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Die Dosis macht das GiftWie UV-Strahlen der Sonne Herz, Hirn und Immunsystem guttun

3 min
Radfaher fahren bei Sonne durch den Stadtwald.

Bewegung in der Sonne, so wie hier im Kölner Stadtwald, wirkt sich in vielerlei Hinsicht positiv auf den Körper aus.

UV-Strahlen im Sonnenlicht sind für die Haut schädlich – und gesund für Herz, Hirn und Immunsystem.

Die Warnungen waren maßlos: Auch unter dem Eindruck, dass etwa in Australien die Häufigkeit von Hautkrebs beständig zunimmt, solle Sonne möglichst konsequent vermieden, die Haut abgedeckt werden. Und es stimmt ja auch: ultraviolette Strahlung führt zu beschleunigter Hautalterung – und kann über Schäden in der DNA, den Genen im Zellkern, Hautkrebs auslösen. Mit Folgen: Die Bewohner Australiens haben die weltweit höchste Rate von Hautkrebs. Allerdings nicht die Ureinwohner. Die sind nämlich durch Melanin in ihrer Haut relativ gut vor den UV-Strahlen geschützt. Die „bleichen“ Einwanderer aus Europa dagegen nicht – Evolution braucht Zeit.

Magnus Heier

Magnus Heier

ist Autor und Neurologe und schreibt die wöchentliche Medizinkolumne „Aus der Praxis“. ...

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Immer mehr wird aber deutlich, dass Sonnenlicht sehr nützlich ist. Aus mehreren Gründen. So scheint Sonnenlicht für das Wachstum kindlicher Augen notwendig – fehlt es, führt es in der Entwicklung zu Kurzsichtigkeit. Und genau das ist in asiatischen Großstädten in großer Zahl zu beobachten: Die Kinder gehen nicht mehr vor die Tür – und werden zu Brillenträgern.

Aber es gibt weitere Effekte: So fördert Sonnenlicht, wie schon lange bekannt, die Bildung des lebenswichtigen Vitamins D. Fehlt es, können Knochen instabil werden. Neu ist ein ganz anderer Effekt: Sonnenlicht auf der Haut fördert auch die Bildung von Stickstoffmonoxid – ein Gas und Signalmolekül. Es entspannt Blutgefäße und senkt dadurch den Blutdruck. Und schont das Herz. Eine skurril klingende Beobachtung scheint diesen Zusammenhang zu unterstützen: Je weiter weg vom Äquator die Menschen wohnen, desto höher steigt der Blutdruck. Das ist verblüffend – und verkürzt. Denn es gibt viele Faktoren, die sich mit größerer Entfernung vom Äquator verändern: nicht nur die Sonne, sondern auch die Temperatur, die Ernährung, die Feuchtigkeit. Trotzdem ist eine Wirkung auf den Blutdruck möglich.

Sonnenlicht scheint das Immunsystem zu beeinflussen

Außerdem scheint das Sonnenlicht (und dabei vermutlich die UV-Strahlung) das Immunsystem zu beeinflussen. Schon lange ist etwa bekannt, dass Multiple Sklerose in Äquatornähe sehr selten ist, mit größerer Entfernung vom Äquator aber häufiger auftritt. MS ist eine Erkrankung eines überaktiven Immunsystems – es bekämpft plötzlich körpereigenes Gewebe, in diesem Fall Nervenbahnen. Warum es das tut, ist unklar. Warum es das in Äquatornähe seltener tut, ebenfalls. Viele Erklärungen sind auch hier denkbar, aber ein Zusammenhang mit UV-Licht ist möglich. Und schließlich eicht Sonnenlicht die körpereigene innere Uhr: Menschen, die in Herbst und Winter ständig müde sind, gehen möglicherweise einfach nicht oft und lange genug vor die Tür.

Sonnenlicht ist offensichtlich nicht nur schädlich, sondern auch gesund – ja: lebenswichtig. Zu viel Sonne, die zu Sonnenbränden führt, ist ganz sicher ungesund. Aber unterhalb dieser Schwelle scheinen die Vorteile deutlich zu überwiegen. Es ist wie so oft in der Medizin: Die Dosis macht das Gift – auch bei Sonnenlicht.