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Eiweißheiten„Einen Proteinshake braucht man selbst als Spitzensportler nicht“

6 min
Bizeps dank Protein? So einfach ist es nicht. /RND (Montage), Foto: IMAGO/

Bizeps dank Protein? So einfach ist es nicht. /RND (Montage), Foto: IMAGO/

Für die Fitness- und Abnehmbranche ist Protein so etwas wie der heilige Gral, Fachleute warnen vor übertriebenem Konsum. Wie viel Protein braucht es wirklich – und wie bekommt man es am besten?

Proteinpudding im Supermarkt, Shakes im Fitnessstudio oder Eiweißbrot beim Bäcker – Eiweiß ist derzeit einer der gefragtesten Nährstoffe. Was früher vorwiegend interessierte, wer gezielt Muskeln aufbauen wollte, ist heute ein Massenphänomen geworden. Die Hersteller versprechen höhere Leistung, ein stärkeres Sättigungsgefühl und mehr Muskeln durch Proteinprodukte.

Aber hinter dem Boom stecken auch viel Marketing und teils leere Werbeversprechen. Braucht der Körper wirklich so viel Protein, wie Werbung und Fitnessinfluencer behaupten? Angela Bechthold ist Ernährungswissenschaftlerin und Autorin („Proteine und Aminosäuren“, erschienen am 17. Oktober bei Stiftung Warentest). Sie weiß, wie wichtig Protein für den Körper ist. „Ohne Proteine würde in unserem Körper nichts laufen“, sagt sie.

Proteine seien nicht nur Energielieferanten wie Fett und Kohlenhydrate, sondern Baustoff für Knochen, Knorpel, Sehnen und Muskeln. Auch für den Stoffwechsel und das Immunsystem übernehmen Proteine wichtige Funktionen. Ein Mangel hätte also weitreichende Folgen für unsere Gesundheit.

Muskeln aufbauen

Aber wie viel Protein ist nötig, um den Körper optimal zu versorgen? Erwachsene zwischen 19 und 65 Jahren sollten nach Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) 0,8 Protein pro Kilogramm Körpergewicht pro Tag zu sich nehmen. Das sind je nach Gewicht etwa 50 bis 60 Gramm. „Bei einigermaßen ausgewogener Ernährung liegen die meisten Menschen darüber“, sagt Bechthold. Je nach Alter verändert sich der Proteinbedarf jedoch. „Säuglinge und Kleinkinder, die schnell wachsen, brauchen besonders viel, aber auch Schwangere, Stillende und Ältere ab 65 Jahren benötigen mehr Protein“, erklärt Bechthold.

Auch das Sportpensum hat einen Einfluss auf den Bedarf – jedoch deutlich geringer als man meinen könnte. Für alle, die ein paar Mal die Woche eine halbe Stunde joggen oder Fußball spielen, reiche die empfohlene Tagesmenge weiterhin aus. „Für Leistungs- oder ambitionierte Freizeitsportler, die etwa für einen Marathon trainieren, liegt die empfohlene Menge bei 1,2 bis 2 Gramm Protein pro Kilogramm Körpergewicht“, sagt Bechthold. „Die 2 Gramm gelten aber wirklich nur vorübergehend für außergewöhnliche Situationen im leistungsorientierten Kraftsport.“

Auf den Punkt

Eine Tagesdosis von mehr als 1,6 Gramm pro Kilo Körpergewicht würde sowohl Muskelmasse als auch Muskelkraft gar nicht weiter wachsen lassen. Der gewünschte Effekt bliebe also aus. Wichtig ist Bechthold auch: Nur Protein essen reicht nicht, um muskulöser zu werden. „Wenn Muskeln wachsen sollen, brauchen wir Protein. Das funktioniert aber nur mit gleichzeitigem Muskelreiz, also wenn man auch trainiert“, betont sie. Auch sei das „anabole Fenster“, also der Zeitraum, in dem der Körper nach dem Sport gut Protein aufnehmen könne, deutlich länger geöffnet als etwa für Kohlenhydrate. „Das dauert bis zu 24 oder vielleicht sogar 48 Stunden nach dem Sport. Innerhalb dieser Zeit nimmt man ja ohnehin Mahlzeiten zu sich“, sagt sie.

Leere Versprechen

Es kursieren jedoch viele Werbeversprechen. „Protein ist gerade ein Verkaufsargument“, berichtet Bechthold. Selbst Hartweizennudeln gebe es mittlerweile mit High-Protein-Label. „Die Produkte werden dadurch weder gesünder noch helfen sie beim Abnehmen, sie sind in den meisten Fällen überflüssig und teuer“, sagt sie. „Was aber stimmt: Je höher der Proteinanteil in der Nahrung ist, desto schneller ist man satt – und hört auf zu essen.“ Protein kann das Abnehmen also erleichtern, aber nur wenn man dadurch weniger isst als sonst.

„Wir sind ausreichend versorgt mit Proteinen hierzulande“, so Bechthold. „Aus ernährungsphysiologischer Sicht ist der aktuelle Trend nicht nachvollziehbar.“ Einen Proteinshake brauche man aber selbst als Spitzensportlerin nicht. „Food first ist die Devise in der Sport- und Ernährungswissenschaft.“ Also lieber Protein über eine abwechslungsreiche Lebensmittelauswahl aufnehmen als über Ersatzmittel. Denn dann versorge man seinen Körper auch mit anderen wichtigen Nährstoffen. Nur in Ausnahmesituationen, wie auf Reisen oder beim „Gewichtmachen“ im Leistungssport, könnten Proteinriegel oder -shakes aus praktischen Gründen eine Alternative sein.

Aber wie lassen sich Proteine in den Alltag integrieren? Besonders gute Eiweißquellen sind laut Bechthold tierisches Protein, also Fleisch, Milch, Eier und Fisch. „Das kann besonders gut vom Körper verwertet werden, weil es dem menschlichen Protein am ähnlichsten ist.“ Man könne sich aber auch mit rein pflanzlichem Protein bedarfsgerecht ernähren: „Gute Quellen sind unter anderem Hülsenfrüchte wie Linsen, Erbsen und Sojabohnen, Nüsse und Samen sowie Vollkorngetreide.“

Food first

Mit einem Frühstück aus Haferflocken mit Kuh- oder Pflanzenmilch sei bereits ein Drittel des Referenzwertes erreicht. Als Mittagessen empfiehlt die Expertin entweder eine kleine Portion Fisch oder Fleisch oder Chili sin Carne mit Reis. Zum Abendbrot wären etwa ein Ei und Joghurt oder ein Käsebrot sinnvoll. Pflanzliche Proteinquellen lassen sich durch die Art der Zubereitung für Menschen, die sich rein pflanzlich ernähren, aufwerten. „Es ist sinnvoll, nicht nur Rohkost zu essen, sondern auch mal etwas Gekochtes“, erklärt Bechthold. „Auch Fermentiertes wie Sauerkraut oder Tempeh sind sinnvoll, wie auch gekeimte Hülsenfrüchte. All das hilft, die Verfügbarkeit der Aminosäuren zu verbessern.“

Denn das ist, was unser Körper eigentlich benötigt: die Aminosäuren, aus denen Proteine aufgebaut sind. „Die Aminosäuren aus Nahrungsprotein nutzt unser Körper, um eigene Proteine aufzubauen“, sagt Bechthold. Außerdem würden Aminosäuren Stickstoff liefern, aus dem unser Körper wiederum eigene Aminosäuren aufbauen könne. All die neuen Proteinquellen, die sich dank des Hypes auftun, und immer neue Produkte, brauchen wir also eigentlich nicht. Was passiert aber, wenn wir zu viel Protein zu uns nehmen? Eine definierte Höchstmenge, ab der nachgewiesenermaßen gesundheitliche Schäden auftreten, gibt es nicht.

Bechthold warnt jedoch vor übertriebenem Konsum: „Isst man dauerhaft mehr Protein als man braucht, belastet das die Nieren, die den überflüssigen Stickstoff in Form von Harnstoff ausscheiden müssen.“ Diese Stickstoffausscheidungen würden zudem die Umwelt belasten. Die DGE fordert Langzeitstudien, um die Auswirkungen von hohem Proteinkonsum auf die Niere zu untersuchen. Bislang gibt es nur Studien, die einen relativ kurzen Zeitraum betrachten und deswegen nur beschränkt aussagekräftig sind.

Bedarf in Südasien

In Zukunft könnte es zudem alternative Proteinquellen wie Insekten, Algen, Laborfleisch oder Pilze geben. „Wie vielversprechend das ist, hängt letztlich davon ab, wie preisgünstig und nachhaltig sich das im industriellen Maßstab produzieren lässt“, sagt Bechthold. Laborfleisch sei beispielsweise in der Massenproduktion aktuell sehr aufwendig und teuer. Auch wenn es zugelassen würde, dürfte es also vorerst ein für die meisten nicht erschwingliches Nischenprodukt bleiben.

Hierzulande müsste man sich jedoch keine Sorgen machen, denn es gebe ausreichend Proteine. „Es gibt Teile in der Welt, etwa in der Subsahara oder Südasien, da fehlen die Proteinquellen und Unterernährung ist ein Problem“, sagt Bechthold. „Dort würde es sich lohnen, alternative Proteinquellen zu produzieren.“