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„Ich bin kein Depp im Netz“Kölnerin kapituliert vor Elektronischer Patientenakte

7 min
ILLUSTRATION - 27.05.2025, Sachsen, Dresden: Ein Hausarzt sitzt in einem Sprechzimmer seiner Hausarztpraxis an einem Schreibtisch neben einem Stethoskop und arbeitet am Computer. (zu dpa: «Wie startet der Vollbetrieb der E-Patientenakten?») Foto: Sebastian Kahnert/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Ärzte können in der elektronischen Patientenakte frühere Behandlungen oder Medikamentengaben nachverfolgen.

Die ePa wird von Versicherten in NRW kaum aktiv genutzt. Auch Rena Krebs aus Köln schreckt der Registrierungsprozess ab.

Rena Krebs ist nach eigenen Angaben bei der Bewerkstelligung digitaler Prozesse durchaus begabt. Die 93 Jahre alte Kölnerin besitzt Computer, Laptop, Smartphone und Tablet, sie kommuniziert mit den Enkeln per Whatsapp, sie erledigt ihre Bankgeschäfte online, bietet Online-Supervision für ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beim „Netzwerk gegen Einsamkeit im Alter „Silbernetz“ an. Auch was ihre Krankenkasse betrifft, korrespondiert sie über das Online-Portal, Rezepte werden vom Hausarzt direkt an die Apotheke geschickt, ihre Medikamente bekommt sie abends vom Kurier geliefert.

„Ich kann alles von meiner Computerecke aus erledigen. Das klappt anstandslos und ist super“, sagt Krebs. Zusammengefasst: „Ich bin kein Depp im Netz.“ Dennoch gibt es eine Sache, an der die ehemalige Lehrkraft in der Erwachsenenbildung nun gescheitert ist: Die Einsicht und Nutzung der elektronischen Gesundheitsakte. Dabei hat sie sich wirklich bemüht, mehrere Tage und viel Geduld investiert. Aber „die Hürden werden immer höher, der Zugang wird erschwert. Ich gebe das jetzt auf“.

Rena Krebs aus Köln

Rena Krebs aus Köln ist bei der Identifizierung für die Nutzung ihrer e-Patientenakte gescheitert.

So wie Rena Krebs scheint es vielen Versicherten zu gehen. Die elektronische Gesundheitsakte wird in Deutschland bislang nur von wenigen aktiv genutzt – obwohl Ärztinnen und Ärzte seit Anfang Oktober dazu verpflichtet sind, die Akten ihrer Patienten zu befüllen. Nach einer Umfrage der Ärzte Zeitung unter den größten gesetzlichen Krankenkassen wurden für rund 50 Millionen Versicherte bereits ePAs eingerichtet, also für alle, die nicht widersprochen haben. Dennoch haben sich bisher nur etwa 1,5 Millionen Versicherte, also etwa drei Prozent, tatsächlich für die Nutzung über die jeweilige App ihrer Krankenkasse registriert. Nur sie können ihre Krankengeschichte selbst lesen, ergänzen und Ärzten freischalten. Eine Anfrage dieser Zeitung bei der AOK Rheinland/Hamburg ergab, dass dort von drei Millionen Versicherten rund 22.000 die ePa nutzen. Das ist nicht einmal ein Prozent. Der Grund könnte ein aufwändiger Registrierungsprozess sein. Wer Rena Krebs in den vergangenen Tagen über die Schulter schauen hätte können, hätte in etwa Folgendes rekonstruieren können:

Ich kann mit meinen 93 Jahren schlecht zu einer Geschäftsstelle kommen und möchte mich über die Gesundheitskarte identifizieren. Es ist alles sehr schwer zu bewerkstelligen
Rena Krebs, Versicherte

Um ihre ePA einsehen und selbst befüllen zu können, ist eine Einrichtung der eCare-App, der e-PA-App der Barmer nötig. Dazu hat Krebs wie ihr das vorgegeben wurde, einen Aktivierungscode beantragt, der ihr per Post zugestellt worden sei. Ausreichend war das mit dem Aktivieren allerdings nicht. Denn Rena Krebs sollte sich anschließend identifizieren. Dafür wurden ihr drei Möglichkeiten angeboten: Mit dem Online-Personalausweis und der dazugehörigen PIN, mit der elektronischen Gesundheitskarte und der dazugehörigen PIN oder vor Ort in einer Geschäftsstelle mit Personalausweis oder Reisepass. Erste und letzte Option fielen sofort aus, schließlich besitzt Rena Krebs keinen Personalausweis mit Online-Funktion. Und zur Geschäftsstelle kann sie auch nicht. „Ich bin nicht mehr gut zu Fuß“, sagt sie am Telefon.

Aber auch der Weg über die elektronische Gesundheitskarte führt sie nur bis zur Hürde mit der Pin. Denn die hat sie verlegt. „Ich weiß, dass ich sie haben sollte. Aber ich kann sie eben nicht mehr finden.“ Rena Krebs gibt so schnell nicht auf. Sie bittet über das Onlineportal um die Zusendung einer neuen Pin. „Ich kann mit meinen 93 Jahren schlecht zu einer Geschäftsstelle kommen und möchte mich über die Gesundheitskarte identifizieren. Es ist alles sehr schwer zu bewerkstelligen“, schreibt sie.

Damit wir Ihnen einen Brief mit PIN und PUK zusenden können, ist als erster Schritt die Verifizierung Ihrer neuen Gesundheitskarte erforderlich. Kommen Sie dazu gern mit Ihrer Gesundheitskarte sowie einem gültigen Personalausweis oder Reisepass in eine Geschäftsstelle der Barmer
Antwort der Barmer auf die Bitte, eine PIN zu erhalten, um nicht zur Geschäftsstelle kommen zu müssen

Eine knappe Woche und eine höfliche Erinnerung seitens Krebs‘ später antwortet die Barmer in einem Schreiben, das dieser Zeitung vorliegt. „Damit wir Ihnen einen Brief mit PIN und PUK zusenden können, ist als erster Schritt die Verifizierung Ihrer neuen Gesundheitskarte erforderlich. Kommen Sie dazu gern mit Ihrer Gesundheitskarte sowie einem gültigen Personalausweis oder Reisepass in eine Geschäftsstelle der Barmer.“ Auch eine digitale Identifizierung sei möglich, für die aber sowohl die App „Nect Wallet“, als auch wiederum „ein Personalausweis mit aktivierter Online-Ausweisfunktion und PIN“ benötigt werde. Rena Krebs fühlt sich, als hätte man sie beim Hürdenlauf kurz vor der Ziellinie mit einem Gummiband wieder zurück zum Start katapultiert. Denn auch um einen Online-Personalausweis zu beantragen, der ihr den Weg in die Barmer-Geschäftsstelle ersparen würde, müsste sie persönlich beim Bürgeramt erscheinen. Beides ist für sie gleichermaßen zu beschwerlich. Dass man ihr bei der Barmer nicht glaubt, dass sie es selbst sei, die sich da um Nutzung bemühte, findet sie empörend: Seit 70 Jahren sei sie Mitglied, seit Jahren fordere sie problemlos online Ersatzbescheinigungen für ihre Rezepte an, „das sollte doch dieser Kasse genügen, um zu wissen, wer ich bin.“

Auf Anfrage dieser Zeitung gibt die Pressestelle der Barmer zu, dass die Nutzung auch anderen Versicherten Probleme bereite: „Nachfragen bzgl. Der Einrichtung der eCare-App, der ePA-App der BARMER, erreichen uns regelmäßig. Der Zugang zur ePA-App erfordert ein hohes Schutzniveau und die Registrierungsvorgänge sind für die meisten Versicherten neu und noch zu etablieren.“ Täglich käme es zu telefonischen Anfragen „im niedrigen dreistelligen Bereich“. Man biete sowohl eine Registrierung in den Geschäftsstellen vor Ort als auch eine ausführliche Anleitung inklusive Bilder aus der App online an. Auch gäbe es seit Ende August die Möglichkeit eines Video-Ident-Verfahrens. Hier sei die Eingabe eines Pin nicht mehr nötig, sehr wohl aber weiterhin „ein Personalausweis mit aktivierter Online-Funktion“.

Auch die AOK meldet auf Anfrage, das Onboardingverfahren sei aufgrund der hohen Sicherheitsanforderungen „etwas komplexer als es unsere Versicherten von den herkömmlichen Anmeldeverfahren freier Apps am Markt gewohnt sind“. Dass den Weg zur ePA viele Sicherheitshürden versperren, sei aber auch wichtig, da es sich ja um Gesundheitsdaten handelt. Die Standards sind deutlich höher als beispielsweise beim Online-Banking. Auch bei der AOK benötigen Senioren für eine barrierefreie Online-Registrierung eine elektronische Gesundheitskarte plus Pin oder einen Online-Personalausweis plus Pin. Um beides zu erhalten ist – man ahnt es schon – eine persönliche Vorsprache nötig. Eine Schnitzeljagd und immer wenn man glaubt, den Schlüssel zum Versteck gefunden zu haben, eröffnet sich lediglich ein Tor zu einem weiteren Rätsel. Und das führt den Patientenakten-Abenteurer relativ zuverlässig zurück auf Los.

Bei der Techniker-Krankenkasse scheint man einen kleinen - für Krebs wohl entscheidenden - Schritt weiter zu sein. Für eine Identifizierung ist hier zwar auch neben der elektronischen Versichertenkarte eine Pin nötig und die hat Krebs ja verlegt. Allerdings meldet ein Pressesprecher auf Anfrage, diese könne man bei der Techniker per Post-Ident-Verfahren anfordern: „Die PIN wird Versicherten dabei an der Haustür übergeben, sie müssen bei der Zustellung ihren Personalausweis vorzeigen.“ Tatsächlich sind die Versicherten der Techniker dann auch vergleichsweise rege unterwegs in ihrer digitalen Krankenakte. Bislang nutzen einem Sprecher zu Folge 800.000 der zwölf Millionen Kunden die Akte aktiv. Das sind immerhin mehr als sechs Prozent und damit etwa doppelt so viel wie im Gesamtdurchschnitt. Generell fordert die Techniker, „dass der Zugang zur elektronischen Patientenakte für Versicherte einfacher wird“. Möglich wäre das durch ein neues Verfahren, über das sich „Versicherte direkt für die Akte registrieren könnten und keine Pin mehr benötigen“. Bislang ist das Verfahren aber noch nicht zugelassen.

Rena Krebs hätte gerne die Neuerungen der Technik genutzt, ihre Krankengeschichte nachverfolgt und zur Vervollständigung selbst alte Befunde in ihre Akte geladen. „Damit das alle Ärzte dann auch einsehen können. Mir wäre das Recht. Wenn alle sofort über alles Bescheid wissen, spart das doch auch Kosten. Und da hätte ich gerne meinen Teil dazu beigetragen“, sagt Krebs. Die 93-Jährige schwankt zwischen Wut und Belustigung, wenn sie nun kapituliert. „Immer sagt man uns, dass mit der neuen Technik alles einfacher wird. Aber am Ende stimmt das nicht. Am Ende türmen sich immer mehr Hürden auf.“ Krebs wird die ePA nun anders als geplant nicht nutzen. Dabei habe sie sich redlich bemüht. „Mich würde wirklich mal interessieren, wie viele Menschen das anstandslos bedienen können.“


Versicherte haben drei Möglichkeiten, sich für die Patientenakte zu identifizieren:

  1. Mit der elektronischen Gesundheitskarte und der dazugehörigen Pin. Nötig ist hierfür auch ein passendes Kartenlesegerät oder ein Smartphone, das die Gesundheitskarte einlesen kann.
  2. Mit einem Personalausweis mit Online-Funktion und der dazugehörigen Pin.
  3. Persönlich in der Geschäftsstelle der Krankenkasse. Mitzubringen sind die elektronische Gesundheitskarte sowie der Personalausweis.