Hilfe und InformationenWenn Wunden nicht heilen

Lesezeit 5 Minuten
Die Heilung von Wunden ist eine Herausforderung. (Symbolbild: Andre Bonn - Fotolia)

Die Heilung von Wunden ist eine Herausforderung. (Symbolbild: Andre Bonn - Fotolia)

Es ist ein wenig so wie bei einer Inkontinenz: Es wird schlimmer mit dem Alter, aber man spricht nicht darüber. Viele ältere Menschen haben Wunden, die nicht heilen. Chronische Wunden nennt man das, drei bis vier Millionen Menschen in Deutschland leiden darunter. Experten sind sich einig, dass es in Zukunft noch mehr Betroffene geben wird, weil die Menschen immer älter werden und mit dem Alter auch die Krankheiten zunehmen.

Das Problem: Vielfach werden offene Wunden nicht richtig behandelt. „Die Heilung ist eine Herausforderung“, sagt Dr. Wolf-Rüdiger Klare, Internist, Diabetologe und Gründer und Geschäftsführer des Deutschen Instituts für Wundheilung (DIW). „Ein Arzt allein schafft es oft nicht, wichtig ist eine fachübergreifende Behandlung.“ Denn es gibt verschiedene Arten von chronischen Wunden.

Die drei häufigsten Wundarten sind das „offene Bein“ (Ulcus cruris genannt), Dekubitus (Druckgeschwüre durch Wundliegen) und das Diabetische Fußsyndrom. Möglich, aber seltener sind langfristige Wunden durch Verbrennungen oder nach einer Operation.

Besonders betroffen sind Diabetiker

Weiteres Problem: Chronische Wunden sind überwiegend Komplikationen bestehender Grunderkrankungen, und viele Betroffene haben davon gleich mehrere, sind also multimorbide, wie Ärzte das nennen. Besonders betroffen sind Diabetiker und Patienten mit Gefäßkrankheiten wie der Venenschwäche (chronisch venöse Insuffizienz, bei der der Rückfluss des Blutes zum Herzen gestört ist). Auch die periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK, Schaufensterkrankheit genannt) ist ein Risiko, da die krankhaften Arterien-Verengungen Durchblutungsstörungen hervorrufen. Ebenfalls gefährdet sind Raucher.

„Wir gehen davon aus, dass mehr als 200 000 Diabetiker offene Stellen an Beinen oder Füßen haben“, sagt Wolf-Rüdiger Klare. Das sei besonders gefährlich, da aufgrund von Nervenschäden meist das Schmerzgefühl gestört ist. „Diabetiker spüren Verletzungen oft nicht.“ Rückläufig ist die Zahl der Patienten mit Dekubitus, also Druckgeschwüren durch Wundliegen oder Wundsitzen (etwa im Rollstuhl). Aber immer noch gibt es schätzungsweise 400 000 Neuerkrankungen pro Jahr, etwa 20 Prozent der Pflegeheimbewohner sind laut DIW davon betroffen.

Um offene Wunden zu schließen, ist für Klare eine Ursachenklärung das Wichtigste: „Wenn man die Zuckerkrankheit, das Wundliegen oder die Durchblutungsstörung nicht behandelt, gelingt auch die Wundheilung nicht.“ Auch wenn die Wundauflagen und Verbände immer hochwertiger werden – sie sind antimikrobiell, virenundurchlässig oder silikonbeschichtet, es gibt Schaumverbände, Hydrogele, silberhaltige Wundauflagen und biologisch aktive Wundverbände – vom richtigen Pflaster hänge die Heilung nicht ab, sagt der Kölner Diabetologe Dr. Dirk Hochlenert, der das Kölner Fußnetz gegründet hat.

Welcher Verband ist der beste?

Welches der beste Verband ist, steht als Frage nicht im Vordergrund. „Die Ursachen müssen abgestellt werden. Menschen mit Druckgeschwüren müssen mobilisiert werden, Menschen mit Venenerkrankungen eventuell vom Gefäßchirurgen behandelt werden“, so Wolf-Rüdiger Klare. Oft können Kompressionsstrümpfe weiterhelfen, denn sie beseitigen den Blutstau und entlasten die Venen.

Trotzdem haben moderne Wundverbände Vorteile. Sie halten die Wunde feucht, was am besten für die Heilung ist, und sie müssen seltener gewechselt werden. Denn so fördern sie den Heilungsprozess, erklärt Gefäßchirurg Dr. Stephan Eder vom DIW: Das warme, feuchte Milieu biete ideale Bedingungen für die nötige Zellvermehrung. Der Körper könne Krankheitserreger besser bekämpfen und Infektionsrisiken verringern. Allerdings erhält mehr als die Hälfte aller Patienten keine moderne feuchte Wundtherapie.

Oft dauert es Jahre, bis offene Wunden richtig behandelt werden. Für die Betroffenen bedeutet das Schmerz und Scham, denn die Wunden jucken, brennen und riechen übel. Wer gar nichts dagegen unternimmt, riskiert eine Amputation – mindestens 60 000 sind es pro Jahr, und mehr als die Hälfte davon betrifft Diabetiker.

Für Dirk Hochlenert sind das schreckliche Zahlen: „Es werden immer noch zu viele Amputationen gemacht.“ Jeder Betroffene, der vor einer Amputation stehe, solle „auf jeden Fall vorher einen anderen Arzt fragen“. Dafür gibt es eine bundesweite Notfall-Nummer (s. Kasten). Pro Fußerkrankung, so Hochlenert, dauere es im Durchschnitt ein halbes Jahr bis zur Heilung. „Wem nicht nur ein Zeh, sondern der ganze Fuß amputiert wird, der wird ein Pflegefall.“ Das Risiko, ein bis fünf Jahre danach zu sterben, steige drastisch.

WAS SIND CHRONISCHE WUNDEN?

Wunden werden als chronisch bezeichnet, wenn sie innerhalb von vier bis zwölf Wochen nach ihrer Entstehung keine Heilungstendenzen zeigen. Normalerweise erhöht der Körper an einer Wunde die Durchblutung, um Entzündungen zu verhindern, Keime und tote Zellen abzutransportieren und neue Haut zu bilden. Dieser Automatismus kann bei Durchblutungsstörungen und Venenerkrankungen ausfallen. Leitlinien gibt es für die Wundversorgung nicht. Für Pflegekräfte gibt es mit dem „Expertenstandard“ des Deutschen Netzwerks für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) eine wissenschaftlich fundierte Anleitung zur Pflege von chronischen Wunden.

RAT UND HILFE Den richtigen Arzt finden Menschen mit offenen Wunden sollten ihren Hausarzt nach einem Spezialisten fragen. Diabetiker sollten nach Empfehlung des DIW am Disease-Management-Programm der Krankenkassen teilnehmen. Die Informations- und Notfall-Nummer gegen Amputationen: 01803/12 34 06

„Wer etwas am Fuß hat, sollte sofort zum Hausarzt gehen“, rät Diabetologe Hochlenert. Werde die Wunde innerhalb von rund einem Monat nicht besser, sei ein Termin beim Spezialisten nötig. Den findet man auf der Internetseite der Arbeitsgemeinschaft Fuß der Deutschen Diabetes Gesellschaft www.amputation-verhindern.de

Kölner Fußnetz In Köln gibt es die Zusammenarbeit von Spezialisten, durch die bereits viele Amputationen vermieden werden konnten. Die 2001 gegründete Initiative ist bundesweit Vorbild für die Vernetzung von Fachärzten, Pflegekräften, Fußpflegern und Schuhmachern. In Köln und Umgebung vereint es als „Netzwerk Diabetischer Fuß“ rund 50 Fachärzte und hat laut Deutscher Diabetes Gesellschaft die Patientenversorgung deutlich verbessert.

Seit 2005 gibt es das „Fußnetz Nordrhein“, zu dem 75 Kliniken und Praxen gehören, die mit zehn Krankenkassen zusammenarbeiten. Über 311 Amputationen seien verhindert worden, so die Bilanz.

KStA abonnieren