Eine Vorstufe zum Massenmord

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Die Baracken, die Mitte der 30er Jahre im Wahnbachtal errichtet worden waren, wurden Mitte 1941 zum Internierungslager.

Die Baracken, die Mitte der 30er Jahre im Wahnbachtal errichtet worden waren, wurden Mitte 1941 zum Internierungslager.

Edith Rochmann aus Siegburg war zwei Jahre alt, als sie „nach dem Osten“ deportiert wurde. Sie durfte nicht leben.

Much - Aus Siegburg und Ruppichteroth, aus Hennef und Mondorf, aus Königswinter, Sieglar, Troisdorf und Eitorf stammten die Juden, die im Juni 1941 innerhalb von einer Woche in ein Lager in Much zwangseingeliefert wurden. Mitte der 30er Jahre war im Wahnbachtal auf dem Flurstück „Walkweiher“, das sich heute neben den Supermärkten befindet und durch ein steinernes Mahnmal gekennzeichnet ist, für den Reichsarbeitsdienst ein Barackenlager errichtet worden. Es stand seit 1940 leer. Als die ersten Juden am 13. Juni 1941 dort eingewiesen wurden, trafen sie auf desolate Zustände. Drei Familien mussten sich zudem einen Raum teilen; jede bekam einen Tisch, Schrank, ein Bett und ein paar Stühle.

Viele gerieten bald in Not; Hunger machte sich breit. Im Schnitt waren bis zu 117 Menschen dort zusammen gepfercht. Nach den Deportationslisten wurden zwölf Monate später 109 Menschen nach Osten abtransportiert. Die Internierung wurde von der Bevölkerung, wie Bruno Reifenrath in seiner kleinen Schrift über die „Juden in Much“ feststellt, vermutlich nicht als etwas Außergewöhnliches wahrgenommen. Nicht nur, dass die antisemitische Propaganda ihre Wirkung zeigte, es geschah auch sonst „so Vieles, dass man die Judenlager fast ignorierte“, erfuhr Reifenrath beim Gespräch mit einer Zeitzeugin.

Es halfen einzelne mutige Bürger, unter ihnen die Ruppichterother Gemeindeschwester Aureliana, die sich nachts auf den Weg nach Much machte und Lebensmittel über den Zaun des Lagers warf. Andere halfen den Internierten klammheimlich, Nachrichten an die Verwandten zu schicken. Als das Gerücht vom Transport „nach dem Osten“ aufkam, griffen Unruhe und Niedergeschlagenheit um sich, aber auch Hoffnung - Hoffnung auf eine Rückkehr. Niemand ahnte das Ausmaß an Leid und Grausamkeit, das sie erwartete.

Mit Abgasen getötet

In vier Schüben erfolgte die Räumung des Lagers zwischen dem 15. Juni und 27. Juli 1942. Die Internierten wurden zum großen Sammellager in die Deutzer Messehallen verfrachtet und im Deutzer Bahnhof in Züge verladen. „Ich wollte gerade ins Dorf zum Einkaufen gehen“, hat eine Mucher Augenzeugin dem Autor von der ersten Deportation am 15. Juni 1942 berichtet. „Ich sah, wie man einfach Kinder nahm und auf den Wagen warf.“ Eine andere hörte Töchter und Söhne verzweifelt nach den Eltern rufen.

Beim ersten Transport war auch die Jüngste des Lagers, Edith Rochmann, mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern Cilli und Kurt dabei. Ziel war Lublin / Izbica. Die Ankömmlinge wurden in der Regel sofort oder kurz nach der Ankunft ermordet. Der zweite Zug mit 15 älteren Lagerinsassen - unter ihnen die Kriegsversehrten und hochdekorierte Veteranen - ging am selben Tag ab Richtung Theresienstadt. Der dritte Transport mit 34 Menschen aus Much startete am 20. Juli und endete in Trostenez bei Minsk. Dort liefen damals Versuche mit Vergasung. In einem Kiefernwald wurden die in einem LKW zusammen gepferchten Menschen mit den Abgasen langsam und quälend ermordet. Jüdische KZ-Insassen mussten die Leichen aus dem Wagen zerren und in von russischen Kriegsgefangenen ausgehobene Gruben werfen. Die letzten 30 Internierten verließen Much am 27. Juli. Am 28. Juli meldete der Bürgermeister und Ortsgruppenleiter dem Landrat: Das Lager sei „jetzt frei“. Die zurück gebliebene Habe wurde im Dorf öffentlich versteigert. Einer überlebte. Adolf Moses Aron aus Bad Honnef wurde im KZ Theresienstadt befreit. Er kehrte in seine Heimatstadt zurück, wo er bis zu seinem Tod im November 1947 im Krankenhaus lebte.

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