Ein Jahr Ausnahmezustand für Eltern„Am Anfang ging es, dann bröckelte die gute Laune“

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Eltern im Corona-Lockdown Symbolbild

Seit einem Jahr läuft in Schulen und Kitas nichts wie sonst. Die meisten Eltern mussten sich plötzlich jeden Tag um die Betreuung ihrer Kinder kümmern. (Symbolbild)

Köln – Der 13. März 2020 ist ein Freitag – ein schwarzer Freitag, wie es die meisten Eltern empfinden, und er wird in die Geschichte eingehen als der Tag, an dem Schulen und Kitas schließen. Nicht fürs Wochenende, sondern für Wochen. Bis heute sind sie nicht wieder in den Normalzustand zurückgekehrt.

Drei Tage nach diesem 13. März richten Schulen und Kindertagesstätten eine Notbetreuung ein. Dorthin dürfen aber nur die Kinder von Eltern, deren Berufe als „systemrelevant“ gelten. Auch so ein Begriff, der mit der Krise herangeschwemmt wurde, genauso wie die Worte Präsenz-, Distanz- und Wechselunterricht.

Der erste von vielen Stresstests

Für alle anderen sind die folgenden sechs Wochen der erste von vielen Stresstests in den vergangenen zwölf Monaten. Väter und Mütter wie Nele Flüchter sind ans Ende ihrer Kräfte gelangt. Bei der Mutter zweier Kinder in der ersten und dritten Klasse reichte die Verzweiflung immerhin so weit, dass sie in diesem Jahr gemeinsam mit anderen Eltern durch Demonstrationen in Düsseldorf auf ihre Not aufmerksam machte. Im Januar gab sie dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ schon einmal Einblick in ihre Gemütsverfassung: „Mit allerletzter Kraft.“

Mutter über Corona-Anstrengungen

Nele Flüchters Familie litt unter dem Lockdown im Frühjahr: „Irgendwann war alles nur noch furchtbar.“

Wie Nele Flüchter und ihrem Mann ist es vielen Eltern ergangen, vor allem Müttern und Vätern von jungen Kindern. Das belegen Zahlen des Forschungsinstituts Forsa, das im Februar mehr als 3000 Eltern schulpflichtiger Kinder im Alter von fünf bis 17 Jahren gefragt hat, wie sie die erzwungene schulfreie Zeit erlebt haben.

Fast drei Viertel der Eltern von Kindern in den Klassen 1 bis 4 sagten, die Schulschließungen seien für das Familienleben belastend gewesen. Bei Eltern von Schülerinnen und Schülern in den Jahrgangsstufen 10 bis 13 sank der Anteil jener, die Belastungen empfunden haben, auf nur noch knapp ein Drittel.

„Zu Beginn waren wir noch entspannt“

„Zu Beginn des Lockdowns waren wir alle noch relativ entspannt, auch weil wir dachten, dass es nicht so lange dauern würde“, sagt Nele Flüchter. Sie ist selbst Pädagogin, unterrichtet in Düsseldorf Berufsschüler und muss auch im Lockdown an ein bis zwei Tagen jede Woche in die Schule, während ihr Mann mit den beiden Kindern zu Hause bleibt.

Nach zwei Wochen habe die gute Laune in der Familie angefangen zu bröckeln, „auch weil wir nicht die Riesenwohnung haben“, sagt die 38-Jährige. „Die ganze Zeit zu Hause zu hocken, das wurde anstrengend.“

Ich habe auch so etwas wie eine Depression verspürt – einige Tage musste ich im Bett verbringen, weil ich fix und fertig war –, weitaus größer aber ist die Wut, die ich mittlerweile verspüre“, sagt sie, die sich ärgert „darüber, wie man mit Familien und speziell Kindern umgeht.“ Ihre Wut richtet sich gegen die Politik, „die billigend in Kauf nimmt, was an Schulbildung verloren geht, dass Kindeswohlgefährdung stattfindet – die in Kauf nimmt, dass es den Eltern schlecht geht, was zur Konsequenz hat, dass es den Kindern auch nicht gut geht.“

„Kinder, die überhaupt keine Reize mehr erleben“

Wie schlecht es vielen Kindern im Corona-Ausnahmezustand geht, belegt auch die Forsa-Umfrage, in der zwei Drittel der Eltern sagten, dass die Zeit ohne Schule für ihre Kinder in psychischer und sozialer Hinsicht belastend war.

Anne Becker bestätigt diesen Eindruck. Die 38 Jahre alte Sozialarbeiterin begleitet im Auftrag des Jugendamts Wuppertal Familien. „Bei meiner Arbeit erlebe ich jetzt immer wieder Kinder, die überhaupt keine Reize mehr erleben, bei denen offensichtlich die Entwicklung stagniert“, sagt Becker. „Da können Fünfjährige plötzlich nicht mehr anständig sprechen. Diese Kinder wollen mit vollster Seele wieder zurück in den Kindergarten.“ Das Homeschooling laufe bei manchen Familien „bombastisch gut, andere schaffen das Pensum überhaupt nicht“. Und manchmal knalle es auch zu Hause: „Vor allem, wenn die ganze Familie aufeinander hockt, nehmen die Konflikte zu.“

Anne Becker

„Bei meiner Arbeit erlebe ich jetzt immer wieder Kinder, die überhaupt keine Reize mehr erleben, bei denen offensichtlich die Entwicklung stagniert.“

Becker hat selbst eine vierjährige Tochter, die im ersten Lockdown die Notbetreuung besuchen konnte. „Mein Mann arbeitet in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung. Wir waren zum Glück systemrelevant mit unseren Jobs“, sagt sie. Für die Tochter sei es eine Umstellung gewesen, jetzt nur noch mit einer Freundin spielen zu können. „Ansonsten haben wir sie rund um die Uhr bespaßt“, erzählt Becker. „Wir haben Kresse gezogen, gemalt, der Fantasie waren keine Grenzen gesetzt. Ich hatte viele Teepartys mit meiner Tochter und ihren Puppen und Teddys.“

„Eine wertvolle Zeit“

Im zweiten Lockdown entschieden sie und ihr Mann, die Tochter nicht mehr in die Kita zu schicken: „Wir wollten sie nicht mehr gefährden als nötig.“ Bisher komme ihre Tochter gut durch die Krise. „Aber sie merkt, dass Sachen, die vorher möglich waren, jetzt nicht mehr möglich sind. Wenn sie sich was wünscht, und ich ihr sage, dass das nicht geht, sagt sie jetzt immer: Wegen Corona, ne? Dieser Moment ist nicht schön.“

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Doch Becker will positiv bleiben. „Aus einer solchen Krise entspringt  mitunter auch was Gutes“, sagt sie: „Sich die Zeit zu nehmen und intensiv mit dem Kind zu beschäftigen, ist sonst nicht immer möglich. Sowohl letztes Jahr als auch jetzt im Lockdown hatten wir dadurch eine wertvolle Zeit. Aber ich weiß auch, wie privilegiert wir sind, dass ich das so sagen kann.“

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