Studieren auf dem FriedhofDie Lehre vom Tod

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Rupert Scheule, Johanna Klug und Dominik Ritter beim Ortstermin auf dem Friedhof.

  • Die Uni Regensburg widmet ab kommendem Jahr dem Tod einen eigenen Masterstudiengang.
  • Initiator Rupert Scheule erklärt, was es damit auf sich hat und warum uns eine intensivere Auseinandersetzung mit Sterben und Trauern gut tut.
  • Wir haben ihn an einem der neuen Lernorte, dem Regensburger Friedhof, getroffen.

Oben auf dem Berg, über den Dächern von Regensburg, ruht die Bestattungskultur aus zwei Jahrhunderten. Da liegen Gruften neben Urnengräbern neben modernen, fast fröhlichen Gedenkstätten mit bunten Windrädern, wie man sie früher als Kind gebastelt hat. Es ist die Entwicklung des Friedhofwesens, einmal im Schnelldurchlauf. Rupert Scheule, Johanna Klug und Dominik Ritter sind unterwegs auf dem Dreifaltigkeitsbergfriedhof. Zwischen den Gräbern ragt der Schornstein des Krematoriums empor, fast etwas bedrohlich.

Wie beruhigend, dass heute kein Rauch aus ihm herausströmt und sich mit der – an diesem Tag noch milden – Herbstluft vermischt. Die drei sind nicht zum Spazieren dort. Und in rund einem Jahr, da werden sie auch nicht mehr allein durch die kleinen Gassen dieser weitläufigen Gräberstadt flanieren. Gemeinsam mit ihnen werden Studierende kommen, der Dreifaltigkeitsbergfriedhof wird einer ihrer Lernorte sein. Krematorium, Friedhof, Studierende: Eine Kombination, die – wohl zurecht – einiger Antworten bedarf.

Interdisziplinärer Studiengang

Vor dem Start ins Betriebswirtschaftsstudium wird der Neustudent vielleicht ein paar Kapitel Oberstufen-Mathematik wiederholen. Zumindest zur mentalen Einstimmung, als Pseudo-Vorbereitung und für das reine Gewissen. Für eine journalistische Ausbildung vertieft er sich vielleicht in die Regeln guter Interviewtechnik. Was aber wiederholen, reflektieren, vorbereiten, wenn man auf dem Weg ist zu einem Studienfach ist mit dem Namen „Perimortale Wissenschaften“? Was, wenn die Studenten für die Vorlesung, das Seminar in „PeWi“ – so die Abkürzung – nicht in einen Hörsaal strömen, sondern am Eingangstor zum Friedhof warten?

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Rupert Scheule

Tod, Sterben und Trauer, damit werden sich ab dem Wintersemester 2020/21 jene Studierenden auseinandersetzen, die sich für besagten Master an der Universität Regensburg entscheiden. Theologen, Mediziner, Juristen und auch Sozialwissenschaftler sollen als Dozenten für den Studiengang eingesetzt werden. Sie alle sollen den Studierenden den Tod aus ihren jeweiligen fachlichen Perspektiven näherbringen – es geht um seine Bedeutung in der Gesellschaft, aber auch um die Physiologie eines Leichnams.

Künftige PeWi-Studierenden wiederum sollen nach und nach lernen, intuitiv zu handeln und auf ihr Bauchgefühl zu hören. „Es ist wohl eine Kombination aus Theorie und Empathie, die der Studiengang lehren wird. Natürlich versuchen wir, das Thema stückweise zu professionalisieren. Aber: Es gibt keine Hoffnungsbotschaften, die man auswendig lernen und Trauernden oder Schwerkranken aufsagen kann. Solidarität ist der entscheidende Faktor“, formuliert es Johanna Klug, die selbst Erfahrungen mit der Arbeit in einem Hospiz gemacht hat.

Ein ungewöhnliches Konzept? Ungewöhnlich eher, dass es solch einen Studiengang bislang noch nicht in Deutschland gebe, findet jedenfalls Rupert Scheule. Der Professor für Moraltheologie und katholische Diakon ist Ideengeber für das neue Fach „Perimortale Wissenschaften“.

Eine gute Trauerbegleitung beginnt schon vor dem Tod

Der Ursprung seines Einfalls: „Für eine gute Trauerbegleitung reicht es nicht, als Seelsorger erst nach dem Tod eines Menschen bei den Angehörigen auf der Matte zu stehen.“ Genau deshalb hat Scheule – gemeinsam mit den Theologen Johanna Klug und Dominik Ritter, die das Konzept des Studiengangs an der Uni Regensburg maßgeblich mitentwickelt haben – den Begriff „Perimortal“ für den Studiengang gewählt. Peri für „in der Nähe“, mortal für „Tod“. Denn Sterbebegleitung und Trauerbewältigung, die beginnen nicht erst mit dem Tod, der Beerdigung. Die fangen viel früher an und enden weit nach dem Tod an sich. „Master of Death hätte vielleicht cooler geklungen“, sagt Klug lachend, „doch treffender ist definitiv der Titel, für den wir uns jetzt entschieden haben.“

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Ortsbesuch auf dem Friedhof von Regensburg.

Langsam schlendert das Trio weiter an den langen Reihen von Grabsteinen vorbei. Vor etwa eineinhalb Jahren gingen die Planungen für den Studiengang in die Startphase. Ansprechen soll er grundsätzlich jeden – ganz gleich, ob die Studierenden später in einem Hospiz, als Redner auf einer Trauerfeier oder gar in einem Krematorium arbeiten wollen. Denn was die „Perimortalen Wissenschaften“ vor allem tun sollen, ist Aufklärungsarbeit und Aufmerksamkeit schaffen für einen Bereich, der das tägliche Leben mitbestimmt – wenn er auch meist erfolgreich verdrängt wird. Denn: „Es ist ein hartes Thema für uns alle. Und eine saublöde Kränkung für den Menschen an sich, dass er sterben muss – obwohl wir uns doch, selbst während wir über den Tod nachdenken, so quicklebendig fühlen“, sagt Scheule. Quicklebendig – das Wort scheint nicht so recht zu jenem Ort zu passen, wo Scheule sich mit seinen wissenschaftlichen Mitarbeitern getroffen hat. Schließlich liegen hier dutzende, hunderte Tote unter dem sorgfältig aufgeschütteten Kies und der bunten Ernte des Herbstes, die den Bäumen ihre Blätter nach und nach von den prächtigen Kronen stiehlt. Doch Scheule meint es genauso, wie er es sagt. „Ich finde, dieser Friedhof hier ist voller Leben.“

Der Friedhof als interkulturelle Begegnungsstätte

Trauernde, die mit Blumen und Kerzen herkommen, die Tiere, die sich durch das Wurzelwerk schlagen: Der Friedhof ist eine Art interkulturelle Begegnungsstätte, wo jüdische, muslimische oder katholische Menschen begraben liegen. Nicht zu vergessen all die Emotionen, die mit einem Ort wie diesem verbunden sind.

Die Antwort, warum die Studierenden zum Lernen auf den Friedhof müssen, liegt also nahezu auf der Hand. „Wie soll ich sterbende oder trauernde Menschen begleiten, während ich mich in einer Vorlesung mit der Theorie dazu berieseln lasse?“, fragt Johanna Klug. Praxisbezug wird es unter anderem auch im Bereich der Palliativmedizin geben. „Überhaupt soll PeWi auch in Teilzeit studierbar sein – als Angebot für Menschen in der Lebensmitte, die merken, dass das Fachwissen aus diesem Studiengang hilfreich für ihren Beruf sein könnte“, so Scheule. „Wir sind gespannt, welche Menschen aus möglicherweise ganz Deutschland sich dann immer blockweise zum Studium in Regensburg treffen.“

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Ungewöhnlicher Lehrort

Aus einer Umfrage, die das Interesse für den Studiengang im Vorfeld abgefragt hat, wissen die Organisatoren bereits: Das Bedürfnis nach wissenschaftlicher Annäherung an den Tod kommt aus ganz unterschiedlichen Bereichen. Da ist beispielsweise Johannes Trummer (24), Lehramtsstudent. Er sagt: „Das Thema Tod kann einen auch in der Schule schneller einholen, als man denkt.“ Selbst wenn der schlimmste Fall, dass ein Elternteil oder gar ein Schüler selbst stirbt, nicht eintritt: Als Lehrer müsse man sicher damit umgehen können – dürfe dem Tod nicht mit derselben Angst begegnen, auf die er meist in der Gesellschaft stößt.

Begrenztheit des Lebens wird heute totgeschwiegen

Auch Verena Leisinger (36) empfindet die Thematik buchstäblich als totgeschwiegen. Die Sozialarbeiterin hat bei ihrer Tätigkeit in der Geburtshilfe erfahren, wie wichtig verschiedene Disziplinen der Trauerbegleitung sind. Aus einem ganz anderen Bereich kommt Domenico Incannova (31). Er hat katholische Moraltheologie studiert und hofft: „Als zukünftiger Pfarrer wird mir der Studiengang sicher helfen, noch bessere Seelsorge zu leisten.“

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So unterschiedlich die Interessenten für den Studiengang aber sein mögen, ein allgemeingültiges Ausschlusskriterium gibt es dennoch: „Wir führen im Vorfeld Gespräche mit den Bewerbern“, erklärt Scheule, „und wenn wir da feststellen, dass jemand einen aktuellen Trauerfall aus dem privaten Bereich noch nicht verarbeitet hat, sich eventuell sogar deswegen bewirbt, um diesen im Studium aufzuarbeiten, empfehlen wir sehr, das Studium nicht anzutreten.“ Denn Trauer sei nun mal kein Phasenmodell – und könne gerade, wenn man glaube, sie verarbeitet zu haben, wellenartig zurückkommen wie Ebbe und Flut.

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Irgednwann ist Zeit zum Abschiednehmen.

Abschied. Mitten auf dem Regensburger Dreifaltigkeitsfriedhof kann man sich in etwa ausmalen, was das bedeutet. Der Studiengang „Perimortale Wissenschaften“ widmet diesem Thema ein ganzes Modul. „Der Tod hat viele Ableger im Leben. Und seien es nur kleine Tode, die wir nach und nach sterben – zum Beispiel, wenn ein Lebensabschnitt endet, Schule oder Ausbildung abgeschlossen werden oder wir gar nach einem Treffen „Auf Wiedersehen“ sagen, obwohl dieses wahrscheinlich nie stattfinden wird“, weiß Rupert Scheule. Solche Begrenztheiten des Lebens zu verstehen, im kleinen und großen Sinne, wird elementar sein für das Studium rund um Tod, Trauer und Sterben.

Auch die Freude wird ihren Raum haben

Wo bleibt die Freude ? Wird sie Raum haben zwischen all den Disziplinen um Trauer und Trost? „Aber ja. Und man wird auch Anlass haben, zu lachen – genauso wie man auch in Hospizen und auf Trauerfeiern lacht“, ist sich Johanna Klug sicher. Lächelnd erinnert sie sich an einen Einsatz bei einem schwerkranken Familienvater. Seine Kinder wissen, dass er nicht gesund wird. Sie sollen trotzdem, oder gerade deswegen, schöne Erinnerungen mit ihm sammeln, die Zeit auskosten. Und wie Johanna Klug mit Freude an diesen gemeinsamen Nachmittag mit viel Gelächter und viel Waffelteig zurückdenken.

Aber das neue Fach ist eben keines wie Jura oder BWL. „Auch nach dem Master-Abschluss wird es keine allgemeingültige Anleitung geben, zu trauern oder Trauer zu begleiten. Dafür wird man das Leben mehr zu schätzen wissen. Weil einem der Tod viel bewusster ist. Ich jedenfalls würde das Fach sofort studieren“, sagt Rupert Scheule.

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