Medienwissenschaftler HörischJournalisten müssen sich auf die neuen Medien einstellen

Symbolbild
Copyright: dpa
Jochen Hörisch (66 Jahre) ist ein deutscher Literatur- und Medienwissenschaftler. Wir haben ihn zum Interview getroffen.
Professor Hörisch, haben sich in der digitalen Medienwelt die Vorstellungen verändert, was „guter Journalismus“ ist?
Intern nicht, nach außen aber sehr wohl. Der Anspruch an saubere Recherche und Sorgfalt in der Darstellung ist der gleiche geblieben. Aber die Bereitschaft des Publikums, solche Qualitäten auch wertzuschätzen, hat abgenommen. Journalisten tun gut daran, den Wert ihrer Arbeit zu bewahren, müssen dann aber umso mehr fragen: Was ist schief gelaufen, dass es zu einem solchen Wertverlust in der bei uns üblichen Währung gekommen ist – nämlich beim Geld?
Wie ist denn Ihre Antwort darauf?
Der Beruf des Journalisten hat dadurch eine Abwertung erfahren, dass heute jeder glaubt, Journalist zu sein. Jeder kann bloggen oder twittern – ob er US-Präsident, Chefredakteur oder halt ein Normalsterblicher ist. Auch die Funktion des Journalisten als „Gatekeeper“, der mit seiner Auswahl über die Verbreitung von Nachrichten entscheidet, hat sich im Internet erledigt. Dafür sind Journalisten heute mehr denn je als „Barkeeper“ gefragt. Sie mixen aus hochwertigen und vielfältigen Zutaten einen Informations-Cocktail, der besser bekömmlich ist als die Allerweltsmischungen der Computer-Algorithmen. Von den Giftmischungen der Trolle im Internet ganz zu schweigen.
Es heißt immer, Glaubwürdigkeit und Vertrauen seien das höchste Gut der Journalisten. Kann die persönliche Integrität auch Gradmesser für journalistische Qualität sein?
Ja, in dem Sinne, dass die Person stärker für ihre Arbeit einstehen muss als früher. Sie sehen es besonders auch in der Wirtschaft. In den Medien spiegelt sich der Trend zur Personalisierung. Jede Zeitung hat ihre Kolumnisten, ihre „Edelfedern“, die sie gern herausstellt. Namen werden zu Marken. Da endet übrigens auch die Vorstellung, dass jeder Journalist sei. Joseph Beuys hat einmal gesagt, jeder Mensch sei ein Künstler. Mag sein. Aber längst nicht jeder versteht sein Handwerk, viele sind unbegabt, und Genies sind sowieso nur die wenigsten. Für Journalismus gilt das Gleiche: Talent und Professionalität sind nicht jedem gegeben. Das wissen die Leute auch.
Und trotzdem stellen beide Seiten – die klassischen Medien wie ihr Publikum – eine wechselseitige Entfremdung fest. Wie lässt sich diese vielleicht wieder abbauen?
Die Wochenzeitung „Die Zeit“ legt bei großen Artikeln inzwischen die Entstehungsbedingungen offen und sagt, mit wem sie kooperiert hat, was sie sich eine Recherche hat kosten lassen, an welchen Punkten noch Unklarheiten bestehen. So etwas trägt inhaltlich zur Bindung der Leser an „ihre Zeitung“ bei. Es ist ja nicht so, dass die Leute dem Gerede von der „Lügenpresse“ tatsächlich Glauben schenkten. Sie wissen, dass gut ausgebildete Vollprofis in Zeitungsredaktionen in aller Regel Vertrauen verdienen. Nur ist das mit dem „Verdienen“ für die Traditionsmedien so eine Sache: Das symbolische Kapital bei ihren Kunden ist hoch, die Zahlungsbereitschaft schwindet.
Was folgt daraus?
Die disruptive – also die auf Verdrängung angelegte – Entwicklung der Medientechnik ist eine existenzielle Bedrohung für das „gedruckte Wort“. Ich sage das ungern, weil ich ja selber damit lebe und daran hänge. Aber die eigene Emotion darf weder das analytische Urteil trüben noch in den bloßen moralischen Appell abdriften. Ich halte es hier lieber mit dem Klassiker von Karl Marx: Neue Produktionsmittel bedingen neue Produktionsverhältnisse. Das „Produktionsmittel“ Internet zwingt Medienunternehmen dazu, sich mit ihren Produkten und deren Verkauf neu zu orientieren.
Und zwar wie?
Mein Vorschlag dazu: Von der Musikindustrie lernen! Diese Branche hat viel früher erleben müssen, wie die Zahlungsbereitschaft ihrer Kunden abgenommen hat. Die Leute haben keine Platten und keine CDs mehr gekauft, sondern sich ihre Musik aus dem Internet geklaubt, genauer gesagt, geklaut. Darauf hat die Industrie mit Streamingdiensten reagiert und ökonomisch die Kurve gekriegt. Im Filmsektor ist es ähnlich. Und ich prognostiziere, dass das auch ein Weg für Zeitungs- und Buchverlage sein könnte – mit Abo- oder Flatrate-Modellen. Sie könnten auch Pakete schnüren, Zeitungs-Abos in Verbindung mit Konzert- oder Theaterkarten. Das hätte auch eine symbolische Seite: Die Zeitung ist ein Kulturgut. Ich bin sicher, dass die meisten Menschen es nicht missen möchten. Und wenn sich eine genügend große Zahl von Kunden findet, ist das ein Geschäft. Es gilt, was Walter Benjamin mit Bezug auf neue Medien gesagt hat: „Nicht weinen!“
Weinen?
Ja. Über Jahrhunderte führte das Aufkommen neuer Medien zu Larmoyanz: Der Buchdruck habe die schönen alten Handschriften deklassiert. Der Film mache dem Theater den Garaus, Radio und Fernsehen seien der Tod des Buchs. Immer die gleiche Litanei. Aber ändert sich dadurch irgendetwas? Und deshalb: nicht weinen, sondern sich auf die neuen Medien einstellen. Das Internet lässt sich nämlich nicht ausschalten.
Dann noch mal die Frage: Was tun?
Zum ersten können die klassischen Medien durchaus auf einen Pendel-Effekt setzen: Auf den Siegeszug der CD folgte eine Gegenbewegung „Zurück zur Vinylplatte“. Hochwertig gestaltete Bücher finden ihre Abnehmer. Das ist eine Art „Manufactum für Medien“. Aber eben doch eine Sphäre, in der sich die Totgesagten erstaunlich lebendig tummeln. Zum zweiten rate ich zu einem offensiven Werben für die – nachweisliche – Qualität journalistischer Arbeit. Investigative Recherchen, etwa zu den „Panama Papers“, stimmen mich ebenso hoffnungsvoll wie der Umgang der großen US-Medien mit der Regierung Trump. Ich weiß natürlich: Nicht jede Zeitung hat die Ressourcen der „New York Times“. Aber mit Arbeit im Verbund können auch kleinere Blätter stark und schlagkräftig sein.
Das Gespräch führte Joachim Frank