Sorge vor InfektionWenn Krebstherapien wegen der Corona-Pandemie verschoben werden

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Corona-Station im Krankenhaus dpa

Die Angst vor einer Infektion mit Coronaviren ist bei Tumorpatienten groß. 

  • Um Intensivbetten für Covid-19-Patienten freizuhalten, mussten viele Krankenhäuser wichtige OPs und Therapien absagen – unter den Leidtragenden waren auch viele Krebspatienten.
  • Doch viele Patienten entschieden sich aus Angst vor einer Infektion mit dem Coronavirus auch selber gegen eine Behandlung im Krankenhaus.
  • Zwei Experten berichten, welche schwerwiegenden Folgen ein Aufschieben der Behandlung bei Krebserkrankungen haben kann.

Sind vor allem Krebspatienten die Leidtragenden in der Corona-Pandemie, weil aufgrund der Infektionsgefahr und der hohen Zahl an Covid-19-Erkrankten in den Kliniken und Praxen wichtige Operationen, Therapien, Bestrahlungen, Chemotherapien und Reha-Maßnahmen abgesagt, verlegt wurden oder nicht möglich waren? Ja, in einigen Fällen war das so, wie bei einer Brustkrebspatientin, deren brusterhaltende OP von der Klinik abgesagt wurde. Der Grund: Nach einem solchen Eingriff war in ihrem Fall eine Bestrahlung erforderlich. Die sei aber aufgrund des Corona-Ausnahmezustands nicht machbar, hieß es. Der Patientin wurde mitgeteilt, dass die Brust nicht erhalten werden kann, sondern amputiert werden muss.

Die Folgen der abgesagten Therapien sind noch nicht absehbar

Auch Anschluss-Heilbehandlungen nach Tumor-Erstbehandlung oder onkologische Reha-Maßnahmen fanden oftmals nicht statt. Einer der gravierendsten Fälle, der bereits Schlagzeilen machte, war ein an Lungenkrebs erkrankter Mann. Der geplante Operationstermin wurde von der Klinik kurzfristig abgesagt. Daraufhin setzte seine Frau alle Hebel in Bewegung und telefonierte die Krankenhäuser ab. Sie fand eine Klinik, die helfen wollte. Ihr Mann wurde operiert – es war höchste Zeit.

Einzelfälle zugegeben. Aber die Bandbreite nicht erfolgter oder verschobener Operationen, Therapien, Nachbehandlungen und Folgen für die an Krebs erkrankten Menschen sind derzeit noch nicht absehbar. Die Medizinerin Dr. Susanne Weg-Remers, seit 2012 Leiterin des Krebsinformationsdienstes beim Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg: „Welche Nachteile für Krebspatienten daraus resultieren, wird man erst genau beziffern können, wenn konkrete Zahlen vorliegen. Erst wenn man die diversen Ursachen näher analysiert hat, lässt sich schlussfolgern, ob die Sterblichkeitsrate aufgrund abgesagter, verschobener oder nicht erbrachter Eingriffe und Therapien bei Krebspatienten gestiegen ist.“

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Dr. Susanne Weg-Remers ist Leiterin des Krebsinformationsdienstes beim Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg.

In ein bis zwei Jahren könnten verlässliche Zahlen aus den Krebsregistern vorliegen. „Zwei Faktoren müssen bei der Bewertung berücksichtigt werden: Ob Krebspatienten hätten behandelt werden müssen und nicht behandelt wurden und ob sie ihre Therapien selber abgesagt oder verschoben haben aus Angst, sich mit dem Corona-Virus zu infizieren.“

Viele Patienten sagten ihre Therapie aus Angst selber ab

Letzteres war zumindest die häufigste Sorge bei den seit März monatlich zwischen 4200 und 2700 Anrufen und Mails von Krebspatienten und Angehörigen beim Deutschen Krebsforschungszentrum. Weg-Remers: „Wir haben die Not der Patienten gesehen und den DKFZ-Vorstand informiert. Dieser hat mit Deutscher Krebshilfe und Deutscher Krebsgesellschaft eine Taskforce eingerichtet und die onkologischen Spitzenzentren regelmäßig befragt, wie die Versorgungslage für die Patienten vor Ort ist.“ Das Ergebnis war, dass die medizinische Versorgung in den Zentren bis auf wenige Ausnahmen nicht beeinträchtigt sei und auch Chemo-, Strahlen- oder Immuntherapie bei den meisten Patienten wie geplant durchgeführt würden.

DKFZ

Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg ist die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Wissenschaftler erforschen wie Krebs entsteht, erfassen Krebsrisikofaktoren, suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass Menschen an Krebs erkranken und entwickeln Methoden, mit denen Tumore präziser diagnostiziert und Patienten erfolgreicher behandelt werden können.

Die Tumorpatienten waren vorrangig von der Angst getrieben, sich aufgrund ihres geschwächten Immunsystems an Covid-19 zu infizieren und zudem einen besonders schweren Verlauf der Infektion zu erleiden. Hinzu kam aber auch, dass viele Kliniken ihre Betten für Corona-Patienten reserviert hatten. Susanne Weg-Remers: „Bei einigen Krebsoperationen braucht man jedoch nach dem Eingriff mit hoher Wahrscheinlichkeit für einige Tage ein Intensiv-Bett. Daher wurden an manchen Kliniken offensichtlich Krebs-Operationen verschoben oder abgesagt, weil man die Intensivbetten für Covid-19-Patienten freihielt.“

Onkologische Spitzenzentren

Tumorzentrum kann sich jede Klinik nennen. Onkologische Spitzenzentren sind jedoch die CCC-Zentren, 2007 initiiert und seitdem gefördert von der Deutschen Krebshilfe. Ziel ist die flächendeckende Patientenversorgung auf höchstem medizinischem Niveau. Vorbild waren die „Comprehensive Cancer Center (CCC)“ in den USA.

„Als Arzt sitzt man auf einer gefährlichen Schaukel.“

Angst, Verunsicherung, Ratlosigkeit und daraus resultierende Risiken für den Patienten muss auch Prof. Dr. Christian Prinz seit Anfang März tagtäglich abwenden. Prinz ist Leiter des Darmkrebszentrums am Universitätsklinikum Wuppertal, das zum Helios-Konzern gehört. „Telefon-Seelsorge“ und erhöhte Aufmerksamkeit bestimmen seinen Klinikalltag: „Als Arzt sitzt man auf einer gefährlichen Schaukel, wenn man nicht genau nachfragt.“

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Prof. Dr. Christian Prinz ist Leiter des Darmkrebszentrums am Universitätsklinikum Wuppertal.

So wie bei dem 65-Jährigen, der sich bei Prinz meldete. Bei dem Patienten musste aufgrund einer Bauchspeicheldrüsen-Entzündung der Stent gewechselt werden, also das Röhrchen im Gallengang. „Der Patient wollte vor der geplanten Aufnahme wissen, ob ein Risiko in der Klinik bestehe und daher den Eingriff zurückstellen. Bei dem Telefonat im Vorfeld ergab sich jedoch ein neuer Verdachtsmoment. Er erzählte mir, es gehe ihm gut, aber er habe Blutarmut.“ Christian Prinz wurde hellhörig. „Ich riet ihm sofort zu kommen, das könne eine andere Ursache haben.“ Der Mann kam, der Stent wurde gewechselt und zugleich eine Darmspiegelung gemacht. Das Ergebnis: Darmkrebs. „Wir haben ihn erfolgreich operiert in der Corona-Zeit.“

Christian Prinz registrierte, dass in der Corona-Hoch-Zeit „die Fallzahlen bei Darmkrebs-Erstdiagnosen zurückgegangen sind, was daran liegen kann, dass die Symptome entweder von Kollegen oder Patienten nicht so ernst genommen wurden“ oder die Patienten aus Angst erst gar nicht zum Arzt oder in eine Klinik gegangen sind, vereinbarte Termine für die Spiegelung verschoben haben und folglich Polypen nicht abgetragen werden konnten.

Die Angst vor einer Infektion war größer als die Angst vor dem Krebs

Die Furcht vor dem Ansteckungsrisiko war größer als die Angst vor einem möglichen Tumor. Prinz: „Das Risiko sich zu infizieren ist gegeben, aber dank unserer stringenten Hygienekonzepte ist es in unserem Haus nicht zur Ausbreitung des Virus gekommen“. Der Darmkrebs-Experte beruhigt, dass ein dreimonatiger Aufschub beim Abtragen der Polypen, oftmals Vorstufe für Darmkrebs, kein großes Risiko für den Patienten bedeuten muss. „In Holland warten Patienten in der Regel sechs Monate darauf, um Polypen abtragen zu lassen. Dennoch ist in Holland die Zahl der Sterblichkeit an Darmkrebs auch nicht höher als bei uns.“ Das liege daran, dass qualitativ gut operiert werde in dem Nachbarland, das zudem vorbildlich ist in puncto Hygiene.

Krebserkrankungen

Laut dem Bundesministerium für Bildung und Forschung sind Krebserkrankungen nach wie vor eine der größten Herausforderungen. Täglich erkranken allein in Deutschland rund 1400 Menschen an Krebs. In den nächsten 20 Jahren werde sich die Zahl der Krebsneuerkrankungen weltweit verdoppeln.

Auch die Registrierung von Schlaganfällen und Herzinfarkten nahm ab

Von abgesagten Terminen und ungewöhnlicher Ruhe in Kliniken berichteten auch Kollegen von Dr. Susanne Weg-Remers: „ Ab Mitte März waren viele meiner Kollegen in den Kliniken und Praxen erstaunt, dass nur noch wenige Patienten kamen. Nicht nur die, die Beschwerden hatten oder bereits die Diagnose Krebs erhalten hatten, kamen nicht. Auch die Früherkennungsuntersuchungen waren eine Zeitlang ausgesetzt. In den internistischen Kliniken wurden deutlich weniger Herzinfarkte und Schlaganfälle registriert.“ Mittlerweile haben sich Praxis- und Klinikbetrieb zögerlich normalisiert. Den von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) geforderten Normalbetrieb gibt es aber immer noch nicht, so die Einschätzung der Corona-Taskforce.

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Schutz vor zukünftigen Pandemien

Um zukünftig Risiken für Krebspatienten zu minimieren, ausgelöst durch Pandemien vergleichbarer Art, rät Prof. Christian Prinz: „Wir werden in den onkologischen Abteilungen der Kliniken weitaus mehr Einzelzimmer benötigen, schon allein um den Mindestabstand einzuhalten. Das ist schon in Zwei-Bett-Zimmern kaum möglich, in Vier-Bett-Zimmern gar nicht.“ Weniger Betten bedeuten aber weniger Einnahmen für die Kliniken. Für den finanziellen Ausgleich, so Prinz, müssen Bund und Länder sorgen. „Wir brauchen mehr Isolationsmöglichkeiten und spezielle Klimatechnik in Krankenhäusern und auch in Ambulanzen, denn wir werden zukünftig immer wieder mit vergleichbaren Erregern zu kämpfen haben.“

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