Neue Organspende-VorgabenWie riskant ist es, eine Niere zu spenden?

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Karl Lauterbach (SPD), Bundesminister für Gesundheit

Karl Lauterbach (SPD), Bundesminister für Gesundheit, will gesetzliche Vorgaben lockern, damit mehr Menschen ihre Niere spenden.

Karl Lauterbach will gesetzliche Vorgaben lockern. Doch viele Menschen leiden nach einer Nierenspende an Gesundheitsproblemen. Was man wissen sollte.

Normalerweise können Organe nur nach dem Tod gespendet werden. Anders ist das bei der Niere: Weil jeder Mensch zwei davon hat, ist es möglich, schon zu Lebezeiten eine davon einem anderen Menschen zu transplantieren. Man spricht dann von einer Nierenlebendspende, die bisher nur unter strengen gesetzlichen Auflagen erlaubt ist. Eine Niere darf man nur engen Verwandten, Lebenspartnern und -partnerinnen oder einer anderen Person spenden, mit der man in enger persönlicher Verbundenheit steht. Dadurch sollen Missbrauch und Organhandel verhindert werden: Niemand soll aus finanziellem Anreiz seine eigene Niere spenden, sondern nur, weil er das aus persönlichen Gründen möchte.

Gesundheitsminister Karl Lauterbach plant nun, diese Regeln zu ändern. Er will es erlauben, Nieren noch zu Lebzeiten anonym zu spenden, also für einen Empfänger oder eine Empfängerin, die einem unbekannt sind. Außerdem sollen sogenannte Crossover-Spenden anonym möglich werden. Sie kommen dann infrage, wenn jemand einer nahestehenden, kranken Person eine Niere spenden möchte, aber die Blutgruppen oder bestimmte Gewebemerkmale beider Personen nicht kompatibel sind. Die Gefahr einer Abstoßungsreaktion ist dann deutlich erhöht. In dem Fall kann die Niere „über Kreuz“ (englisch: „Crossover“) gespendet werden.

Organmangel lässt sich so nicht beheben

Dabei handelt es sich um eine Art Tauschgeschäft. Zum Beispiel kann der Mann einer nierenkranken Frau, deren Blutgruppe nicht zu seiner passt, seine Niere an einen anderen Kranken oder eine andere Kranke spenden. Ein nahestehender Mensch dieser Person spendet dafür dann seine Niere für die Frau des Mannes. Bisher sind Crossover-Spenden in Deutschland nur erlaubt, wenn geeignete Spenderpaare über eine Klinik oder einen Verein zusammengebracht werden und sich kennenlernen. Anschließend müssen sie vor einer Ethikkommission glaubhaft machen, dass sie nun keine Fremden mehr sind, sondern eine persönliche Bindung aufgebaut haben.

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Lauterbachs Pläne sehen nun vor, dass die Crossover-Spenden auch ohne diese Voraussetzung möglich werden sollen, sogar ganz ohne dass sich die Spenderpaare kennen. Wie genau sich die Neuregelung auswirken würde, lässt sich dabei nur schätzen. So machen Lebendnierenspenden bisher nur etwa ein Viertel aller Nierenspenden aus. Nach Zahlen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) standen im Jahr 2022 in Deutschland 6683 Menschen auf der Warteliste für eine Niere, 1966 Nieren wurden transplantiert und 535 der Spendernieren stammten aus einer Lebendorganspende, die restlichen von verstorbenen Spendenden.

Laut dem Universitätsklinikum Freiburg ist in 20 bis 30 Prozent der Fälle die Blutgruppe einer spendewilligen Person nicht mit der des oder der nierenkranken Angehörigen kompatibel. Theoretisch könnte sich der Anteil der Lebendspenden um diesen Anteil erhöhen – wenn sich all diese Menschen für eine Crossover-Spende entscheiden könnten und würden. Der Mangel an Spenderorganen könnte dadurch aber bei Weitem nicht behoben werden.

Und: Die Nierenspende einer lebenden Person wird zwar etwas besser vom Organismus toleriert als eine Spende nach dem Tod. Dauerhaft Heilung verspricht aber auch die Lebendspende nicht. Im Durchschnitt nach 15 Jahren versagt die Funktion des Spenderorgans – bei einigen erst deutlich später, bei anderen schon nach kürzerer Zeit. Spätestens dann sind die Empfänger wieder auf eine Dialyse angewiesen, eine regelmäßige Blutwäsche mit medizinischen Geräten, oder auf ein neues Spenderorgan. Nach einer Transplantation müssen Betroffene außerdem dauerhaft Immunsuppressiva nehmen, was mit einer höheren Krankheitsanfälligkeit und einem erhöhten Krebsrisiko einhergeht.

Berufsunfähigkeit als mögliche Folge

Gesundheitliche Folgen drohen zudem auch den Spendenden. Ralf Zietz ist Vorsitzender der Interessengemeinschaft Nierenlebendspende, eines Vereins der sich für die Rechte von Spendern und Spenderinnen einsetzt, die durch den Eingriff geschädigt wurden – und für eine bessere Aufklärung vor dem Eingriff. 2010 hat Zietz selbst seiner Frau eine Niere gespendet. „Damals wurde einem suggeriert, nach ein paar Wochen würde es einem wieder so gehen, wie vorher“, sagt Zietz. So war es aber nicht. Bis heute leidet er an chronischer Erschöpfung, häufigen Kopfschmerzen und Konzentrationseinbußen, ermüdet schnell und kann in seinem Beruf nicht das Gleiche leisten wie vorher.

So wie ihm geht es vielen, die ihre Niere gespendet haben. „Es ist inzwischen bekannt, dass es nicht bei allen, aber bei einigen zu dauerhaften Gesundheitsproblemen kommt“, sagt Zietz. Sein Verein möchte erreichen, dass mögliche Spender und Spenderinnen wissen, worauf sie sich einlassen. Und dass die zuständigen Unfallkassen Schadensfälle eher anerkennen und Behandlungskosten und Renten übernehmen. Heute ist das manchmal erst nach aufwendigen Gerichtsprozessen der Fall. Dabei könne der Nierenverlust zur Berufsunfähigkeit führen.

Laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) führt eine Lebendnierenspende zu einem Funktionsverlust der Nieren von etwa 30 Prozent, also fast einem Drittel. Die verbleibende Nierenleistung reiche „für ein normales Leben aus“, heißt es bei der BZgA außerdem. Zietz hingegen verweist auf eine Studie, in der sogar 37 Prozent Funktionseinbußen festgestellt wurden und der zufolge drei Viertel der Befragten über einen Verlust an Vitalität klagten.

Bei der Hälfte der Spender und Spenderinnen war eine Funktionseinschränkung der Niere beobachtet worden, die schnellere Ermüdbarkeit, schlechtere Konzentration und weitere kognitive Einschränkungen auslösen kann. Gut 18 Prozent litten ein Jahr nach der Spende an „genereller Fatigue“ mit Erschöpfung, chronischer Müdigkeit und kognitiven Einschränkungen, vorher waren es nur 6 Prozent gewesen. Einer Studie aus Norwegen zufolge ist die Sterblichkeit bei Nierenlebendspendenden später deutlich erhöht. Zu all dem kommen die Operationsrisiken, wie die Gefahr von Infektionen und mögliche Komplikationen unter Narkose.

Persönliche Bindung ist essenziell

Die geplante Gesetzesänderung sieht Zietz mit gemischten Gefühlen. „Zu begrüßen ist, dass es bei der Aufklärung nun Pflicht werden soll, über einen möglichen Verlust von Lebensqualität nach der Spende aufzuklären.“ Dafür habe sich sein Verein zuvor bei der Politik eingesetzt. Mit anderen Punkten ist er weniger einverstanden.

Crossover-Lebendspenden findet Zietz’ Verein in Ordnung, wenn sich die Spenderpaare vorher kennenlernen. „Eine persönliche Bindung zur Empfängerperson zu haben ist aus unserer Sicht essenziell, weil wir die Risiken und Folgen des Eingriffs kennen. Die sind besser zu ertragen, wenn ich weiß, für wen ich die Niere gespendet habe“, sagt Zietz. Durch eine gesetzliche Klarstellung könne man die Crossover-Spenden nach dem „Kennenlernmodell“ erleichtern, schlägt er vor: „Und man könnte auch ein System aufbauen, durch das mögliche Spenderpaare besser zusammenfinden“, sagt Zietz.

Von Lauterbachs Plänen für anonymisierte Crossover-Spenden hält er weniger, auch deshalb, weil das insgesamt die Tür für anonyme Lebendspenden öffne. Dass jemand ohne Crossover-Tausch anonym seine Niere für eine fremde Person spendet, sollte definitiv nicht erlaubt werden, findet Zietz: „Das wäre eigentlich nur nachvollziehbar, wenn man ihn glauben lässt, es könne dabei nichts passieren. Und das stimmt nun einmal nicht.“

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