Zum Dutzendgesicht taugt Jürgen Klauke einfach nicht. Er ist „Ziggi Stardust“ mit kalkweißer Mephisto-Maske, der „Transformer“ in rotem Lack und Leder, ein mit Dildos und Präservativen wie ein Weihnachtsbaum behängter Abgesandter aus „Dr. Müllers Sex-Shop“, ein Röntgen-Geist aus den Überwachungskameras am Flughafen Köln/Bonn und eine schier unüberschaubare Anzahl von „Ich + Ichs“. Man könnte Klaukes Lebenslauf allein mit seinen Kunstfiguren schreiben und käme ihm damit doch nicht auf die Spur: Er hat die Verwandlungskunst so weit getrieben, dass man in ihm heute vor allem die große multiple Persönlichkeit der deutschen Nachkriegskunst erkennt.
Köln war eine dankbare Bühne für blasphemische Rollenspiele
Geboren wurde Jürgen Klauke am 6. September 1943 in Kliding bei Cochem an der Mosel – aber er scheint schon seit Ewigkeiten in Köln zu leben. Hier fand er eine dankbare Bühne für seine exzessiven, gelegentlich auch blasphemischen Rollenspiele: Er posierte in Strapsen und als Jesus-Figur und teilte mit Glam-Rockern wie David Bowie die Lust an Schminke und Kostüm; auch so konnte man Anfang der 70er Jahre Karneval und Katholizismus interpretieren und die große weite Welt der Androgynität ins Veedel holen. Später bot Köln für Klauke dann mit den „Hetzler Boys“ um Martin Kippenberger noch eine weitere Attraktion: die Kneipen- und Trinkgemeinschaft der Boheme.
Als Jürgen Klauke bekannt wurde, gehörten Geschlecht und Identität noch nicht zum festen Repertoire der Kunstgeschichte. Er betrat in den 70er Jahren Neuland und konnte ausprobieren, was ihm gefiel oder gerade in den Sinn kam – gelegentlich in Begleitung, aber in der Regel allein. Ähnlich wie Katharina Sieverding in Düsseldorf, machte sich Klauke zum Versuchskaninchen für den Fotoapparat und später für die Videokamera. Als Leitsterne mögen ihm dabei Foto-Avantgardisten wie Claude Cahun oder Pierre Molinier mit ihren frühen Travestien des Mediums und der abgebildeten Personen gedient haben.
Auch einen virtuosen Selbstdarsteller wie Klauke hat der Exzess schließlich ermüdet – oder ausgezehrt. Ende der 70er Jahre tauschte er die Federboa gegen die schwarze Künstleruniform oder wie auf dem 12-teiligen Fototableau „Das menschliche Antlitz im Spiegel soziologisch-nervöser Prozesse“ (1976/77) auch mal gegen Schlips und Kragen des Angestellten. Auf diesem genialen Dutzendwerk reserviert Klauke für die Stützen der Gesellschaft denselben grimmigen und für deren Außenseiter denselben feixenden Gesichtsausdruck. Der Künstler findet sich dabei in einer Reihe mit dem Anarchisten, dem Mörder, dem Schwulen, dem Süchtigen und dem Schwachsinnigen wieder; alles Identitäten, in denen sich Klauke wohl wiederfindet. Aber natürlich schlummern diese Möglichkeiten für Klauke in allen Menschen, auch wenn dies der Richter und der Heilige nicht wahrhaben wollen.
In den 80er Jahren stieß sich Jürgen Klauke endgültig die um die Brust geschnallten Dildohörner ab. Er erkor die Langeweile zu seinem Thema und ließ diese dann doch wieder verdammt spannend aussehen. Für die „Prosecuritas“-Serie legte er Puppen auf die Bänder eines Flughafen-Sicherheitsdienstes und bildete aus dieser verfremdeten Wirklichkeit neue potenzielle Identitäten. Im Jahr 1994 wurde Klauke schließlich – süße Ironie des Künstlerschicksals – ein geachteter und vor allem ordentlicher Professor an der Kölner Hochschule für Medien.
So ganz kann der Jubilar, der am Freitag 70 Jahre alt wird, den Exzess aber nicht lassen. Erfasst von der „Ästhetischen Paranoia“ inszenierte sich Klauke zuletzt als gespenstisches Wesen mit meterlanger Haarschleppe, auf einem im Rotlicht schwebenden Tisch drapiert oder an den Stromkreis des endlosen Datenverkehrs angeschlossen. Das Thema Identität ist heute in der Mitte der Gesellschaft angekommen – und mit ihr Jürgen Klauke, der große Pionier der Performancekunst.
1973: „Zeichnungen und Radierungen“, Rheinisches Landesmuseum Bonn, Einzelausstellung in der Kölner Galerie Kochs1987: „Eine Ewigkeit ein Lächeln. Zeichnungen, Fotoarbeiten, Performances 1970/86“ im Museum Ludwig Köln2001: „Absolute Windstille. Jürgen Klauke – Das fotografische Werk“, Kunst- und Ausstellungshalle der BRD in Bonn2010: „Aesthetische Paranoia – Fotoarbeiten, Video- und Sprachräume“ im ZKM Karlsruhe