFasten am Bodensee – Der Luxus des Verzichts

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In der Klinik in Überlingen erholen sich im Jahr 3000 Patienten – auch vom Essen.

Raimund Wilhelmi leitet die Buchinger-Klinik am Bodensee – Ein Gespräch über den Luxus des Verzichts:

Herr Wilhelmi, Sie nehmen den Patienten nicht nur das Essen weg, sondern auch das Handy – und dafür zahlen sie bei Ihnen 4000 Euro für zwei Wochen.

Fasten nimmt nicht, Fasten gibt: Leichtigkeit, klare Gedanken, ein gewisses Glücksgefühl. Und, ja:  Tatsächlich tun sich manche Patienten schwerer damit, auf das Smartphone zu verzichten als auf das Essen. Aber im Ernst: Wir bitten unsere Gäste bei der Aufnahme  zu  unterschreiben, dass sie ihr Handy nicht in den Gemeinschaftsräumen nutzen, vor allem nicht im Speisesaal und bei Massagen. In ihren Zimmern dürfen sie natürlich telefonieren.  Der Preis ist angemessen, den zahlen Sie in einem sehr guten Hotel ebenso – ohne ärztliche Begleitung, manchmal ohne Frühstück.  

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Teetrinken, Ruhe, Zeit für neue Gedanken – so sieht eine Fastenkur idealerweise aus.

Wie schwer ist Fasten?

Das Fasten ist kein Spaziergang, sondern eine Hochgebirgswanderung, dafür braucht man einen Führer. Bei uns in Überlingen werden Sie von einem der  sieben Ärzte und einer der 20 Krankenschwestern betreut.

Die medizinische Abteilung ist unser Herzstück und sie hat ihren Preis. Natürlich können Sie auch alleine zu Hause fasten. Manche Frauen kochen dabei noch täglich für ihre Familien und essen selber nichts. Aber ist das schön? Nein.

In der Tat ist Fasten etwas Entsagungsreiches, es hat eine lange Geschichte und ist gleichzeitig ein modernes Lifestyle-Produkt. Wie geht das zusammen?

In Mitteleuropa gibt es seit 100 Jahren die Tradition, in ein Kurbad zu fahren, um einmal im Jahr etwas gegen die Zipperlein zu tun. Mein Großvater nannte seine erste Klinik denn auch Sanatorium. In den 70er Jahren bekam dann jeder Arbeitnehmer das Recht auf eine Kur.

Der gemeine Arbeitnehmer macht aber nicht unbedingt Ihre Hauptklientel aus.

Zwei Drittel unserer Gäste kommen nicht aus Deutschland,  95 Prozent sind Selbstzahler. Unsere Gäste kommen freiwillig, weil der Gürtel zwackt, weil eine Krankheit drückt, weil der Stress zu viel wird, der Burn-out droht, weil sie schlicht Ruhe suchen oder sich einem kreativen Projekt widmen wollen. Der Verleger Siegfried Unseld etwa hat bei uns sogar sein Buch „Goethe und seine Verleger“ geschrieben.

Er kam zwei Mal im Jahr, ist täglich eine Stunde geschwommen. An seinem 70. Geburtstag, der auch sein 40. Fastentag war, ist er durch den Bodensee geschwommen. Wenn er bei uns war, hielt er einen Vortrag, meist über seinen Lieblingsautoren Hermann Hesse. Viele Autoren schätzen das Fasten – Heinrich Böll, Max Frisch, Christa Wolf oder Mario Vargas Llosa. Vargas Llosa ist seit Jahren Stammgast in unserer Klinik in Marbella.

Fasten bei Krankheit, der Jojo-Effekt beim Fasten und der Ablauf einer Fastenkur

Bei welchen Krankheiten kann Fasten positive Effekte erzielen?

Mein Großvater Otto Buchinger kam ja selber zum Fasten, weil er unter einem entzündlichen Gelenkrheuma litt und sich durch das Fasten kurieren konnte. Tatsächlich gibt es positive Effekte bei entzündlichen Erkrankungen – die der Gelenke, der Haut, aber auch des Darms.

Dafür sollte man sich aber idealerweise drei Wochen Zeit nehmen. Das ist der Zeitrahmen, den mein Großvater empfohlen hat. Daneben profitieren all die besonders, deren Lebensstil zu Risikofaktoren geführt hat – also zu Übergewicht, hohem Blutdruck, Diabetes und zu hohen Blutfettwerten. Burn-out gehört schon seit 50 Jahren zu unseren Indikationen, allerdings momentan mit steigender Tendenz.

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Bewegung an der frischen Luft gehörte für  Otto Buchinger unbedingt zum Fasten dazu.

Wäre heute für viele nicht eher eine dauerhafte Lebensstiländerung angezeigt, denn eine begrenzte Zeit der Kasteiung?

Fasten ist eine Möglichkeit, sich selbst auf Null zu setzen. Die innere Einstellung, Prägung und die falschen Gewohnheiten werden zurückgestellt. So als würden Sie bei einem elektronischen Gerät die Reset-Taste drücken. Für viele ist es der Startpunkt, für ein bewussteres und gesünderes Leben.

In unserer Zeit des Überflusses, der ständigen Verfügbarkeit von Essen, konzentrieren wir uns auf das Gegenteil: auf den Mangel. Für Tausende von Jahren war es für Menschen und Tiere normal, eine Zeit lang weniger zu essen, weil es im Winter einfach nichts gab. Tiere und Menschen sind genetisch auf Zeiten der Fülle und Zeiten des Mangels vorbereitet. 

Pinguin-Männchen fasten ein halbes Jahr, während sie die Eier ausbrüten und sich um den Nachwuchs kümmern. Auf den Mangel ist unser Körper eingerichtet, auf den Umgang mit zu viel Nahrung eher nicht. Wir stellen einen Zustand her, den es früher ohnehin regelmäßig gab.

Was ist denn mit dem Jojo-Effekt? Viele fasten ja, nehmen danach aber noch mehr zu...

Unsere internen Patienten-Erhebungen zeigen, dass ein Drittel das Gewicht hält, ein Drittel sogar noch mehr abnimmt und ein Drittel wieder zulegt, auch über das Ausgangsgewicht hinaus.

Der Abnehm-Effekt war und ist aber auch nicht das primäre Ziel des Fastens. Fasten hat eher eine Langzeitwirkung. Wer fastet, lebt länger. Das zeigen jüngste Ergebnisse der Forschung. Alternativ können Sie auch dauerhaft unterkalorisch, also weniger als 1500 Kalorien am Tag, essen, aber das schaffen die wenigsten.  

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In der Klinik in Überlingen erholen sich im Jahr 3000 Patienten – auch vom Essen.

Wie läuft eine Fasten-Kur ab?

Der Darm wird nach dem ersten Entlastungstag stillgelegt. Das geschieht durch eine gründliche Darmreinigung mit Hilfe von Glaubersalz. So bekommt er das Signal: Ich stelle jetzt um von äußerer auf innere Ernährung.

Sprich: Von jetzt an zehre ich von den Reserven, weil abgesehen von Flüssignahrung nichts mehr von außen kommt.  Die ersten drei Tage sind hart. Der Körper vermisst seine Gewohnheiten: Kaffee, Zigaretten, Essen, Smartphone.

Sollte man alleine Fasten oder mit seinem Partner?

Das kommt ganz auf die Beziehung an. Ich selbst faste am liebsten allein. Man ist eben, zumindest am Anfang,  leicht unleidlich und hat unterschiedliche Bedürfnisse.

Otto Buchinger sah Fasten als Erfahrung an, die man für sich machen sollte. Allerdings kommen auch viele Paare, die dann einfach unterschiedliche Dinge unternehmen.

Er geht ins Fitness-Studio, sie  wandern?

Tatsächlich gibt es bei uns inzwischen eine einfache Lösung: Wir bieten Zimmer mit Verbindungstüren, so dass der eine lesen kann, wenn der andere etwas anderes machen möchte. Übrigens hat das Fasten auf Männer und Frauen unterschiedliche Effekte, was die Libido angeht.

Bei Frauen wirkt das Fasten, und damit auch die begleitenden Therapien und auch dass man immer attraktiver aussieht, eher anregend, bei Männern dagegen dämpfend.

Moderne Ess-Gewohnheiten und Erinnerungen an den Großvater

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Ein kleiner Teil der Gartenlage der Buchinger-Klinik.

Was hätten Sie gemacht, wenn Sie nicht das Buchinger-Familien-Vermächtnis geerbt hätten?

Ich habe Jura studiert und wäre auch gerne in die Medien oder den diplomatischen Dienst gegangen. Aber auch die Psyche von Menschen hat mich immer sehr interessiert. Ich habe nach dem Jura-Studium in New York ein Jahr Psychologie studiert und dann auch als Psychotherapeut gearbeitet.

Dann habe ich ein halbes Jahr bei der Gründung unserer Klinik in Marbella mitgearbeitet und gemerkt: Hier kann ich alle meine Fähigkeiten einsetzen und bin dabei geblieben. Auch meine juristischen, psychologischen und politischen Geschicke kann ich hier einsetzen.

Inwiefern?

Bei uns treffen sich viele verschiedene Kulturen und Nationalitäten. Da ergeben sich zwangsläufig viele spannende Begegnungen, mitunter auch Reibungsflächen. Zwei Drittel unserer Gäste sind Ausländer, ein Drittel Deutsche. Im Augenblick ist Frankreich die zweitstärkste Nation, danach kommt Russland, dann die Schweiz, dann Saudi-Arabien und Großbritannien.

Haben Sie persönliche Erinnerungen an Ihren Großvater Otto Buchinger?

Ich erinnere mich an ihn als einen älteren Herrn, der jeden Tag mit seinem Dackel Max spazieren ging. Er pfiff immer nach ihm, der Hund ließ sich davon in seinen Interessen nicht beunruhigen. Seither weiß ich, dass Dackel eigen sind. Mein Großvater hat viel gelesen und war auch ein Genießer. Er war Vegetarier und mochte Eis mit Sahne. Er schrieb und formulierte gern anschaulich: Alkohol, Tabak und die bürgerliche Küche sind das Mistbeet, auf dem unsere Praxisblumen sprießen.

In den 50er Jahren konvertierte er zum Katholizismus und reiste auch gleich zum Papst, um das Fasten in der Kirche wieder mehr zu verankern. Er nannte es Metanoia (Anm. d. Red.: aus dem Griechischen:  Umkehr) und glaubte daran, dass Fasten einen zu einem besseren Menschen macht. Dass man Gott im Fasten näher kommt. Der Prozess der Reinigung war für ihn sowohl körperlich als auch spirituell.

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Die Terasse der Villa Bellevue.

Jeder pflegt heute seine Ess-Besonderheit. Manche essen kein Gluten, andere kein Fleisch oder keine Laktose. Wie reagieren Sie auf die Frei-Von-Welle?

Wir setzen stark auf Nachhaltigkeit in unserer Küche. 30 Prozent unserer Gäste fasten ja nicht, sondern essen. Sie bekommen bei uns eine qualitativ-hochwertige, 100 Prozent bio-vegetarische Küche mit Produkten aus der Region. In Marbella gibt es auch Fisch.

Mein Sohn hat gerade andalusische Bauern dazu überredet, ihre Produkte  ökologisch anzubauen, die wir denen dann garantiert abnehmen. Dort im Süden Spaniens ist der Öko-Boom in der Landwirtschaft noch nicht angekommen.

Wir haben immer schon viel Wert gelegt auf Gemüse. So wie Alain Passard, der Drei-Sterne-Koch aus Paris. Der serviert ein Menu nur mit Gemüse. Gemüse ist das neue Fleisch. Was jetzt als Trend in der Küche ankommt, ist bei uns schon lange Tradition.

Das Gespräch führten Lioba Lepping und Peter Pauls

Über Raimund Wilhelmi

Raimund Wilhelmi (Jg. 1949) ist der Enkel von Otto Buchinger, dem Begründer des Heilfastens. Der ehemalige Marine-Arzt Otto Buchinger erfand die Methode als Therapie für sein eigenes rheumatisches Leiden. Die Kur besteht in ihrer reinen Form in einem dreiwöchigen Verzicht auf feste Nahrung.

Die Fastenden ernähren sich von Tee, Gemüsebrühe und Säften, bekommen außerdem regelmäßig Leberwickel. Wilhelmi leitet gemeinsam mit seiner Frau, der Ernährungsmedizinerin Francoise Wilhelmi de Toledo, die Buchinger-Klinik in Überlingen am Bodensee.

Die Schwester-Klinik in Marbella führen – in der Tat – seine Schwester Jutta und sein Schwager Claus Rohrer. Pro Jahr kommen 3000 Patienten nach Überlingen, 2000 nach Marbella.

Wilhelmi nennt die Einrichtung einen „Hybrid, einen Mix aus Kloster, Hotel, Klinik und Akademie“. Bald übernimmt die vierte Generation das Fasten-Erbe. Sein jüngerer Sohn steigt demnächst ins Klinikmanagement in Überlingen ein. Der ältere ist in Marbella tätig. (lio)

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