Evangeliums-Baptisten„Auch bei uns geht es liebevoll zu“

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Freie Christen eröffnen Privatschule. (Bild: Johannes Schmitz)

Freie Christen eröffnen Privatschule. (Bild: Johannes Schmitz)

Hennef – Ein gewisses Zögern der Presse gegenüber wollen sie nicht verhehlen. „Ein einzelner Zeitungsartikel wird nicht die Vorbehalte gegen uns zerstreuen“, sagt Andreas Schneider. Als vor dreieinhalb Jahren bekannt wurde, dass eine freikirchliche Gemeinde aus Hennef das Gebäude des ehemaligen Sanitärmarktes gegenüber der Brennerei Quadenhof in Stoßdorf gekauft hatte, machten rasch Bedenken die Runde – zumal jener Gemeinde viele Menschen angehören, die in den vergangenen Jahrzehnten aus Russland nach Deutschland gekommen sind, nachdem ihre Familien oftmals mehrere Jahrhunderte lang dort gelebt hatten.

Jochen Herchenbach von der SPD gilt als einer, der Vorurteile schürte: Er verkündete im Schulausschuss der Stadt, dass Baptisten nicht wählen gingen. „Das stimmt nicht“, widerspricht Viktor Steinle solchen Behauptungen. Er ist der Gemeindeälteste der Evangeliums-Christen-Baptisten in Sankt Augustin.

Anders verhielt sich damals die FDP. Sie traf sich mit den Baptisten und sprach sich daraufhin für deren Privatschule aus, solange diese auf dem Boden des geltenden Schulrechts agiere. Zahlreiche Hennefer Schulleiter schilderten zudem die Erfahrung, dass die Eltern der so genannten „Russland-Deutschen“ ihre Kinder von manchen schulischen Veranstaltungen fernhielten – also von Theaterbesuchen, Festen, vom Sexualkundeunterricht oder Klassenfahrten. Und schließlich geisterte der die Schöpfungsgeschichte wörtlich nehmende Kreationismus durch viele Köpfe. Steinle bestätigt, dass er diese biblische Erzählung von der Weltentstehung der wissenschaftlichen Evolutionstheorie gegenübergestellt sehen möchte.

Vor zwei Wochen hat die Schule ihren Betrieb aufgenommen. An den Klassentüren hängen die Namen der Lehrer. Es ist Pause. Auf dem Boden im Flur sitzt ein Junge und bastelt an einem Modellauto. Zwei Mädchen flitzen gemeinsam über den Gang. Der Pausenhof füllt sich. Die Einrichtung der Räume ist hell und freundlich. Und man merkt, dass das Leben dort gerade erst begonnen hat. An den Wänden hängen noch keine von den Kindern gemalten Bilder, Gebrauchsspuren sind in dem frisch renovierten Gebäude noch nicht zu erkennen. In den Klassenräumen hängt neben der Tafel stets ein Wochenspruch aus der Bibel.

96 Kinder besuchen die Schule, verteilt auf jeweils eine erste bis vierte Klasse. Zumeist stammen sie aus Familien, die ihre geistliche Heimat in freikirchlichen Gemeinden in der Umgebung gefunden haben. Einige Kinder hätten Eltern, die sich selbst nicht als Christen bezeichneten, aber dennoch wollten, dass ihre Kinder auf der Basis christlicher Werte lernen.

Steinle weist zudem darauf hin, dass es ebenso viele Mitglieder der freikirchlichen Gemeinden gebe, die ihre Kinder ganz bewusst lieber auf eine staatliche Schule schickten. „Wenn die alle hierhin kämen, müsste die Schule drei Mal so groß sein“, sagt er und lacht. Andreas Schneider, der den Vorsitz des Trägervereins „Freie Christliche Bekenntnisschule Hennef“ übernommen hat, macht klar: „Das hier ist eine Kann-Schule, keine Muss-Schule.“

Um zu illustrieren, dass die Gründung der Bekenntnisschule keine Kritik an den staatlichen Schulen sein soll, berichtet Steinle von seiner Familie. 1987 kam er mit seiner Ehefrau nach Deutschland. Sein Vater war in der Sowjetunion wegen seines Glaubens verhaftet und nur aus Altersgründen nicht verurteilt worden. Sein Schwiegervater bezahlte sein religiöses Bekenntnis sogar mit mehreren Jahren Gefängnis. Und auch das junge Paar musste mehrere Hausdurchsuchungen ertragen. Zehn Kinder hat das Ehepaar Steinle zur Welt gebracht, acht davon seien auf die Grundschule in Hangelar gegangen. „Mit dieser Schule war ich vollkommen zufrieden“, sagt der 55-Jährige.

Warum dann die christliche Bekenntnisschule? Davon habe er seit 20 Jahren geträumt, verrät Steinle. „Wir sind nicht unzufrieden mit den staatlichen Schulen, doch da die Lehrer sehr viel Zeit mit unseren Kindern verbringen, ist es für uns wichtig, dass sie überzeugte Christen sind“, erklärt Schneider das Bedürfnis nach der eigenen Schule. Natürlich haben die Gläubigen auch die Erfahrung gemacht, dass sie sich immer wieder dafür rechtfertigen müssen, warum ihre Kinder etwa dem Karneval fernbleiben. „Karneval birgt Konfliktpotenzial an einigen Schulen. Lehnt man den ab, gilt man als schlecht integriert“, berichtet Viktor Hassenrik, Diplom-Informatiker und Mitinhaber einer Software-Firma. Er selbst war Schüler des Anno-Gymnasiums in Siegburg und hat zwei Kinder an der neuen Schule. Wie man als bibelverbundener Christ mit seinen Überzeugungen angenommen oder abgelehnt werde, das hänge sehr an den einzelnen Lehrern.

Was die Anwendung christlicher Werte in der neuen Schule bedeutet, erklärt Schulleiter Hermann Seifert: „Wir versuchen, auch Konfliktsituationen auf Grundlage der Bibel zu lösen.“ Dass Wertevermittlung im christlichen Menschenbild nicht nur mit Regeln und deren Befolgung zu tun hat, klingt bei dem 63 Jahre alten Pädagogen so: „Auch in unserer Schule geht es liebevoll zu.“ Äußere Regeln gibt es natürlich auch. So tragen nicht nur die Schülerinnen, sondern auch die Lehrerinnen und Mitarbeiterinnen des Sekretariats Röcke. Unglücklich wirken sie nicht. Und selbstverständlich beginnt jeder Schultag im Lehrerzimmer mit einer Andacht. Der Unterricht in den Klassen startet ebenfalls mit Bibel und Gebet. Auch vor dem Frühstück und zum Ende des Unterrichts wird gebetet. Und jeden Freitag, wenn die Schulwoche zu Ende geht, feiert die Schulgemeinschaft einen gemeinsamen Gottesdienst.

Der Träger der Freien Christlichen Bekenntnisschule hat sich für eine Schuluniform ausgesprochen. Die wird in den kommenden Wochen Einzug halten. „Uns geht es nicht darum, die Kinder zu uniformieren. Sie sollen vielmehr lernen, dass der Wert eines Menschen nicht von der Kleidung abhängt“, erklärt Seifert. Um den Vorurteilen aktiv zu begegnen, hat Seifert Kontakt zu den Schulleitern der übrigenGrundschulen aufgenommen und hofft auf eine Zusammenarbeit. „Wir freuen uns auf den Besuch aller Fragenden und Interessierten“, gibt Schneider das Signal zum Dialog. Bald soll ein Tag der Offenen Tür stattfinden.

Dass manche Vorbehalte bleiben werden, das wissen auch die Gründungsväter der neuen Hennefer Grundschule. Steinle etwa gibt zu erkennen, dass er nicht bereit ist, seine ethischen Überzeugungen einer wertfreien Gleichmacherei zu opfern. Und dann spricht er mit Sorge über Jugendliche aus Russland, die in Deutschland durch Gewalt oder Alkoholexzesse aufgefallen seien und im Gefängnis säßen. „Wenn das Integration sein soll, dann: »Nein, danke«.“ Schneider und Steinle sind sich bewusst, dass sie manchen Erwartungen ihrer Umwelt nicht entsprechen. Sie wollen sich in der Bundesrepublik jedoch nicht nehmen lassen, was ihre Vorväter über die Zeit der Zaren oder Stalins retten konnten. Auf eines legt Steinle jedoch großen Wert: „Wir wollen keine Kinder aus dem Gewächshaus.“ Wachsen aber sollen ihre Kinder nicht nur im Wissen, sondern auch im Glauben.

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