„Ich war immer unter Druck”

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Rund 4000 Jungen und Mädchen half die heute 80-jährige Hebamme Therese Schlundt auf die Welt.

Rund 4000 Jungen und Mädchen half die heute 80-jährige Hebamme Therese Schlundt auf die Welt.

Kölns berühmteste Hebamme denkt trotz Schlaganfall nicht daran, ihren Mund zu halten - und meldet sich mit einem Buch zurück.

Das war eine schwere Geburt. Vielleicht eine ihrer schwersten. Therese Schlundt lehnt sich in den Schaukelstuhl vor ihrer Kaffeekannen-Sammlung auf der Veranda zurück, atmet tief ein und sagt schließlich: „Es ist ein schönes Gefühl.“ Sie sei jedoch auch sehr ungeduldig gewesen. „Wie das halt ist, wenn man schwanger ist.“ Therese Schlundt - Kölns berühmteste Hebamme - war mit einem Buch „schwanger“. 30 Jahre lang trug sie es in ihrem Kopf mit sich herum. Jetzt wollte es „heraus“.

4000 Kölnerinnen und Kölnern half sie auf die Welt und gründete als eine der ersten Einrichtungen dieser Art in Deutschland das Mutter-Kind-Zentrum „Oase“ in Longerich, in dem sie bis heute mit viel Liebe und Geduld mitarbeitet. Doch mit dem Buch konnte es ihr gar nicht schnell genug gehen. „Ich war immer unter Druck. Auch wegen meines Alters.“ Seit einem Schlaganfall hat die 80 Jahre alte Pionierin der modernen Geburtshilfe große Probleme mit dem Schreiben und Sprechen. Am Mitreden lässt sie sich trotzdem nicht hindern. „Ich habe immer den Mund aufgemacht“, sagt sie.

Sie und ihre verstorbene Kollegin Monika Plonka (Gründerin des Kölner Geburtshauses, heute in Nippes) brachten „halb Köln auf die Welt“. Die engen Freundinnen und Kolleginnen kämpften als eine der ersten gegen die wenig frauenfreundliche Situation in den Kliniken der 1950er und 1960er Jahre. Sie erstritten bessere Arbeitsbedingungen für Hebammen und praktizierten Hausgeburten, lange bevor diese in den 70ern in Mode kamen.

Therese Schlundt hat Tausende Kinderzimmer gesehen, was aus ihr einen wahren „Daniel Düsentrieb“ für werdende Mütter machte. Sie erfand den „Kölner Strampler“ - ein Art Sack für mehr Bewegungsfreiheit -, die „Kölner Tür“, eine halbierte Tür, die das Zimmer zum Laufstall macht und gleichzeitig als Tafel und Kasperletheater dient. Die „Kölner Wickelkommode“ lässt sich nach der Wickelzeit zu Spielgerät, Regal oder Schreibtisch umbauen. Die „Kölner Puppe“ dient zur Stabilisierung der Seitenlage - und Therese Schlundt träumt davon, ihr komplettes Kinderzimmer einmal im Museum für Angewandte Kunst aufzubauen . . . In Serie gegangen sind ihre „Erfindungen“ allerdings nie. Bis auf eine: Vor zwei Jahren hat sie ihren „Kölner Wehensong“, mit dem sie Mütter im Rhythmus der Wehe singend auf die Geburt vorbereitet, auf CD herausgebracht - inklusive „Kölner Dom“-Wehe, versteht sich. „Die hat zwei Höhepunkte.“

Wenn es darum geht, für Frauen und Kinder zu streiten, ist Schlundt dabei. Ob beim Thema „Anonyme Geburt“ („Babyklappen sind nur ein Weg, aber nicht der Königsweg“), im Verein „Leben in Chorweiler“, wo sie für Spielwiesen kämpft, oder in der Innenstadt am Kardinal-Frings-Denkmal. „Da gehört eine Bank hin“, schimpft die Tochter eines Eifeler Eisenbahners, „dann wäre das ein wundervolles Plätzchen.“

Der berühmte Kölner Erzbischof (1942-1969) hat ihr Leben maßgeblich beeinflusst. „Der ist schuld, dass ich Hebamme geworden bin“, sagt die Witwe des früheren ASV-Cheftrainers Heinz Schlundt und vierfache Urgroßmutter. Als der Geistliche von der Kanzel zum Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit aufrief, schlug Therese Schlundt ihm die Produktion von Schürzen vor - „besonders sparsam geschnitten und beidseitig zu tragen, mit großen Taschen für die Pflegeutensilien der Neugeborenen“.

Frings Antwort im Briefumschlag mit erzbischöflichem Wappen führte in der Hebammenschule zu dem Gerücht, die Schülerin mit dem Mädchennamen Frings sei eine Nichte des Kardinals. Die eifrige Schülerin kämpfte mutig für bessere Arbeitsbedingungen der Hebammen. „Nur meiner angeblichen Verwandtschaft mit Kardinal Frings habe ich zu verdanken, dass ich nicht gefeuert wurde.“

Diese und viele Anekdoten mehr sind in dem Buch nachzulesen, dessen Charme vor allem in Schlundts unverblümter Sprache liegt. Ihr Werk bietet historisch einmalige Dokumente der Geburtshilfe und ist zugleich ein Köln-Lesebuch - nicht nur für Frauen. Es ist bisweilen auch bizarr, wenn die Erzählerin etwa die Vornamen der Mitglieder des Kölner Hebammen-Vereins von 1889 analysiert oder den „Versuch einer Ehrenrettung Goethes Hebamme“ unternimmt. Und es ist beklemmend, wenn man liest, wie diese alte, weise Frau ihre letzten 600 Markvon ihrem Konto genommen hat, um mit fast 80 Jahren zu einem Hebammenkongress nach Dresden zu fahren. Man kann ihr manchmal kaum folgen, so viel hat diese Frau zu sagen.

Ihr Mann habe immer zu ihr gesagt. „Ich mache weiter den Haushalt, wenn wir alt sind, und du schreibst das Buch.“ Heinz Schlundt verstarb 1994, und seine Frau fragte sechs Verlage vergeblich an. Vor anderthalb Jahren traf sie Herausgeberin Astrid Roth zum ersten Mal, die vor Schlundts fruchtbarem Chaos nicht zurückschreckte - nun hält sie ihr Buch fest wie ein Kind im Arm.

Doch damit will sie sich keineswegs zur Ruhe setzen. Einen ICE nach der kurbrandenburgischen Hof-Wehenmutter Justine Siegemundin zu benennen, fordert sie. Und ein Hebammen-Museum für Köln. Es gebe ja schließlich sogar eins für Schokolade . . . Dieses wolle sie dann zum Informations-Zentrum für alle Hebammen, Mütter und Interessierten ausbauen. „Ich weiß auch schon, wo“, spricht die Seebergerin mit Mühe. Das alte Diözesanmuseum am Roncalliplatz werde doch bald frei . . . Bezahlen müsse die Kirche. „Damit könnte sich Köln wirklich einen Namen machen.“

Übrigens: Während Herausgeberin Astrid Roth mit der Autorin Ordnung in ihren Berg handgeschriebener Manuskripte aus 30 Jahren brachte, entstand nicht nur ein Buch: Roth wurde plötzlich schwanger. Doch Therese Schlundt schwört Stein und Bein: „Damit habe ich nun wirklich nichts zu tun . . .“

Therese Schlundt, Astrid Roth(Hrsg.): Geschichten einer Kölner Hebamme. Bachem Verlag, 142 S., 22,50 Euro. Kontakt zu Therese Schlundt unter der Rufnummer 02 21 / 7 08 89 60.

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