Gefährliche SpieleWürgeanleitung aus dem Netz

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Anleitungen für bizarre Spiele finden Jugendliche oft im Internet. (Bild: Jupiter)

Anleitungen für bizarre Spiele finden Jugendliche oft im Internet. (Bild: Jupiter)

Er hat den Rausch gesucht, den Kick, das Adrenalin. Der Fall des 14-jährigen Gymnasiasten aus dem Havelland, der sich selbst bis zur Bewusstlosigkeit strangulierte und dabei zu Tode gekommen ist, hat Deutschland erschreckt. Als seine Mutter ihn leblos fand, blinkte die Anleitung zum Spiel mit dem Strick noch auf seinem Computerbildschirm. Offenbar hatte der Junge eine detaillierte Anweisung aus dem Internet befolgt - für eine Mutprobe mit unbeabsichtigter Todesfolge.

Würgespiele scheinen auf einige Jugendliche großen Reiz auszuüben, in Frankreich ist das Phänomen als „Jeu du foulard“, als Schalspiel bekannt. Durch langes Luftanhalten oder das Abdrücken der Halsschlagader mit einem Tuch oder Strick wird das Gehirn nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt, das Bewusstsein schwindet, und die Jugendlichen erleben so starke Rauschgefühle. Die Lust an der Gefahr lässt die Teenager die Risiken vergessen. „Viele junge Menschen sind bereit, an ihre Grenzen zu gehen“, sagt Dr. Wolfram Hartmann, Präsident des Berufsverbandes für Kinder- und Jugendärzte. „Sie überschätzen sich und ihre Kräfte und suchen mit dieser Art von Spielen einen zusätzlichen Kick.“

Das Phänomen ist vergleichbar mit dem „Komasaufen“

Auch die Inszenierung, das Prahlen und Angeben vor Freunden spiele bei diesen gefährlichen Mutproben eine Rolle. „Oft passieren die Vorfälle im schulischen Umfeld“, sagt der Berliner Pädagogik-Professor Klaus Hurrelmann. Daher sei es wichtig, im Ernstfall auch die Lehrer miteinzubeziehen.

Interessant ist, dass es nicht unbedingt die labilen Schüler mit geringem Selbstbewusstsein sind, die Würgespiele ausprobieren. „Kinder und Jugendliche, die das tun, sind psychisch nicht auffällig. Das Phänomen kann in jeder Familie vorkommen, es ist vergleichbar mit dem sogenannten Komasaufen“, betont Kinder- und Jugendarzt Hartmann. Wenn Eltern den Verdacht hegen, dass ihre Kinder mutwillig ihre Grenzen austesten, sollten sie das Thema unbedingt offen ansprechen. „Sie sollten deutlich machen, dass diese Experimente nicht spaßig, sondern lebensgefährlich sind und durch den Sauerstoffmangel bleibende Schäden im Gehirn hinterlassen können.“

Die Experten sprechen bisher von Einzelfällen in Deutschland, in Frankreich dagegen sollen dieses Jahr bereits 13 Kinder bei Strangulierungsversuchen ums Leben gekommen sein. Durch die Spiele mit den Erstickungsreizen käme es oft zu Unfällen, die vom Umfeld im Nachhinein als Selbstmorde gedeutet werden. Als ausgefallene Sexualpraktik ist die Methode schon länger bekannt. Sowohl Michael Hutchence, ehemaliger Sänger der Rockgruppe INXS, als auch der US-amerikanische Schauspieler David Carradine sind bei Erstickungsspielen ums Leben gekommen.

Jugendliche suchen nach Erlebnissen, die schockieren

Kindern und Jugendlichen geht es bei Spielen mit Halstüchern und Gürteln um die Suche nach außergewöhnlichen Erfahrungen im Alltag. Ein gewisses Maß an Ausprobieren und Austesten gehört zur Pubertät dazu. „Kinder sind in einem Experimentierstadium, sie glauben mitunter, dass sie alle Kräfte der Welt haben“, erklärt Facharzt Dr. Wolfram Hartmann. „Viele können noch nicht wirklich einschätzen, was ihr Körper verträgt und was nicht“, ergänzt Experte Hurrelmann. In ihrem Risikoverhalten suchten Jugendliche nach Neuem, nach Experimenten, die schockieren und die es so noch nie gab. Wenn die verhängnisvollen Spiele über das Internet und insbesondere Plattformen wie YouTube weiter verbreitet werden, bestehe die Gefahr, dass sich das Phänomen zu einer Art „Modewelle“ entwickle.

Eltern sollten daher große Sensibilität dafür entwickeln, wie es ihrem Kind wirklich geht. Neigt es zu aggressivem Verhalten oder ist es selbst bereits einmal Gewaltopfer geworden? Häufige Fragen wie „Was passiert, wenn ich die Luft anhalte?“ oder Würgemale am Hals, die mit einem Tuch kaschiert werden, sollten die Familienmitglieder aufmerksam werden.

Wenn das Würgespiel kein einmaliger Ausrutscher mit nachträglicher Entschuldigung war, sondern eine eindeutige Grenzüberschreitung, sollten Eltern nach Unterstützung suchen und sofort psychologische Hilfe in Anspruch nehmen.

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